Interview mit Faye Hell
Stell dir einen schlichten,
schwarzen Raum vor, zwei sich gegenüberstehende blutrote Kanapees, einen
schlichten, weiß lackierten Tisch, eine weiße Vase mit einer schwarzen Dahlie.
Im Hintergrund hören wir Sigillum S: https://www.youtube.com/watch?v=IPuKzB5SjRQ
VV: Moin Faye, du wirst jetzt
das zweite Mal von mir interviewt? Was ist denn heute dein Getränk deiner Wahl?
FH:
Danke für die Einladung zum Gespräch. Ich freue mich, dass dich meine Antworten
auch ein zweites Mal interessieren. Da ich gerade sehr fasziniert von der
vierten Staffel von „Peaky Blinders“ bin, nehme ich diesmal bitte einen Gin.
VV: Dein Roman „Rigor Mortis“
hat es in die Vincent Preis-Endrunde geschafft und könnte in der Kategorie
deutschsprachiger Horrorroman zum besten Roman des Jahres 2018 gekürt werden.
Was bedeutet das für dich?
FH:
Es bedeutet mir sehr viel und
natürlich würde ich mich wahnsinnig darüber freuen, wenn Rigor Mortis der beste
Roman des Jahres 2018 wäre. Was keineswegs heißen soll, dass ich unbedingt
gewinnen will. Es stehen auch andere tolle Autoren auf der Liste in dieser
Kategorie und auch denen würde ich die Ehre „bester Roman“ absolut gönnen.
Allen voran natürlich meinem lieben Freund M. H. Steinmetz. Gold für ihn wäre auf
jeden Fall genauso schön wie Gold für mich.
Ich finde es einfach extrem wichtig, dass es den Vincent Preis gibt und bin
glücklich, dass die für das Horror-Genre so bedeutende Tradition fortgesetzt
wird.
VV: Und dann noch die Anthologie
Ghost Stories of flesh and blood mit m. H. Steinmetz als Mitherausgeber als
beste Anthologie! Wo steckte denn mehr Arbeit drin?
FH:
Da hast du ihn, den M. H.
Steinmetz! Mario ist aber auch mehr als ein Autorenkollege. Er ist ein echter
Freund und diese Freundschaft geht weit über das Schreiben hinaus. Aber danach
hast du ja gar nicht gefragt. *grins*
Die Herausgeberschaft für eine Anthologie bringt so viel mehr Arbeit mit sich,
als man annehmen würde. Und vor allem so viel mehr Verantwortung. Es sind
plötzlich nicht nur deine Worte, für die du nur das Beste und auch Fairste
willst. Du hast eine ganze Autorengruppe, die sich darauf verlässt, dass du
dich für sie einsetzt und wenn nötig auch für sie kämpfst. Kämpfe hinterlassen
bekanntlich aber auch Spuren.
Ich liebe jede einzelne Geschichte in den Ghost Stories, so wie ich alle
Autoren wertschätze und bewundere, und ich bin verdammt stolz auf die
Anthologie.
VV: Worin unterschied sich denn
die Arbeit bei beiden Büchern?
FH:
Roman bedeutet: meine Welt,
meine Regeln, meine Verantwortung.
Anthologie bedeutet: das alles für alle.
Herausgeberin ist ein bisserl wie der Job der Direktorin einer Schule. Und ich
bin, um ehrlich zu sein, doch lieber Lehrerin als Direktorin. Das ist auch ein
kleiner Hinweis auf meinen Brotjob, den ich voller Überzeugung und Liebe
ausübe, aber ich denke, dass ich es einfach nicht besser darstellen könnte als
mit diesem Vergleich.
VV: Rigor Mortis spielt in
Alaska. Du warst vor Ort? War das eine Recherchereise oder kam die Inspiration
dazu erst im Anschluss?
FH:
Bereits bevor ich zur Reise
aufgebrochen bin, es war übrigens mein zweites Mal in Alaska, war mir klar,
dass ich dort die Idee zu meinem neuen Roman finden will und auch werde.
