Interview mit evolver books

Vincent Preis: Herzlichen Glückwunsch zur Nominierung für den Vincent Preis. „Das Buch der lebenden Toten“ ist eine tolle Anthologie!



Robert Draxler: Herzlichen Dank für das Kompliment!

Peter Hiess: Und danke auch an alle, die uns nominiert haben …



Vincent Preis: Es gibt den EVOLVER  und den daraus entstandenen Verlag EVOLVER BOOKS Erzählt uns doch mal die Hintergründe und stellt euch bei der Gelegenheit mal selbst vor.



Hiess: Kurz was zum EVOLVER: Klaus Hübner und ich haben unsere Netzzeitschrift 1996 gegründet, damals sicher als Pioniere im deutschsprachigen Raum, was Erscheinungsbild, Qualität der Texte und Anspruch betraf. Ich war lange Zeit Chefredakteur, Textchef und Herausgeber (ein bissl was mache ich auch heute noch), aber Anfang 2010 hatte ich dann endgültig das Gefühl, dass es höchste Zeit für etwas anderes ist. Weg aus dem Internet – hin zum gedruckten Buch, das mir ja als Leser und Rezensent und Autor und Übersetzer immer schon am Herzen lag. Und so kam es, dass Robert und ich unseren Verlag gegründet haben – und die Marke EVOLVER, die ja nach fast 14 Jahren einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht hatte, auch für unseren Namen verwendet haben. Da kommt es natürlich oft zu Verwechslungen, aber die klären wir gerne auf: EVOLVER – Internet-Zeitschrift. EVOLVER BOOKS – Verlag. Gleiche Wurzeln, trotzdem ganz was anderes. Aber ohne den EVOLVER, den wir als vom Mainstream-Journalismus frustrierte Berufsschreiber erfunden haben, hätte ich Robert, der ja auch aus der Branche kommt, nie kennengelernt …

Draxler: Ja, EVOLVER und EVOLVER BOOKS sind zwei Paar Schuhe, die zwar beide im gleichen hübschen Corporate-Rot gehalten sind, die man aber auseinanderhalten muss. Dem EVOLVER bin ich insofern verbunden, als ich für das Webzine seit über zehn Jahren mal mehr, mal weniger als Autor in die Tasten klopfe. So hab ich 1999 auch Peter Hiess kennengelernt; und kurz darauf erschien die Betaversion meines Trash-Thrillers „The Nazi Island Mystery“ im EVOLVER – als erster deutschsprachiger Online-Fortsetzungsroman. Eigentlich wollten wir das Werk gleich danach auch als Buch auf den Markt werfen – aber es hat knapp zehn Jahre gedauert, bis es dann wirklich soweit war. Der Print-Release von „The Nazi Island Mystery“ war auch die Geburtsstunde von EVOLVER BOOKS. Hinter dem Verlag und der Netzzeitschrift steht derzeit noch die gleiche Struktur (der Verein EVOLVER), aber das wird sich in allernächster Zukunft ändern, weil Peter und ich EVOLVER BOOKS in eine Firma umwandeln und dann auch geschäftlich eigene Wege gehen werden. So weit, so kompliziert. Wir grüßen unsere Großcousins (gibt’s dieses Verwandtschaftsverhältnis im Zeitalter der Patchwork-Familie eigentlich noch?) vom EVOLVER und halten die Daumen für die Zukunft – ihre und unsere.



Vincent Preis: „Das Buch der lebenden Toten“ entstand aus einem Kurzgeschichtenwettbewerb mit recht prominenten Juroren. Erzählt doch mal den Werdegang des Buches von Anfang bis Ende.



Hiess: Darf ich das bitte stichwortmäßig abhandeln – weil sonst sitzen wir übermorgen noch da. Also: Ex-EVOLVER-Chefredakteur Jürgen Fichtinger, (Genre-)Literaturexperte Thomas Fröhlich und ich hatten Anfang 2009 die Idee, einen Literaturwettbewerb im EVOLVER zu veranstalten. Wir luden also im Sommer dieses Jahres alle Leser und Autoren ein, eine Kurzgeschichte zum Thema Zombie zu schreiben (und zwar zu den altmodischen schlurfenden Untoten, nicht den „28 Days Later“-Sprintern): gediegen, originell, ohne postmoderne Hornbrillen-Ironie. Außer uns fanden wir noch sieben Juroren, u. a. Dr. Franz Rottensteiner, Michael Krug vom Otherworld-Verlag und den Künstler Jörg Vogeltanz, die leichtsinnigerweise zusagten. Und dann warteten wir ab und rechneten mit 30 oder 40 Einsendungen.

