Interview mit Jana Oltersdorff
Stell dir einen schlichten,
schwarzen Raum vor, zwei sich gegenüberstehende blutrote Kanapees, einen
schlichten, weiß lackierten Tisch, eine weiße Vase mit einer schwarzen Dahlie
zum Inhalt. Im Hintergrund hören wir Cryo Chamber : https://www.youtube.com/watch?v=ppiGTLqfaWc
VV: Moin Jana, herzlich
Willkommen hier beim Vincent Preis. Schön, dass du da bist. Was möchtest du
trinken?
JO: Moin, Vincent! Um die Uhrzeit? Da wäre ein Cuba Libre schön. Oder Sekt.
Sekt geht immer.
VV: Deine Erzählungen aus „Dunkle Begegnungen haben es bis in die Endrunde des
Vincent Preis´ für die beste Storysammlung geschafft. Wie fühlt sich das an?
JO: Ich bin Mitglied bei Qindie fast seit dessen Gründung. Qindie ist ein
Zusammenschluss von unabhängigen AutorInnen, die sich zum Ziel gesetzt haben,
Büchern, die durch ihre handwerkliche Gestaltung und ihre sorgfältig
ausgearbeiteten Texte von Verlagspublikationen quasi nicht zu unterscheiden
sind, ein Gütesiegel zu verleihen – das Q. Wir haben mit Qindie also dem
schlechten Ruf, den Selfpublishing leider immer noch in den Köpfen vieler hat,
den Kampf angesagt. Das Q soll dem potenziellen Leser also zeigen: Hier hast du
ein sorgfältig erstelltes Buch mit sauber lektorierten Geschichten und
professioneller Innen- und Außengestaltung, ganz ohne Verlag. Ob es dem
potenziellen Leser dann auch inhaltlich gefällt, steht freilich wieder auf
einem anderen Blatt.
VV: Ah, Okay. Ich muss sagen,
ich habe bei deinen Geschichten nie darauf geachtet, weil es nie etwas zu
bemängeln gab … Deine Geschichten sind für mich eine sehr … krasse Mischung aus
Alltag und Abseitigem. Treffe ich das einigermaßen oder liege ich da falsch?
VV: Du schreibst, das ist mir in
der Storysammlung aufgefallen, oft aus der Sicht männlicher Protagonisten?
Woran liegt das? Nein, die Frage mit dem Quälen vorher hat gar keinen Bezug
hierzu … ;) Aber steckt da vielleicht auch eine Art von Kritik hinter?
JO: Oh, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Gerade mal nachgezählt:
Von den zehn Geschichten in „Dunkle Begegnungen“ erzähle ich genau die Hälfte
aus einer männlichen Perspektive. Das ist … interessant. Was das über mich
aussagt? Ich hoffe, nicht viel mehr als dass ich durchaus in der Lage bin, mich
in das andere Geschlecht zu versetzen, um glaubwürdig aus seiner Sicht zu
erzählen. Aber Absicht oder irgendeine Art von Kritik steckt nicht dahinter.
Bei mir steht oft zuerst eine grobe Idee, dann folgt der Protagonist. Ich habe
mich oft gar nicht bewusst für das eine oder andere Geschlecht entschieden, das
ergab sich einfach aus der Idee und dem Plot. In manchen Fällen konnte die
Story nur mit einer männlichen Hauptfigur funktionieren, in anderen musste es
unbedingt eine Frau sein, wie zum Beispiel meine resolute Rita aus „Im
Waschkeller“. Bei den Geschichten, wo es im Prinzip egal war, habe ich einfach
das Geschlecht genommen, das mir als erstes in den Sinn kam oder anders
ausgedrückt: Ich habe meinen inneren Blick auf die Leinwand meines Kopfkinos
konzentriert und mir die Person angeschaut, die da als erste auftauchte.
VV: Und jetzt? Feste
Schreibzeiten oder eher, wenn dich die Geschichte treibt?
VV: Wird es mal einen Horror-Roman von dir geben?
VV: Du schreibst regelmäßig im Genre Horror. Was fasziniert dich daran?
JO: Ich grusele mich einfach gerne, aber eben nur mit Horrorgeschichten und
Horrorfilmen. Ansonsten bin ich ein ziemlich angstfreier Mensch, zumindest was
die typischen Ängste vor Krabbeltieren, der Dunkelheit oder der Situation,
nachts allein zu Hause zu sein, angeht. Guter Horror, der mir Gänsehaut
bereitet, löst etwas in mir aus, ein Gefühl des Lebendigseins, wenn man das so
nennen möchte. Und wenn ich es schaffe, ein wenig dieses Gefühls auch bei denen
auszulösen, die meine Geschichten lesen, dann macht mich das wirklich
glücklich.
VV: Finde ich spannend mit dem „Lebendigsein“. Wie bist du eigentlich mit
„Horror“ sozialisiert worden?
