Zwielicht 3 (ebook)


Zwielicht ist eine Horrormagazin, das neben Kurzgeschichten auch Artikel aus dem Genre Horror und Unheimliche Phantastik bringt.  Zwielicht gewann zweimal in Folge den Vincent Preis
Ein Werkstattbericht mit allen Hintergrundinfos zu Zwielicht findet sich hier
Hier die Playlist:
Cover von Björn Ian Craig

Geschichten:


Antje Ippensen - Tintige alte Welt
Marcus Richter - Rex nemorensis

Abel Inkum - Die Nacht im Schacht
Dominik Grittner - Der graue Raum
Rainer Innreiter - Gestrandet!
Torsten Scheib - Das Muschelmädchen
Jakob Schmidt - Der Wintermann
Christian Endres - Knochen erinnern sich
Michael Schmidt - Zwei Seelen in einer Brust
Lothar Nietsch - Edward
Christian Weis - Bruder Lazarus
Michael Siefener - Im Schatten
Achim Hildebrand - Biedenbach
Merlin Thomas - Jenseits der Tür
Algernon Blackwood - Das Tal der Tiere (The Valley of the Beasts)

Artikel:

Oliver Kotowski - Der Wald als Ort des Bösen im Horrorfilm
Daniel Neugebauer&Mirko Stauch - Lovecrafts Reisetagebuch
Björn Ian Craig - Wenn einem der Atem stockt!
Eric Hantsch - Eine Blume der Dunkelheit
Michael Schmidt und Elmar Huber - Vincent Preis 2010
Malte S. Sembten - Laudatio auf Frank Festa

Das Titelbild ist von Björn Ian Craig.
Innenillustrationen wie immer von Lothar Bauer.
Lothar Bauer - Wintermann

Leseprobe:



16. Algernon Blackwood – Das Tal der Tiere (The Valley of the Beasts)

I.

Als sie unversehens aus dem dichten Wald heraustraten, hielt der Indianer an. Grimwood, der ihn eingestellt hatte, blieb neben ihm stehen und blickte in das herrlich bewaldete Tal, das sich unter ihnen im Glanz eines goldenen Sonnenuntergangs ausbreitete. Beide Männer stützten sich auf ihre Büchsen, gefangen vom Zauber der unerwarteten Szenerie.
"Wir lagern hier", sagte Tooshalli unvermittelt, nachdem er die Umgebung sorgfältig begutachtet hatte. "Morgen machen wir einen Plan."
Er sprach ein ausgezeichnetes Englisch. Der Unterton von Entschlusskraft, ja beinahe Autorität in seiner Stimme war unüberhörbar, aber Grimwood schob es auf die natürliche Erregung des Augenblicks. Jede Fährte, der sie in den vergangenen Tagen gefolgt waren - und eine im Besonderen - hatte geradewegs in Richtung dieses entlegenen und verborgenen Tals geführt und sie versprach ein außergewöhnliches Jagdvergnügen
"So machen wir es", erwiderte er in befehlendem Ton. "Du kannst gleich anfangen, das Lager aufzuschlagen."
Er setzte sich auf eine umgestürzte Hemlock-Tanne, um seine Mokkasinstiefel auszuziehen und die Füße einzufetten, die schmerzten nach dem beschwerlichen Tag, der sich nun seinem Ende zuneigte. Obwohl er unter gewöhnlichen Umständen darauf gedrängt hätte, noch ein oder zwei Stunden weiter zu marschieren, hatte er nichts dagegen, hier zu übernachten. Die Schinderei der letzten Stunden hatte ihn erschöpft, sein Auge und seine Muskeln waren nicht mehr sicher genug, um zuverlässig einen tödlichen Schuss anzubringen. Er hatte nicht vor, ein zweites Mal daneben zu schießen.
Mit seinem kanadischen Freund, Iredale, dessen Halbblut und seinem eigenen Indianer, Tooshalli, war die Gruppe vor drei Wochen aufgebrochen um die 'herrlichen großen Elche' aufzuspüren, von denen die Indianer berichteten, dass sie in der Gegend am Snow River umherstreiften. Bald stellten sie fest, dass die Berichte zutrafen; Fährten gab es reichlich, fast jeden Tag sahen sie schöne Tiere, doch obwohl sie (gute) Geweihe trugen, erwarteten die Jäger noch bessere Beute und ließen sie in Ruhe.
Sie drangen weiter den Fluss hinauf vor bis zu einer Kette kleiner Seen an seiner Quelle, wo sie sich in zwei Gruppen teilten, jede mit einem Neun-Fuß-Rindenkanu und ausgerüstet für die drei Tage, die es nach Meinung der Indianer dauern würde, bis man die größeren Tiere in den tieferen Wäldern aufgespürt hätte. Die Erregung war stark, aber die Erwartungen waren noch stärker.
Am Tag bevor sie sich trennten schoss Iredale den größten Elch seines Lebens, und das Geweih - größer sogar als die mächtigen Alaska-Geweihe - hängt noch heute in seinem Haus. Grimwoods Jagdfieber war schon ziemlich angestiegen. Sein Blut war von feuriger, um nicht zu sagen wilder Art. Manchmal schien es, als liebte er das Töten nur um seiner selbst willen.



Vier Tage nachdem die Gruppe sich geteilt hatte stieß er auf eine gigantische Fährte, deren Größe und Schrittlänge jeden Nerv in ihm aufs Höchste anspannten.
Tooshalli untersuchte die Spuren einige Minuten sehr sorgfältig.
"Das ist der größte Elch auf der Welt", sagte er schließlich mit einem ungewohnten Ausdruck auf seinem undurchschaubaren roten Antlitz.
Sie folgten der Spur den ganzen Tag, bekamen den Riesenburschen aber nicht zu Gesicht. Er schien einer moorigen Senke zu folgen, zu klein, um ein Tal genannt zu werden, die von Weiden und Gestrüpp überwuchert war. Er hatte seine Verfolger noch nicht gewittert. Bei Anbruch der Abenddämmerung waren sie ihm dicht auf den Fersen. Gegen Abend des zweiten Tages erhaschte Grimwood in einem Weidendickicht einen kurzen Blick auf das Ungeheuer und die Pracht des mächtigen Kopfes, der mit Leichtigkeit alle Rekorde brach, ließ sein Herz vor Aufregung wie ein Hammerwerk schlagen. Er legte an und feuerte. Doch anstatt zusammenzubrechen preschte der Elch durch das Gebüsch davon und verschwand. Das Geräusch seines stampfenden Galopps verlor sich rasch in der Ferne. Grimwood hatte es verfehlt, auch wenn das Tier möglicherweise verwundet war.





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