Interview mit Miss Rona Walter

Mit KALTGESCHMINKT legte Rona Walter 2012 ihr Romandebüt im Luzifer Verlag Steffen Janssen vor. Damit war der Roman die dritte Printveröffentlichung des Verlages überhaupt. Verleger Steffen Janssen ist nach eigenen Aussagen zufällig auf www.Romansuche.de (eine Webseite für Verlage und Literaturagenten mit Arbeitsproben unveröffentlichter Romane) auf das Werk gestoßen. Auch für die Autorin eine Überraschung, denn „Ich hatte offensichtlich vergessen, mich bei Romansuche.de abzumelden“ (Rona Walter in ihrem Interview auf „Die Loge“). Eins kann man danch getrost sagen: Ohne KALTGESCHMINKT und seine Autorin wäre das deutsche Phantastik-Jahr 2012 definitiv um einiges ärmer.
In unserem Interview plaudert sie unter anderem über ihre familiären und literarischen Wurzeln, den vom Zufall begünstigten Weg ihres Romandebüts, irische Märchen  und was sie an anderen und sich selbst sexy findet.
 
Photographer: Richard Ohme

Vincent Preis: Liebe Rona, erst einmal vielen Dank für deine Bereitschaft, dieses kleine Interview mit uns zu machen.
Obwohl auch dein Verleger das geflissentlich ignoriert, wenn er dich auf Lesungen vorstellt, legst du doch Wert darauf, dass dein Name in der englischen Sprechweise ausgesprochen wird, da du gebürtige Schottin bist. Bist du sparsam?


Rona Walter:
  Haha, das tut beinahe jeder. Manche sind einfach auch etwas mit der Aussprache überfordert - was auf meinen Verleger jedoch auf keinen Fall zutrifft. Ich glaube, er war einfach aufgeregt, da ich nicht unbedingt die beste Leserin bin. Eine gewisse „Bühnenangst“ kommt auch noch hinzu – und das alles hat er kurz zuvor noch von mir auf´s Brot gestrichen bekommen. Harter Tobak also.
Nun, als Schottin muss ich dieses Klischee der Sparsamkeit natürlich erfüllen, nicht? Ich bin in der Tat sparsam, was auch daran liegt, dass ich jahrelang Buchhändlerin war, ein anspruchsvoller Job, der viel Wissen erfordert, was aber in keinem Fall honoriert wird. Da bekommt jeder Einzelhändler im Sockenverkauf mehr. Dabei lernt man dann sparen und zu allem Überfluss bin ich seit November 2010 auch noch Autorin, Drehbuchautorin und Studentin. Es wird also in finanzieller Hinsicht nicht unbedingt besser (lacht).

VP:
Nein, im Ernst: Hast du dich mit deinen familiären Wurzeln beschäftigt oder herrscht bei Walters ohnehin ein reger familiärer Austausch?
RW:
Unsere familiären Wurzeln sind sehr weit verbreitet – was allerdings nicht heißt, dass diese Familie groß ist. Im Gegenteil. Ich habe italienische Ahnen mütterlicherseits und wohl auch tschechische, die aber keine Spuren mehr hinterließen. Zumindest bei mir nicht. Ich habe einen Halbbruder, der ein waschechter Bayer ist – mit Akzent! – und einen herzensguten, schwäbischen Stiefpapa. Mein leiblicher schottischer Vater spielte lange keine allzu große Rolle.

VP: Auf jeden Fall hast du dich mit der irischen Mythologie beschäftigt. In deinem Debütroman KALTGESCHMINKT geht es um einen Bestatter, der in die Intrigen der drei „Todesherrscher“ gerät und auch eine Blutfee spielt eine nicht unbedeutende Rolle. Wie bist du auf diese Idee gekommen?

RW: Tatsächlich beschäftigte ich mich mit den gälischen und keltischen Mythologien, die so spannend sind, man glaubt kaum, wie weitläufig die schottische „Lore“ allein schon ist. 
Das alles trägt immer einen Teil zu meinen Geschichten bei, mal mehr, mal weniger. Allerdings war es höchste Zeit für einen Auftritt der blutsüchtigen Liannan Sidhe, die so faszinierend ist und so facettenreich. Ganz gerecht konnte ich ihr leider nicht werden, denn sie ist einfach zu umfassend. Und überfordern wollte ich auch niemanden; ich halte nicht viel von 500 seitenlangen Beschreibungen, dazu fehlt mir auch das Talent, es spannend zu verpacken. Die Idee zu Kaltgeschminkt entstand während einer freiwilligen Arbeitslosigkeit vor drei Jahren und aus dem Kontext heraus, dass es seit den frühen 90ern keinen echten Bestatterroman mehr gegeben hat, zumindest nicht auf dem deutschen Buchmarkt. Daher dachte ich mir, warum nicht mal Genremix der anderen Art, keltische Folklore und zynischen Bestatterhorror, in dem der Bestatter für den Tod persönlich arbeitet…oder was man für den Tod hält. Eine logische Schlussfolgerung zwar, aber seltsamerweise kein Buch, das dieses Thema je aufgefasst hat. Da hab ich´s geschrieben. 

