Robert N. Bloch (Interview)

 

Michael Schmidt: Stellen Sie sich doch als Person bitte einmal vor.

 Robert N. Bloch: Seit 1970 beschäftige ich mich mit phantastischer Literatur. Ursprünglich las ich angloamerikanische Autoren wie H. P. Lovecraft, Clark Ashton Smith, Algernon Blackwood etc. Später stieß ich dann auf die deutschsprachige Literatur, insbesondere auf die Autoren der Neoromantik, die um 1900 aufkam. Das erfolgreiche Triumvirat dieser Epoche besteht aus Hanns Heinz Ewers, Gustav Meyrink und Karl Hans Strobl. Doch es gibt so viele andere, die damals wie heute vergessen sind und deren Werke man nur noch in Antiquariaten aufstöbern kann. Es gab keine Bibliographie des Genres, und niemand wußte, was überhaupt erschienen ist. Ich entschloß mich, dieses Grundhandwerkszeug zur Erforschung eines Literaturgenres zu erstellen und las viele Jahre lang alte, stockfleckige Scharteken, um festzustellen, ob sie zur deutschen phantastischen Literatur gehörten. 1984 legte ich dann die erste Bibliographie der utopisch-phantastischen Literatur vor. Inzwischen ist 2002 eine erweiterte und verbesserte Version der Bibliographie erschienen. 1984 begann ich auch Autorenporträts zur Phantastik für diverse Lexika zu schreiben. Im Bibliographischen Lexikon der utopisch-phantastischen Literatur im Corian-Verlag erschienen in dreißig Jahren über 500 Beiträge von mir. Dabei bemühte ich mich besonders, Informationen über die unbekannten deutschsprachigen Autoren des Unheimlichen, Grotesken und Morbiden zu finden, ihre Lebensläufe aufzuhellen und - wenn möglich - Nachkommen zu entdecken. Diese Recherchen erstreckten sich über viele Jahrzehnte und führten schließlich zum Lexikon Eine Bildergalerie vergessener Phantasten. Von 2002 bis 2018 gab ich mit Gerhard Lindenstruth das Magazin Arcana heraus, das sich mit klassischer und moderner Phantastik beschäftigte. Hier erschienen neben unheimlichen und seltsamen Geschichten viele sekundärliterarischen Beiträge zur Phantastik.

 


Michael Schmidt: Hallo Herr Bloch, herzlichen Glückwunsch. Das von Ihnen herausgegebene Buch Eine Bildergalerie vergessener Phantasten wurde für den Rein A. Zondergeld Preis 2023 nominiert!

Worum geht es in dem Buch und wo kann man es erwerben?

Robert N. Bloch: Dieses Autorenlexikon behandelt den Zeitraum 1880 bis 1950, die sogenannte Neoromantik (die Romantik dagegen ist die Epoche des frühen 19. Jahrhunderts, ihre bekanntesten Vertreter sind E. T. A. Hoffmann, Ludwig Tieck und Friedrich de la Motte Fouque). Während dieser Epoche der Neoromantik wurde aus dem Kaiserreich Wilhelms II. die Weimarer Republik und dann das "Dritte Reich". Dazu kam der Erste Weltkrieg. Die gesellschaftlichen Umwälzungen waren gewaltig, und dies spiegelte sich auch in der Literatur wider. Die Menschen verloren ihren Halt und ihren Glauben. Viele Sonderlinge und Käuze griffen zur Feder und verfaßten bizarre, morbide und pathologische Texte, wie sie in keiner anderen Weltsprache erschienen sind; die Bücher nannten sich "Wahnsinn", "Das Irrenhaus" oder "Der Spiegel in der Burg des Wahnsinns"etc. Die meisten dieser Bücher sind bis heute vergessen und ihre Verfasser ebenso. In meinem Lexikon werden diese Autoren und ihre Werke einem modernen Publikum vorgestellt. Der Leser erfährt hier Einblicke in die Biographie des Autors, und die Werke werden im einzelnen vorgestellt und beschrieben. Abgerundet wird das Ganze durch eine Vielzahl von Abbildungen seltener Schutzumschläge und Einbände. Das Buch ist über amazon und booklooker.de beziehbar. Im regulären Buchhandel ist es nicht lieferbar.