Allerdings wusste ich absolut noch nicht, in welche Richtung die Story gehen
soll. In einer kleinen Holzhütte am Fuße des Gletschers in Kennicott war die
Idee einfach da, als hätte jemand plötzlich das Licht in einem stockfinsteren
Raum aufgedreht. Es war, als hätte mir die magische Umgebung die Idee eingeflüstert
und einmal daran gedacht, kam auch nichts anderes mehr in Frage. Dies geschah ziemlich
zu Beginn der Reise, die insgesamt fast vier Wochen dauerte, und jede weitere
Station hat neue Handlungsfetzen und Kapitel mit sich gebracht.
VV: Du stellst gerade auf
facebook zu Rigor Mortis Urlaubsbilder von vor Ort öffentlich ein. Tolle Idee!
Ich finde deine Landschaftsbeschreibungen atmosphärisch dicht und die Bilder
und meine Vorstellungen waren ziemlich kongruent. Allerdings atmet bei dir
natürlich auch der Alltag in RM Abseitiges, Skurriles. So erlebt oder so
gesehen? Die Reisegruppen, die schönen Menschen … weißt du, was ich meine?
FH:
Ich danke dir! Ich bewundere
Jean Christophe Grange, der ja Reisejournalist gewesen ist, vor allem wegen
seiner greifbaren Schilderungen und genau diesen Weg will ich mit Rigor Mortis
auch gehen. Ich freue mich, dass mir das ein wenig gelungen ist.
Und die Reisegruppe?
Fast genauso erlebt, aber auf jeden Fall exakt so gesehen!
Es gibt tatsächlich einen Reiseanbieter, der auf Luxusreisen nach Alaska spezialisiert
ist. Luxus und Alaska, das passt so gut zusammen wie ... hmmm ... Faye Hell und
ein Weihnachtsgottesdienst. Das kann funktionieren, braucht aber kein Mensch.
Überhaupt fließen sehr viele tatsächliche Erlebnisse in den Roman ein. Ich
denke, das macht einiges der Authentizität aus, denn ja, Alaska ist magisch und
auch verstörend.
VV: Ich gehe einmal davon aus, dass die Mitlesenden hier RM gelesen haben. Wenn
nicht, sollten sie es nachholen. Die schwarze Pyramide? Ausgedacht oder dort
eine Legende?
FH:
Die Grundlage ist nicht
ausgedacht. Die Geisterjägerin, die ich in Fairbanks getroffen habe, hat mir
davon erzählt. Sie will auch mal Crowdfunding machen, um eine Suche dieser
Pyramide zu finanzieren. Wer im Netz recherchiert, findet einige Beiträge zu
diesem Thema.
Allerdings habe ich mir die Freiheit herausgenommen, diese Legende für meine
literarischen Bedürfnisse etwas zu modifizieren und ihre Bedeutung meinem Plot
anzupassen. Dazu habe ich die eher moderne Legende der Schwarzen Pyramide mit
sehr alten Volkssagen aus dieser Region verbunden.
VV: Ich finde, in RM suchst du
neue Herausforderungen … die Geschichte spielt aus verschiedenen Perspektiven,
hat verschiedene Zeitebenen, verschiedene Handlungsstränge. Dir gelingt es
außerordentlich gut, alles strukturiert wiederzugeben. Bist du auch beim
Schreiben strukturiert? Legst du dir Karteikarten oder eine Liste an?
FH:
Einen Roman zu schreiben, der so
verschachtelt ist und mehrere Erzählstränge aufweist, die ineinander greifen,
bedarf einer sehr genauen Recherche, Vorbereitung und Planung. Ich weiß, dass
viele Autoren quasi „aus dem Bauch heraus“ schreiben. Auch ich lasse mich vom
Moment mitreißen, aber ich weiß, wohin die Reise geht. Fakt ist, dass gerade
bei Rigor Mortis der ganz Roman „fertig“ war, bevor ich nur ein Wort
geschrieben habe. Mag heißen, ich habe alle Charaktere entworfen, jeden
einzelnen Handlungsstrang genau durchdacht und schließlich die Anordnung und
Struktur der Kapitel entworfen.