Es kamen 249. Bis die alle gelesen und bewertet waren, vergingen mehr als nur ein paar Monate – und zwei, drei Juroren haben sich bis heute nicht von der Strapaze erholt. Und dann fanden wir es eigentlich ziemlich schade, dass der Preis für den Gewinner nur darin bestand, dass seine Story im EVOLVER erscheinen durfte. Daher beschlossen wir, eine Anthologie zu machen und aus den sehr vielen guten Einsendungen die 22 besten auszuwählen. Das in jeder Hinsicht hochprofessionelle Ergebnis ist „Das Buch der lebenden Toten“. Wirklich preiswert und 1A. Von der Qualität der Einsendungen her hätten wir auch 40 Stories drucken können – aber das wäre dann doch zu teuer geworden. Vielleicht einmal als E-Book …



Vincent Preis: Welche Geschichten sind denn eure jeweiligen Favoriten?



Draxler: Im Grunde habe ich 22 Favoriten, aber mit einem Vorsprung von einem Zehntelmillimeter ist die Geschichte „Nachzehrer“ von Tobias Egle mein ganz persönlicher Liebling. Die Story spielt im ersten Weltkrieg, und Tobias Egle – der nicht etwa 90 vorüber ist, sondern gerade 25 Lenze zählt – hat es geschafft, in der Sprache dieser Zeit eine nervenzerfetzend spannende wie authentische Geschichte zu erzählen. Höchstes Niveau, sag’ ich nur …

Hiess: Mein absoluter Favorit, auch nach dem x-ten Lesen noch, ist „Ronnies Vorrat“ von Lothar Nietsch, die Geschichte von dem Speed-Junkie, der einem Zombie zeigt, wo der Bartl das Fleisch holt. Aber der Vorsprung vor den anderen Beiträgen ist auch bei mir nur ganz gering – gleich danach kommen der Wettbewerbssieger Sören Steding mit seinem makabren Untoten-Märchen „Frederika und der kleine Zombie“ und Michael Zandts in bester Eurotrash-Tradition stehender Beitrag „Nazi Zombie Holocaust“, nicht nur wegen des Titels.



Vincent Preis: Nach jahrelanger Zombieflaute traf es den Leser die letzten beiden Jahre fast schon inflationär: Zombies, wohin man blickt. Wie seht ihr diese Welle (und auch alle anderen im Horrorgenre) – und warum ist gerade „Das Buch der lebenden Toten“ einen Kauf wert?



Draxler: Weil das Buch neben einem grandios-gruseligen Cover aus der Werkstatt des österreichischen Künstlers Jörg Vogeltanz 22 originelle und unverwechselbare Zombie-Storys bietet. Und als ganz besonderes Extra enthält es absolut phantastische Illustrationen des deutschen Zeichners Timo Grubing. Wenn das keine Argumente für läppische 12 Euro 80 sind …

Hiess: Allgemein gesprochen, war die aktuelle und immer noch multimedial über uns hereinbrechende Zombie-Welle wahrscheinlich längst fällig. Schließlich sind die Untoten, wie mein Mitherausgeber Thomas Fröhlich und ich in unserem Vorwort zum „Buch der lebenden Toten“ geschrieben haben, die ehrliche und berechenbare Alternative zu unseren Politikern, Wirtschaftsverbrechern und Neuen Weltordnern. Bei Zombies weiß man wenigstens, was man zu erwarten hat; die halten sich keine Spin-Doktoren und Jubeljournalisten, die wollen nur Frischfleisch. Und sind auch nicht geistloser als Leute, die jahrzehntelang bei Fast-food vor dem Fernseher dahinvegetieren …

Wir haben natürlich auch über andere Phantastik-Trends nachgedacht – aber der Vampir ist seit „Twilight“ und der unsäglichen All-Age-Fantasy-Romantikwelle indiskutabel geworden; Torture-Porn hat sich nach dem anfänglichem Schockeffekt als perspektivlose Anhäufung von Grauslichkeiten herausgestellt; und Steampunk – so sehr wir dieses Genre lieben – lässt sich halt nur sehr schwer auf den deutschen Sprachraum übertragen.