Michael Schmidt: Sind weitere sekundärliterarische Werke unter ihrer Ägide geplant?

Robert N. Bloch: Es gibt durchaus noch einige Projekte, die ich erwäge, aber nichts davon ist in einem Stadium, daß ich heute darüber sprechen kann.

Michael Schmidt: Auf dem Gebiet der Phantastik und ihrer Spielarten, auch und vor allem als Kenner der Materie, sind Sie schon lange aktiv. Wie würden sie den Wandel in diesem langen Zeitraum beschreiben? Hat sich der Buchmarkt und die Phantastik Szene in dieser Zeit geändert? 

Robert N. Bloch: Zwischen 1970 und heute hat es enorme Veränderungen gegeben. Im späten 20. Jahrhundert waren die Leser ganz auf die Profi-Verlage angewiesen. Phantastik und unheimliche Literatur erschienen bei Heyne, Suhrkamp und Bastei-Lübbe. Was dort nicht publiziert wurde, blieb dem deutschen Leser unbekannt. Durch den Digitaldruck wurde es Kleinverlegern und Amateuren möglich, Bücher in kleinsten Auflagen zu geringen Kosten herzustellen. Dies führte dazu, daß es neben den großen Verlagen eine Unzahl von Nischen-Verlagen gibt, die Bücher für ein kleines Publikum von Connaisseurs des Unheimlichen publizieren. Davon profitiere ich selbst mit meinen Privatdrucken. Durch diesen technischen Wandel ist das Angebot von Büchern vielschichtiger geworden. Der zweite einschneidende Wandel geschah durch das Internet. Wenn man im 20. Jahrhundert vergriffene Bücher suchte, war man auf Antiquariate und deren Kataloge angewiesen. Jeden Tag erhielt ich Antiquariatskataloge, las diese durch und rief dann dort an, um die eine oder andere Rarität zu bestellen. Manchmal hatte man Glück, und das Buch war noch da, manchmal war es aber auch bereits verkauft. Heute weiß kaum noch jemand, was ein Antiquariatskatalog ist. Es gibt Bücherplattformen, auf denen Millionen von vergriffenen Büchern mit einem Klick bestellt werden können. Und dies weltweit! Für den Liebhaber vergriffener phantastischer Literatur ist es aber auch heute keineswegs einfach, seltene Phantastica zu erwerben, da das Angebot winzig und die Konkurrenz durch andere Sammler gewaltig ist.

 


Michael Schmidt: Sie haben eine sehr angesehene Reihe an Privatdrucken. Wie kam es zu der Reihe und auf welche Bände sind Sie besonders stolz?

Robert N. Bloch: Diese Buchreihe war niemals geplant. Michael Siefener hatte im Jahr 2000 eine Idee. Wir wollten das erste Buch von Montague Summers, einem britischen Exzentriker, im Deutschen herausbringen. Michael Siefener hat das Buch übersetzt und bevorwortet; ich besorgte ein feines Papier mit Wasserzeichen, lies es drucken und in einer nahegelegenen Buchbinderei in Leinen binden mit Fadenheftung und Goldprägung. Die Auflage betrug 75 Exemplare. Auf dieses Buch von 2001 bin ich heute noch stolz. Die Illustrationen fürs Buch entwarf der Berliner Maler Schädelwaldt, und jedes Exemplar ist von ihm signiert. Bis zum zweiten Privatdruck dauerte es fünf Jahre. Bis 2012 erschienen insgesamt sieben Privatdrucke, alle in teurer Ausstattung und in winzigen Auflagen. Es waren Bücher für Bibliophile. Dann schloß die Buchbinderei ihre Pforten, und ich konnte keinen gleichwertigen Ersatz finden. Da entschloß ich mich dazu, den nächsten Band als Paperback in limitierter Auflage von 90 Stück zu bringen. Das Paperback und seine Nachfolger, meist Reprints verschollener deutscher Phantastik, fanden ein Stammpublikum, so daß ich nicht aufhören konnte und wollte. Aber ohne MirkoSchädel, den ehemaligen Verleger der Achilla Presse würde es die Reihe nicht geben. Als Profi-Grafiker und Layouter hat er alle Bände gestaltet und ist für deren Gesicht verantwortlich. In jüngster Zeit ist auch Manfred Petry als exquisiter Übersetzer für mich unentbehrlich geworden. In der Reihe erscheinen Werke der deutschen unheimlichen Phantastik, meist älteren Datums, und deutsche Erstausgaben englischer und französischer Literatur des Makabren.