Klingt herzlos?
Klingt zu organisiert?
Schreiben ist für mich auch Handwerk und jeder, der eines meiner Bücher liest,
wird gewiss bestätigen, dass sie keineswegs herzlos sind. Ich atme, lebe, spüre
jede Szene, die ich schreibe. Kenne jede Hauptfigur, wie ich wohl nur meine
engsten Freunde kenne.
VV: Gibt es ein wiederkehrendes
Thema in deinen Romanen? Verschränken sich so wie bei King auch die Figuren in
deinen Werken? Ich denke da vor allem an Count Mortis …
FH:
*lach*
Fangen wir mal mit dem Thema an. Ein zentrales Thema ist für mich die Liebe.
Mehr dazu gleich. Darüber hinaus haben alle meine Werke eine gewisse
Gesellschaftskritik. In Rigor Mortis ist diese Ebene besonders stark ausgebaut,
da ich ihr mit Count Mortis ein Gesicht verliehen habe.
Und ja, du bist nicht der Erste, der mich fragt, ob meine Figuren sich
vielleicht verschränken. Ich kann nur sagen, das tun sie. Gerade Richard Darius
ist nicht zufällig mein Mann in
Schwarz, denn auch er ist nicht ganz „neu“ in meiner Welt und vor allem wird es
ein (indirektes?) Wiedersehen geben. Sein Atem erstreckt sich in ein Werk, an
dem ich als nächstes arbeiten werde. „Das Zeitalter der Kröte“, eine
dystopische Novelle, die bei Amrun erscheinen wird.
Was aber nicht bedeutet, dass die Bücher nicht jedes eigenständig für sich
allein rezipiert werden können, denn genau darauf lege ich extrem viel Wert.
Versteh es mehr als Intertextualität, die sich auch auf mein eigenes Universum
bezieht.
VV: Schon im vorherigen Interview im Horror-Forum habe ich dich über deinen
Bezug zur Liebe im Horror gefragt. Ich persönlich lese in RM noch einmal eine
thematische Erweiterung heraus. Ich nenne es mal das liebende Böse und puh, du
hast da eine ganz schöne Fallhöhe geschaffen und einen märchenhaften Duktus
kreiert. Mich hat die Geschichte des Kaisers von Dawson stellenweise an eine
Tim Burton-Verfilmung erinnert. Voller Tragik. So, wo ist jetzt meine Frage
hin? Ach ja, Liebe und Horror … hast du dich oder das Thema da erweitern
wollen?
FH:
No love, no Horror.
Für mich gibt es keine Horrorliteratur ohne Liebe. Liebe ist die stärkste
Kraft, überwindet alles, kann alles vernichten. Und ja, ich wollte dieses Mal
noch einen Schritt weiter gehen. Ich weiß nicht, ob ich jemals eine derart
vielschichtige Figur entworfen habe wie den Kaiser von Dawson. Randall
Henderson ist das personifizierte Böse, aber er ist erschreckend menschlich in
seiner Überlegenheit und sein erhabener Hass kann voller Liebe sein. Ist voller
Liebe! Ich wollte, dass er dem Leser nahegeht. Ich wollte das Stereotyp
angreifen, aufbrechen, aufreißen bis es leidet und blutet und damit genau das
macht, womit wir Menschen immer wieder konfrontiert sind. In der Tat spüre ich
selbst gerade in Kennicott sehr viel von der traurigen und tiefgehenden Liebe
und bizarren Schönheit eines Tim Burtons. Es gibt eine Szene im Buch, da habe
ich geweint, während ich sie geschrieben habe. Okay, da gibt es mehrere Szenen.
Aber diese Szene hat mich beim Überarbeiten und beim Lektorat noch mal zum
Weinen gebracht. Es geht um ein Vogelbuch ... und um einen kleinen Jungen.
