Michael Marrak zu Kaskade (Interview)

 


Michael Schmidt: Hallo Michael, dein Roman Lex Talionis ist für den Seraph als Bester Roman nominiert. Herzlichen Glückwunsch!


Michael Marrak: Vielen Dank. Mal sehen, wohin das führt, aber die Konkurrenz ist saustark. Da es keine Shortlist mehr gibt, müssen die Nominierten bis zur Seraph-Verleihung in Leipzig warten und hoffen. Wir stehen dann wahrscheinlich alle nervös in der Menge und halten gegenseitig Händchen.

 


Michael Schmidt: Der Roman ist der erste Teil einer längeren Geschichte. Die Fortsetzung De Profundis ist für Mai angekündigt. Für die Besitzer von Lex Talionis gibt es ein besonderes Schmankerl, und die heißt Kaskade. Was hat es damit auf sich?


 Michael Marrak: Kaskade ist praktisch die XXL-Vorzugs- bzw. Sammlerausgabe des kompletten Romans, also Lex Talionis und De Profundis in einem Band; ein rund 700 Seiten dickes Hardcover mit Signet-Vorsatzblatt und Lesebändchen.

Ein besonderer Service des Verlags ist dabei, dass Leser, die den ersten Band bereits gekauft haben und die Sonderausgabe bestellen möchten, Lex Talionis an den Verlag zurücksenden können und den damaligen Verkaufspreis des Buches auf den Verkaufspreis der Sonderausgabe angerechnet bekommen.


Michael Schmidt: Wird Kaskade limitiert sein?


 Michael Marrak: Das war meine ursprüngliche Idee, die ich dem Verlag vorgeschlagen hatte. Inzwischen haben wir beschlossen, nicht mehr von einer Limitierung oder von nummerierten Bänden zu sprechen. Es ist eine Vorzugsausgabe, deren begrenzte Auflage sich aus den Vorbestellungen ergeben wird, die wir bis Ende Mai, also bis zum letzten Tag des in Berlin stattfindenden MetropolCons, gesammelt haben werden. Darum Erscheint Kaskade auch frühestens Ende Juni, etwa zwei Monate nach De Profundis. Die Auflage ist abhängig von der Zahl der bis dahin erfolgten Vorbestellungen. Aber sie wird definitiv begrenzt sein, denn auf gut Glück 100 Exemplare mehr zu drucken, als Bestellungen eingegangen sind, ist angesichts der aktuellen Druckpreise in der Energiekrise zu riskant.

 


Michael Schmidt: Die Einzelbände werden verfügbar bleiben?

 

Michael Marrak: Natürlich, denn es sind ja die regulären, über den Buchhandel erhältlichen Romane. Die Vorzugsausgabe selbst ist nur über den Verlag erhältlich. Ein solches Liebhaber- bzw. Sammlerprojekt rechnet sich bei den aktuellen Druckkosten und Preisrabatten von über 50 Prozent, die z.B. Amazon fordert, nur, wenn es ausschließlich über den Verlag bezogen werden kann. Der Band wird deshalb auch keine ISBN haben. Alle Informationen zu Kaskade und zur Vorbestellung gibt es auf der Buchseite des Verlags: Kaskade

 

Michael Schmidt: Jetzt interessiert die Leser natürlich was sie in Kaskade erwartet. Worauf darf sich der Leser freuen?

 

Michael Marrak: DE PROFUNDIS ist der spannendere und phantastischere der beiden Teile, mit einem rund 150 Seiten langen, in drei Etappen verlaufenden Showdown. Im ersten Band erfährt Lex zwar, dass er es mit einer Entität zu tun hat, aber noch nicht, was diese wirklich ist, warum sie so fixiert auf Lex ist, was Miriam unter Wasser gehört hat, welche Ziele das Wesen eigentlich verfolgt und wie einst alles begann. Die Fragen aus Teil 1 werden aufgelöst: Was hat es mit der geheimnisvollen Tür in Simons Haus auf sich, was mit der zweiten Entität, die sich zunehmend in Lex' Bewusstsein drängt, was mit der Echo-Dimension, und so weiter.

 

 

Michael Schmidt: Kaskade ist dein bisher längster Roman?

 

Michael Marrak: Definitiv. Im Layout des ersten Kanon-Romans hätte Kaskade eine Länge von 870 Seiten, also gut 140 mehr als der Kanon. Da das Memoranda-Layout sparsamer ist, wird das Kaskade-HC "nur"rund 700 Seiten umfassen, ist damit aber immer noch ein Brocken.

 


Michael Schmidt: Warum ist der Roman bei Memoranda erschienen?

 

Michael Marrak: Das resultiert im Grunde aus einer Verkettung unglücklicher Umstände und der Tatsache, dass ich danach für eine Weile die Lust am Projekt verloren hatte – zugunsten des ersten Kanon-Romans.

Die Geschichte von Lex Talionis und De Profundis begann 2014, als ich das Projekt unter dem Namen Kaskade für Bastei Lübbe angefangen hatte, basierend auf meinen Erzählungen NUMINOS (2002 erschienen in der Anthologie „Alte Götter sterben nicht“) und RELICON (2005 erschienen in der Anthologie „Der Atem Gottes“). Beim Schreiben dieser Zeilen fällt mir auf, wie treffend und handlungsrelevant allein die – nicht von mir stammenden – Anthologietitel damals bereits gewesen sind.



Kaskade begann dereinst noch als Roman, der auf Wunsch meines damaligen Verlagslektors mehr in Richtung der Thriller eines Cody McFadyen gehen sollte: düster, dreckig und blutig, mit einem polarisierenden Antihelden – aber gänzlich ohne Phantastik.