Vincent Preis: Das Zombiebuch war nicht euer erstes. Der Roman „The Nazy Mystery Island“ ist eine verrückte Mischung aus James Bond, SF und Horror. Wie kam es dazu – und wer steckt hinter dem Pseudonym r.evolver?



Hiess: Ja, wie konnte es soweit kommen?! Über die Entstehungsgeschichte unseres Verlagsdebüts haben wir ja schon gesprochen … Was sich aber im Gehirn dieses r.evolver abspielen muss, um einen derartigen Plot auszuhecken, das soll er lieber selbst erzählen.

Draxler: Erwischt! r.evolver ist mein Pseudonym – dahinter steckt also ein gewisser Robert Draxler, Co-Verleger von EVOLVER BOOKS. Der Name hat übrigens, trotz des typographisch interessanten Punkts nach dem „r“, nichts mit der Netzzeitschrift zu tun. Es stammt aus einer Zeit, wo ich mit meiner Rock’n’Roll-Band durch die Lande getingelt bin, und ist ergo zirka 1000 Jahre her. Ja, so alt kann man trotz Sex & Drugs werden … oder vielleicht nur damit.



Vincent Preis: Madame Blanchard wird Gerüchten zufolge nicht lange in den Verlagsarchiven ruhen, sondern bereitet sich bereits auf den nächsten Einsatz vor.



Draxler: Mademoiselle Blanchard, bitteschön – unsere Agentin Kay ist ja nicht verheiratet. Und wenn sie weiter so männermordend durch die Welt zieht, wird es auch noch ein Weilchen dauern, bis sie unter die Haube kommt. Derzeit hat Kay Blanchard jedenfalls keine Zeit für Amouren, weil ein streng geheimer Einsatz in Kambodscha ansteht. Im gefährlichen Dickicht des goldenen Dreiecks wartet ein neues kniffliges Rätsel auf die britische Superagentin. So sie’s schafft, es zu lösen (und davon gehen wir aus) und es ihrem Chronisten r.evolver anschließend gelingen wird, den Geheimbericht termingerecht in einen ansprechenden Roman umzuwandeln (davon gehen wir ebenfalls aus), wird das Paperback mit dem Titel „Pol Pot Polka“ kommenden Oktober/November bei EVOLVER BOOKS erscheinen.

Hiess: Und einen Ausschnitt aus dem höchst fragwürdigen, aber auch äußerst liebenswerten Kay-Blanchard-Prequel „Beirut Boogie“ findet der Fan in der ersten Ausgabe unseres Schundheftprojekts SUPER PULP. Und das sage ich jetzt nicht nur zwecks Werbung. KAUFT ES! SOFORT! (beruhigt sich und geht ein Bier aufmachen)



Vincent Preis: Besonders augenfällig sind die Cover eurer Bücher. Nach welchen Kriterien wählt ihr die aus – und wer ist dieser herrliche Künstler?



Draxler: Das sind zwei Personen – einerseits handelt es sich um den österreichischen Künstler Jörg Vogeltanz, der (wie erwähnt) exklusiv für unser Zombiebuch ein wunderbares Cover gezaubert hat und auch für unsere übernächste Produktion zum Zeichenstift greifen wird. Hinter der graphischen Gestaltung von „The Nazi Island Mystery“ und dem Cover unsers Schundhefts SUPER PULP steckt eine mysteriöse Person namens Arthur Alexander, die wir eigentlich noch nie gesehen haben. Wir wissen auch gar nicht, ob es diesen Menschen tatsächlich gibt. Vor dem Release von Kay Blanchards erstem Abenteuer hat er uns sein Portfolio geschickt, das uns sofort überzeugt hat. Seine Entwürfe schickt er prinzipiell per Post. Er selbst ist nur über ein anonymes Postfach erreichbar. Seltsam, oder? Aber seine Covers sind toll.



Vincent Preis: Euer neuestes Buch kommt nicht aus der Trash-Ecke, sondern bietet einen konventionellen SF-Roman. Oder täuscht der Eindruck?