 
Cover by Timo Kümmel
VP: Der Hauptprotagonist aus KALTGESCHMINKT – Harris McLiod - ist ein zynischer und menschenscheuer Eigenbrötler. Auf den ersten Blick nicht die gängige Wahl für jemanden, mit dem sich der Leser identifizieren soll. Doch irgendwie scheinst du ihn zu mögen und auch Dr. House hat es schon vorgemacht: Ist Zynismus sexy?

RW: Auf jeden Fall! Und da gibt es keine Kompromisse. Ich bin ja selbst eine äußerst zynische Frau – pardon, das nennt man ja meist auch zickig – die auch oftmals die Sekunden zählt, wie lange das Gegenüber  braucht, um eine Spitze zu verstehen. Das amüsiert mich.
Das gute am Zynismus ist, dass er zum Einen manchmal an den richtigen Stellen unbemerkt bleibt und man trotzdem Dampf abgelassen hat, zum Anderen ist es bei uns Schotten immer „cool“ anstatt „eine Maske der Unsicherheit und Verbitterung“ wie es oft bei Deutschen der Fall sein soll. Zudem ist Harris mit seiner Art wirklich ein Überraschungscharakter, auch, da er einfach nicht immer an alles und jedem interessiert ist und den Leser auch mal mit seinem LMaA-gefühl in den Wahnsinn treibt, wenn er einfach nicht nachsehen will, was in dem eigentlich „leeren Stockwerk“ dort oben so rumort. Einfach aus Faulheit und Desinteresse. Aber ich liebe diese Anti-helden. Sie haben eine starke Stimme und ich hoffe sehr, dass die Leser auch eine ähnliche Sympathie für meinen Protagonisten Frederick Van Sade in Gläsern empfinden. Er ist ebenfalls … nun, speziell.

VP: Wie viel Rona Walter steckt in Harris McLiod.

RW: Ein bisschen nur. Ich habe ihn tatsächlich nach einem sehr sehr guten und engen Freund aus England kreiert, der ihm optisch beinahe alles lieh und mich heute wegen ein paar Beschreibungen (z.Bsp. bezüglich Harris´ nicht ganz so flachem Bauch) schon so manche Zeche übernehmen ließ. Dabei ist Harris ja nicht unattraktiv, er ist aber eben auch kein Adonis, die sind leider oft sehr klischeebehaftet und meist ohnehin langweilig. Charakterlich hat er mich ein bisschen inspiriert, es steckt aber auch ein moderner Rochester (Charlotte Bronté´s „Jane Eyre“) in ihm, immerhin DER Dandy und romantisch düstere „Held“ schlechthin!

VP: In KALTGESCHMINKT versteckt sich überdies noch eine kleine Liebeserklärung an die Schwarze Szene (Hamburgs) und die allgemeine Friedfertigkeit und Toleranz der Szene. Inwieweit fühlst du dich selbst der dunklen Gemeinde verbunden?

RW: Hier muss ich gestehen, dass ich schon einmal mehr mit der Schwarzen Szene zu tun hatte. Seit 1999 habe ich mich in ihr herumgetrieben und auch heute noch mag ich ihre Ruhe und entspannte Art - zumindest was die meisten Aspekte betrifft. Als Kaltgeschminkt auf den deutschen Markt kam, wurde ich allerdings derb von der Szene angegriffen und sogar in Foren massiv und persönlich beleidigt. Warum, haben meine Bekannten und ich allerdings noch nicht herausgefunden. Einige kreideten mir den Gothiclook von Blutfee Rachelle an (?), andere haben den Begriff „19th Century Gothic Novel“ missverstanden oder –interpretiert. Jedenfalls stehe ich seitdem etwas anders zu dieser sonst sehr friedlichen Szene. Ich mag noch die Musik und die Kleidungstile, doch die Anonymität im Internet hat auch hiervor nicht halt gemacht und bring manchmal doch erstaunliche Metamorphosen hervor. Und nein, das ist nichts Schweinisches. Nur zur Sicherheit.