Michael Schmidt: Ihr Themengebiet ist die Vergangenheit der Phantastik. Waren die Geschichten früher besser oder ist das eher ein persönliches Interesse und welche Beweggründe haben Sie, mehr oder minder vergessene Perlen aus der Unsichtbarkeit hervorzuholen?

Robert N. Bloch: Man kann die Literatur verschiedener Epochen schwer miteinander vergleichen, geschweige denn sagen, welche die bessere sei. Ich habe eine Vorliebe für ältere Literatur. besonders für obskure, vergessene Autoren. Daher finden sich unter meinen Privatdrucken vornehmlich solche Obskuranten wie Adolf Stark, Paul Dahms oder Bodo Wildberg. Aber auch ein paar zeitgenössische Texte von Michael Siefener und Malte S. Sembten. Mir war es und mir ist es ein Anliegen, auf zu Unrecht vergessene Autoren aufmerksam zu machen und ihre Werke dem heutigen Leser wieder zugänglich zu machen.

 


Michael Schmidt: Wie nehmen Sie die aktuelle Phantastik Szene war?

Robert N. Bloch: Unter den zeitgenössischen deutschsprachigen Autoren schätze ich besonders Michael Siefener, den leider so früh verstorbenen Malte S. Sembten und Eddie M.Angerhuber. Auch Walter Brandorff hat einige großartige makabre Sachen geschrieben. Und der "Judas-Schrein" von Andreas Gruber ist ein unvergeßliches Leseerlebnis.

Michael Schmidt: Noch ein Wort an das Publikum!

Robert N. Bloch: Viele Liebhaber der älteren deutschen Phantastik glauben, daß die Leser dieser Literatur wegsterben und es bald niemanden mehr gibt, der sich dafür interessiert. Dies ist ein Irrglaube, wie meine eigenen Erfahrungen gezeigt haben. Die Zahl der Leser und Interessierten an diesem Genre nimmt ständig zu. In dem Maß, in dem die Zahl der Reprints deutscher Phantastik steigt, steigt auch die Anzahl der Leser. Viele Liebhaber des makabren Genres, die bisher nur Gustav Meyrink und Hanns Heinz Ewers als deutsche Verfasser wahrgenommen hatten, greifen auch gerne zu den "seltsamen Geschichten" des frühen 20. Jahrhunderts, den Sumpfblüten einer vergangenen Zeit, deren Eigenständigkeit gegenüber der französischen und angloamerikanischen Literatur es zu entdecken und zu genießen gilt. Dazu lädt meine Bibliographie sowie das neu erschienene Lexikon ein.

 


 

Kommentare

  1. Die Fragen und Erzählanregungen sind kenntnisreich und eröffnen Herrn Bloch den Rahmen, in dem er sein Wissen entfalten kann. Mir hat die wissenschaftliche Neutralität seiner Einschätzungen der erwähnten Autoren imponiert. Die Sachlichkeit und Offenheit mit der Bloch sich zu seinem Arbeitsprozess und den Kollegen, die ihn anregen, äußert, haben mich beeindruckt.

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  2. Umfangreiche und fundierte Arbeit des Spezialisten für Phantastische Literatur Robert N. Bloch. Ein Lexikon, das Kenner und Liebhaber der Phantastischen Literatur schätzen und Neueinsteiger einen guten Überblick verschafft. Die präzisen Formulierungen des Autors zu den Inhalten der Werke vermitteln einen guten Einblick in Motive, Stilistik und Themen der jeweiligen Autoren. Ein Werk, das in keiner Bibliothek fehlen sollte.

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