Hiess: O ja, der Eindruck täuscht tatsächlich! Wer Scott Bradley als konventionelle SF bezeichnet, muss damit rechnen, dass der Commander ihm demnächst einen privaten Besuch abstattet, mit Phaserkanone und Zigarre, um diesen Irrtum auf seine unnachahmlich brutal-männliche Art zu korrigieren. Andreas Winterer, Chef-Berichterstatter der Abenteuer von Scott Bradley – mit dem Untertitel „Blondinen, Blobs & Blaster-Schüsse“ – hat vor Jahren eine höchst erfolgreiche und witzige Science-Fiction-Parodie namens „Cosmo Pollite“ geschrieben, die uns beide sehr begeistert hat. Die Wachen in diesem Roman, die meistens untätig vor irgendwelchen Raumschiffschotts herumstehen müssen, bis sie von strahlenden Weltraumhelden weggelasert werden, haben für ihr kurzes Leben gern die Heftchen mit den Abenteuern eines gewissen Scott Bradley gelesen. Und da fanden wir, dass es nur gut und recht wäre, wenn auch irdische Leser endlich in den Genuss dieser überragend durchgedrehten Stories kommen könnten. (Ich kenn’ mich vor lauter Konjunktiven schon gar nimmer aus …). Daher jetzt unsere Frühjahrsproduktion des Weltraumjahrs 2011 – sozusagen die Pulp-Fiction der Pulp-Fiction, in der sämtliche geliebten Klischees des Genres auf die Schaufel genommen und in ihre Moleküle zerblasen werden. Höchst politisch unkorrekt natürlich, wie das Herrn Winterers und unsere Art ist, ohne Rücksicht auf Gender-Blabla und verfolgte galaktische Minderheiten. Schleimmonster bleibt Schleimmonster, da muss man schließlich was dagegen tun.

Konventionell, pah!



Vincent Preis: Wie stehen die Chancen für hoffnungsvolle Jungautoren, sich mit einem ihrer bemerkenswerten Manuskripte an euch zu wenden?



Draxler: Für die jungen, hungrigen Schreibwilden ist vor allem das SUPER PULP-Magazin aus dem Hause EVOLVER BOOKS interessant. Mit unserem verlagseigenen „Fachblatt für Pulp-Thriller, Horror & Science Fiction“ wollen wir in Zukunft auch unbekannte Autoren fördern, ihnen eine reelle Chance bieten, ihre Genre-Storys einem breiteren Lesepublikum vorzustellen. Und für uns ist das natürlich eine gute Möglichkeit, ein Talent zu testen: Kommt ein Text an? Verkauft sich das? Trägt der Stil des Autors eine große Produktion? Das mag jetzt alles sehr brutal und darwinistisch klingen, aber den Qualitäten einer Autorin oder eines Autors sozusagen im Feldversuch auf den Zahn zu fühlen hat für uns weit mehr Stil als eine der üblichen, vorgedruckten Standardabsagen.



Vincent Preis: Was die nächste Frage aufwirft: Auf welche Bücher dürfen wir uns 2011/2012 freuen?



Hiess: Sehr bald wird der erwähnte Band mit den gesammelten und spannendsten Scott-Bradley-Missionen erscheinen. Dann folgt Martin Comparts erschreckend guter Noir-Thriller „Die Lucifer-Connection“ – und im Spätherbst dann „Pol Pot Polka“ (das nächste Abenteuer von Superagentin Kay Blanchard) sowie eine weitere Ausgabe von SUPER PULP. Über 2012 sprechen wir dann im nächsten Interview, OK?



Vincent Preis: Wollt ihr abschließend noch ein paar Worte an die Vincent Preis-Gemeinde richten?



Draxler: Wir bedanken uns an dieser Stelle bei allen, die für unser „Buch der lebenden Toten“ gestimmt haben. Und bei all jenen, die nicht dafür gestimmt haben, bedanken wir uns auch – dafür, dass sie Bücher kaufen und lesen, dass sie dem weiten Feld der Phantastik- und Horrorliteratur zugetan sind und schließlich auch dafür, dass sie an einem tollen und wichtigen Bewerb wie dem Vincent Preis teilgenommen haben.

Hiess: Dem kann ich mich nur vollinhaltlich anschließen. Auch nach dem vierten Bier …



Vincent Preis: Vielen Dank für das aufhellende Interview. Wir wünschen euch noch viel Erfolg sowie tolle EVOLVER BOOKS und Schundhefte!

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