VP: Geschichten aus dem Bestattermillieu. Da fallen mir zuerst Burke & Hare und SIX FEET UNDER ein. Hat dich etwas davon beim Schreiben beeinflusst?

RW: Nein, gar nichts davon. Beides liebe ich und an Burke & Hare habe ich sogar zufällig ein wenig am Script mitgearbeitet, wo ich die Dialoge teilweise schreiben durfte, stehe aber als Assistentin des Assistenten des Drehbuchautors (ein Bekannter von mir) nur ganz klein und ganz unten im Abspann. Damals fing ich ja gerade erst an.
Auch muss ich zugeben, dass mich beim Schreiben von Kaltgeschminkt rein gar nichts beeinflusst hat in diesem Fall. Auch bei meinen Short Stories geht es mir oft so, eine Geschichte entsteht einfach und man weiß nicht, woher sie so plötzlich gekommen ist. Also schnell aufschreiben.
Bei meinem neuen Buch, dem Gruselmärchen Gläsern war das anders, ich habe mich natürlich an Barbe Bleu und der walisischen Version von Snow White orientiert und auch hier begegnet man erneut keltischen Sagenwesen. Ohne Kitsch und Romantik, wie gewohnt. Dann haben auch Männer etwas davon.

VP: Du schreibst nach eigener Aussage im Stile der viktorianischen Gothic Novel. Wo liegt hier deine Inspiration? Welche Stilmittel daraus verwendest du?

RW: Das schwierige an meinen Büchern ist einfach, dass sie sich stilistisch sehr an einer Anne Radcliffe oder einem Lord Byron orientieren. Und das in der heutigen Zeit. In Britannien ist mein Stil noch heute äußerst beliebt, in Deutschland jedoch oftmals zu „anstrengend“ wie ich einmal hörte.
Dennoch liebe ich den Stil dieser gehobenen Schauergeschichten mit ihrem subtilen und immer überraschenden Horror. Ich halte mich an eine Aussage des englischen (Geister)Autors Wilkie Collins, der einmal sagte „es muss schlicht alles möglich sein!“. Das sehe ich ebenso und achte nicht auf die bereits vorgegebenen Muster und Normen, die einem sagen, dass man dieses nicht mit jenem mixen kann, dass dieser Plot ja nicht opportun wäre. Das ist alles Irrsinn und im Horrorgenre sind ohnehin keine Grenzen gesetzt. Dafür hat man doch die Phantasie und will den Leser damit unterhalten. Auch wenn mein besonderer Stil mir manchmal auf dem Verkaufsmarkt Schwierigkeiten bereitet, ich behalte ihn bei. Dann ist er eben nicht für jedermann geschaffen, aber es ist meiner. Und solange mir mein Verleger vertraut, kann doch nichts schiefgehen.

VP: Welche Schauerklassiker sind deine Lieblingsgeschichten?

RW: Ich liebe Anne Radcliffe´s Mysteries of Udolpho, alles von Byron - was sich ja in Grenzen hält - und auch Collins, Wilde natürlich und Conan Doyle, sowie Lewis (Gregory nicht D.F.!).

VP: Dein Roman KALTGESCHMINKT war die dritte Printveröffentlichung des Luzifer Verlags überhaupt. Wie hast du reagiert, als ein so junger Verleger mit nicht mehr als Versprechungen im Gepäck bei dir anklopfte und deinen Roman drucken wollte?

RW: Ich dachte erst an einen gelungenen Scherz. Aus Versehen und zugegebenermaßen auch Überdruss hatte ich ja meinen „romansuche.de“ account nicht gelöscht und beide Bücher bereits total vergessen. Gläsern bot ich ja schon seit seiner Fertigstellung 2005 an und bekam, wenn überhaupt, Ablehnung von den Verlagen. Wie das eben beinahe jeder Autor kennt. Ich habe ihm kompromisslos alles übergeben (bis auf die Filmrechte natürlich) und ihn machen lassen. Und er hat mich nie enttäuscht. Nicht einmal in diesem Jahr. Mit Kaltgeschminkt zuerst auf den Markt zu gehen fand ich anfangs seltsam, da es ja chronologisch gesehen die Folgegeschichte von Gläsern ist. Dennoch vertraute ich auf ihn und sein Ideen und Vorhaben. Wir haben uns, glaube ich, beide auf unseren Riecher im Buchgeschäft verlassen und so wurde eben der kranke Bestatterroman vor dem wahnsinnigen Märchen verlegt. Die Hamburger hat es zwar nicht so wirklich auf mich aufmerksam gemacht, obwohl es ja in ihrer schönen Stadt spielt (zufällig übrigens) aber dafür einige Horrorleser mit Hunger nach etwas Verrücktem. Getanzt habe ich dann allerdings erst so richtig, als das erste Buchpaket ankam und ich „mich“ bei Thalia stehen sah. Coole Sache. 