JO: Das ist toll, wenn du das so wahrnimmst. Tatsächlich spielt das
Übernatürliche in den meisten meiner Geschichten eine Rolle. Es bricht in den
Alltag meiner Figuren ein, es bedroht sie und die, die sie lieben. Vielleicht
kommt es deshalb so glaubwürdig rüber, weil ich für meine handelnden Figuren
auch immer ganz normale Leute auswähle, wie sie jedem von uns tagtäglich
begegnen. Die wissen oft selbst nicht, was da gerade mit ihnen passiert. Oft
können sie gar nichts dafür – klassischer Fall von „Falsche Zeit, falscher Ort“
– sie stolpern in diese Situationen und müssen versuchen, da lebend und
unversehrt wieder rauszukommen.
VV: Was war denn das
Gruseligste, das dir selbst passiert ist?
JO: Es passierte nicht mir direkt, sondern meinem amerikanischen Cousin, als
ich 1994 die Sommerferien bei meinen US-Verwandten verbrachte. Wir machten
einen Roadtrip quer durch den Westen der USA, rauf bis Montana und wieder
zurück bis San Francisco. Irgendwo unterwegs besuchten wir abends eine
Veranstaltung, wo ein alter Indianer mit Hut, so richtig klischeehaft wie aus
einem Film, einen Vortrag über die Geschichte seines Volkes hielt und auch
Lieder sang und so weiter. Meine Tante ist Biologielehrerin und Archäologin und
war schon immer zutiefst fasziniert von Indianern (Jahre später heiratete sie
sogar mal einen), deshalb waren wir da überhaupt hingegangen. Jedenfalls saß
ich neben meinem Cousin, der auch ganz andächtig lauschte, und dieser Indianer
schaute immer wieder zu ihm. Nach dem Vortrag kam er zu meinem Cousin, schaute
ihm in die Augen und sagte: „Ich kenne dich.“ Mein Cousin reagierte unsicher
und meinte nur „Nee, kann nicht sein, wir sind zum ersten Mal hier.“ Aber er
antwortete: „Ich spreche auch nicht von dir, wie du jetzt bist. Ich kenne deine
Seele. Sie ist alt und gehörte einst zu uns.“ Alter. Ich kriege heute noch
Gänsehaut, wenn ich daran denke.
VV: Glaubst du, es gibt so etwas? So … komische Dinge??
JO: Ja, ich befürchte, diese „komischen“ Dinge gibt’s tatsächlich. Ich meine
damit nicht, dass ich an Monster, Vampire und Zombies glaube, auch nicht
unbedingt an Poltergeister und dergleichen. Aber solche Dinge wie die Story mit
dem alten Indianer, die fühlen sich ziemlich echt an. Da wird wohl wirklich
mehr zwischen Himmel und Erde sein, als wir Menschen wahrnehmen können. Aber es
jagt mir keine Angst ein, es hinterlässt bei mir eher ein ehrfürchtiges Gefühl.
VV: Okay, ich kriege langsam Gänsehaut … Jana, kannst du etwas über kommende
Projekte verraten?
VV: Vielen Dank, Jana, dass du da warst. Viel Erfolg für die Endrunde!
Bullets (Wie aus der Pistole geschossen …)
VV: Gruseligstes Märchen?
JO: Das kalte Herz
VV: Warum?
VV: Käse mit Weintrauben oder
Pflaumen mit Speck?
JO: Muss ich mich entscheiden? Na gut: Käse mit Weintrauben.
VV: Würdest du lieber in die Zukunft oder in die Vergangenheit reisen?
JO: Die Zukunft.
VV: Frühling oder Herbst?
JO: Frühling. Trotz Heuschnupfen.
VV: Guter Horror ist für mich … ?
JO: Eine Geschichte, die lange nachwirkt, die mich nachdenken lässt, mich
innerlich durchschüttelt. Als filmische Beispiele nenne ich mal „Dark Water“
mit Jennifer Connelly und „Get Out“ von Jordan Peele.
VV: The Ring oder Freitag, der 13te?
JO: The Ring.
VV: Deine Lieblingshorrorfigur ist …?
JO: Freddy Krueger. Scheiße, der Typ taucht in deinem Traum auf, und wenn er
dich da tötet, stirbst du wirklich. Der war für mich immer der Endgegner, gegen
den man nur verlieren kann.
VV: Du darfst dir einen Ort für eine Lesung aussuchen. Welcher wäre das?
JO: Ich habe meinen Lieblingsort für Lesungen schon gefunden: Das „Theater
Schöne Aussichten“ in meinem Wohnort Dietzenbach. Das ist wie ein gemütliches
großes Wohnzimmer, nicht zu groß, und der Theaterchef ist ein herzensguter,
lustiger Kerl und Freund von uns.
VV: Hund oder Katze?
JO: Katze.
VV: Deine magische Waffe gegen das Böse wäre ein/e …?
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