VV: Ja, die Szene ist wirklich, wirklich heftig! Okay, jetzt noch einmal zu den
Ghost Stories … eine krasse Anthologie, wie ich finde. Sehr … fleshig, ohne das
es abgesprochen war. Aber immer sehr mit Tiefgang und durchaus auch erotisch.
Wie ist das als Herausgerberin? Ist dir, ist euch das auch aufgefallen?`
FH:
Es gab
ja die Vorgabe „New American Gothic“ und das Genre, das zum Beispiel Brian
Keene berühmt gemacht hat, lebt natürlich auch von dieser fleischlichen
Komponente. Dennoch war ich selbst absolut fasziniert davon, wie vielfältig und
dennoch stimmig die Geschichten geworden sind. Körperlichkeit, nicht unbedingt
durchgehend im Sinne von Body Horror. Harte Erotik, aber keinesfalls alles
davon Hardcore. Die Storys sind, denke ich, schön zu lesen, aber nicht ganz
einfach zu verdauen. Sie zielen auf die Magengrube, sind fesselnd, unheimlich
und elementar verstörend zugleich.
Ich hätte jede(n) Autor(in) mehrfach küssen können für diese unfassbare
Leistung. So viel zum Thema fleshig. *grins*Ich bin unfassbar stolz auf die
Anthologie und denke aufrichtig, dass sie verdammt gut geworden ist.
VV: Macht man sich dann
eigentlich viele Gedanken zu der Anordnung der Geschichten? Ich kenne einen
Verleger, der wählt die Reihenfolge total zufällig aus …
FH:
Hier muss ich sagen, dass wir darauf keinen Einfluss genommen haben. Die
Reihenfolge der Geschichten hat der Verlag festgelegt.
VV: Sag mal, wohin geht der nächste
Urlaub? Neuer Schauplatz? Nein, im Ernst, kannst du schon was zu anstehenden
Projekten sagen?
FH:
Der nächste eigenständige Roman (davor kommen noch ein Sachbuch, eine Novelle
und wieder eine Gemeinschaftsprojekt ... ja, ich habe viel vor) ist während
meiner Reise durch den Südwesten Amerikas entstanden. Und auch diese Idee wurde
von Reisestation zu Reisestation immer konkreter. Ich will nur so viel
verraten, dass ich auch mit diesem Roman wieder neue Wege gehen werde und dass
ich jetzt schon darauf brenne, ihn zu schreiben.
VV: Faye, ich danke dir von Herzen für das Interview und wünsche dir viel
Erfolg für die Endrunde. Und ich wünsche mir auch, noch viel mehr von Dir lesen
zu können. Rock on!
FH:
Ich danke dir für die sehr spannenden Fragen und für die lieben Wünsche. Das
bedeutet mir sehr viel. Ich freue mich schon auf weitere Gespräche und den
einen oder anderen Gin. Und ich brenne darauf, hoffentlich sehr bald
„Infiltriert“ zu werden.
Und an dieser Stelle folgen die 11 ...
Bullets (Wie aus der Pistole geschossen …)
VV: Suppe oder Salat?
FH: Suppe
VV: Du hast ein Reiseziel zu Auswahl. Wohin soll es gehen?
FH: Grönland
VV: Die schlimmste Art zu sterben?
FH: ertrinken
VV: Die schönste Art zu lieben?
FH: gegenseitig
VV: Pizza oder Pasta?
FH: Pizza
VV: Film oder Serie?
FH: Film
VV: Du hast einen Leseort deiner Wahl. Welcher wäre das?
FH: ein gemütliches großes Sofa mit vielen Kuscheltieren darauf
VV: Dracula oder Frankenstein?
FH: Dracula
VV: Warum?
FH: Familie halt!
VV: Lieblingsjahreszeit?
FH: Herbst
VV: Welchen Vorsatz hast du umgesetzt?
FH: Meine Ziele nicht aus den Augen zu verlieren.
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