 
Cover by Timo Kümmel
VP: Die Zusammenarbeit scheint zu passen.Wie schon erwähnt, wird auchdein nächster Roman GLÄSERN ebenfalls bei Luzifer erscheinen (Trailer und Leseprobe unter http://www.luzifer-verlag.de/glasern-rona-walter/). Einige Zeilen der Inhaltsabgabe erinnern frappierend an Schneewittchen bzw. den derzeitigen Trend, Märchen(figuren) zu modernisieren und gegen den Strich zu bürsten. Zufall oder Absicht?

RW: Nun, 2005 als es entstand kam gerade wieder eine Märchenwelle auf in England. Da dachte ich mir, biete das doch mal in Deutschland an, da wohnst du ja derzeit immerhin. Und bis die Welle DA angekommen ist, ist genug Zeit. Allerdings keimte trotz meines Wissens nach dem neuen Trend aus UK nicht das Fünkchen von Interesse bei den Verlagen auf und mein Schreibstil wurde als „unverkäuflich“ zurückgewiesen. Das hätten sie mal zu Radcliffe & Co. sagen sollen… Aber gut.
Für das Mitschwimmen auf Trendwellen bin ich eigentlich nie, da ich immer an den Individualismus appelliere. Also habe ich mich nicht ganz am Grimm´schen Schneewittchen orientiert, sondern habe die walisische Version dafür genommen, wo man den Namen Eirwyn noch heute mit „Rot wie Blut, weiß wie Schnee“ übersetzt. Blaubart kam in seiner ursprünglichen französischen Fassung hinzu (oops, schon wieder ein Stilbruch) und ich habe alles in das Horrorgenre gepackt, wo es meines Erachtens auch hingehört.
Kein Zweifel, werden mir Snow White and the Huntsman und Hansel & Gretle: Whitchunters dieses Jahr einen unfreiwilligen Dienst erweisen, aber auf diesen Zug springe ich in dem Fall gerne auf. Nur, dass ich dieses Mal auch mitfahren darf.
Zum Glück widerholt sich ja jeder Trend hundertmal.

VP: Hast du weitere Werke in der Pipeline über die du uns schon etwas verraten kannst?

RW: Derzeit arbeite ich an meiner ersten Übersetzung aus dem Englischen. Ein toller Steampunkroman aus UK der dort schon ein kleiner Kult ist. Außerdem entsteht gerade wieder ein Drehbuch zu einer Dokumentation im norddeutschen Raum. Ein paar Short Stories für Horror-Anthologien habe ich ebenfalls verfasst und abgeschickt, den Anfang macht Diabolos schon wieder im LUZIFERverlag, in dem meine gemeine Geschichte Classíco den krönenden Abschluss bildet. Ansonsten schreibe ich für Annie Bertram´s Märchenanthologie, eine Heavy Metal Splatterantho und History Horror á la Sleepy Hollow.
Im kommenden Halbjahr wird dann an Buch Numero drei geschrieben. Das Skelett muss endlich bestückt werden.

VP: Neben deiner Arbeit als Autorin betreibst du noch die Produktionsgesellschaft Gloomy Media Scriptwriting. Wer kann deine dort angebotenen Dienste in Anspruch nehmen?

RW: Jedermann, der sich nicht von der derzeit übersteigerten political correctness windelweich hauen lassen hat. Ich mache düstere Filme für Firmen, also auch Imagefilme für z. Bsp. Irish Pubs, Buchtrailer mit etwas mehr als einem Bild und einem Text darunter der sich langsam von A nach B zoomt und dann verschwindet. Und Music Videos, bis dato immer für Gothic, EBM und Metalbands.
Zudem verfilme ich gerade den historischen Roman eines hiesigen Autors, was eine grandiose Idee und sicherlich auch ein toller, wenn auch harter, Dokumentarfilm werden wird. Aber man soll immerhin ja auch was lernen. Romantisierung bringt oft nichts.

VP: Ich danke dir vielmals für dieses Interview und wünsche dir viel Erfolg beim Vincent Preis 2012.

Photographer: Richard Ohme


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