Leider fiel die Arbeit am Roman für den Verlag und die Beteiligten in eine Zeit des Umbruchs. Ende 2013 war das Unternehmen an die Börse gegangen, woraufhin Verlagsentscheidungen auf einer neuen Ebene getroffen wurden. Im Oktober 2014 starb überraschend der Verleger Stefan Lübbe, und zwei Monate später verließ mein damaliger Lektor den Verlag. Statt der angekündigten Zusage für Kaskade trudelte überraschend eine Absage ein (wohlgemerkt nachdem ich die ersten 40 Kapitel geschrieben hatte und diese dem Verlag vorlagen), unter anderem mit der recht seltsamen Begründung, dass man bezweifle, dass ich das Textniveau bis zum Ende durchhalten würde. So kam das Projekt schließlich zum Ruhen, und ich widmete mich dem Garten des Uroboros und dem Kanon mechanischer Seelen.

Nach fast zehn Jahren in der Welt zumeist hurmorvoller Science Fiction und verrückten Robotern, hatte ich – angeregt durch die beiden teils sehr horrorlastigen Memoranda-Storysammlungen – 2021 jedoch den Wunsch nach ein wenig Kontrastprogramm. Nach der dunklen Seite der (Roman)Macht sozusagen. Und ich wollte Hardy Kettlitz nicht nur aufgewärmtes Novellenessen anbieten, sondern auch etwas Exklusives. Also hatte ich Kaskade genommen, einen Großteil der schon bestehenden Kapitel ein wenig umgeschrieben und dem Projekt nun auch die m.E. so dringend benötigte Würze gegeben: Phantastik. Das Ergebnis war Lex Talionis. Der Roman beinhaltet den größten Teil des ehemaligen Kaskade-Romans für Lübbe. Der Rest findet sich im letzten Teil von De Profundis.

 


Michael Schmidt: Die Erzählungen NUMINOS und RELICON waren die Basis für Kaskade. Das hört man bei dir öfters, dass Geschichten sich im Laufe der Zeit entwickeln und transformieren. Bist du jemand, der gerne Geschichten wieder auf links dreht und ist das eine Art Perfektionismus, oder lassen dich manche Ideen nicht mehr los?

 

Michael Marrak: Ich bin einfach mit der inhaltlichen, handwerklichen und stilistischen Qualität der alten Sachen nicht mehr zufrieden und will die Geschichten auf diesem Niveau nicht in neuen Kleidern veröffentlicht sehen. Das ist eigentlich alles. Natürlich könnte man sagen, das sind Zeitdokumente, und ich konnte es damals eben einfach nicht besser, aber das impliziert nicht, dass ich es mir einfach mache und auf dem Niveauanspruch von damals verharre. Zumal beim neuerlichen Lesen und Überarbeiten der alten Texte oft auch neue Ideen hinzukommen oder ich alte Ideen wieder aufgreife, die zu verwirklichen ich damals zu lustlos oder gar zu überfordert war.

Um die Geschichte von Numinos zur Quelle zurückzuverfolgen: Die Ur-Version der Story war unter dem Namen Advena 1996 in der Ausgabe 5 des Horror-Fanzines Nightlife erschienen. Darin war sie noch eine Art Tagebuch, und der Protagonist ein gewisser Hippolyt Krispin. Die Erzählung in Alte Götter sterben nicht von 2002 ist also bereits das erste Upgrade.

Als ich 2021 am dritten Storyband für Memoranda arbeitete und mir dafür auch meine zwanzig Jahre alte Numinos-Version zur Brust nahm, hatte ich nach einigen Tagen Arbeit an dem Stoff schließlich beschlossen, den Kaskade-Roman fertig zu schreiben und unter einem neuen Titel zu veröffentlichen.

 


Michael Schmidt: Lex Talionis habe ich gelesen und das war echt stark. Ich freue mich schon auf Kaskade. Sind weitere Bücher in der Richtung geplant?

 

Michael Marrak: Erstmal nicht, auch wenn der Reiz groß ist, Lex Crohn weiter agieren zu lassen. Einen Zweiteiler aus der Geschichte zu machen, war anfangs nicht mein Plan gewesen, aber durch die Zutat Phantastik hatten sich viele neue Aspekte, Dimensionen und Facetten aufgetan und die Geschichte immer mehr Fahrt aufgenommen. Aber wie heißt es so schön: Alles, was einen Anfang hat, hat auch ein Ende.

Wobei, wer weiß?

Es stehen allerdings noch drei andere sehr umfangreiche Romane in der Warteschlange, die von der Länge her irgendwo zwischen Lord Gamma und Kaskade liegen und endlich vollendet und veröffentlicht werden wollen. Bei zweien fehlt nur noch das letzte Viertel. Einer davon ist ein Horror-Roman, eine Hommage an Lovecrafts Der Flüsterer im Dunkeln – falls es das ist, was du oben mit "mehr in dieser Richtung" meinst. Er ist momentan fast so umfangreich wie Lex Talionis und wird am Ende in etwa die Länge von De Profundis oder Lord Gamma haben. Gut möglich, dass ich ihn als nächstes fertigstelle.

 


Michael Schmidt: Noch ein Wort an die Meute dort draußen!

 

Michael Marrak: Lasst euch überraschen.

Michael Schmidt: Am Schluss noch die Information, das Titelbild von Lex Talonis von Holger Much ist für den Vincent Preis 2022 nominiert. Der Roman selbst stand nicht zur Wahl, da es sich um den ersten Teil einer Fortsetzung handelte. Für den Vincent Preis 2023 steht dann das Gesamtwerk Kaskade zur Wahl.

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