Interview mit Alexander Blumtritt

 

Interview mit Alexander Blumtritt im Gespräch mit Vincent Voss + Bullets - Wie aus der Pistole geschossen

Stell dir einen schlichten, schwarzen Raum vor, zwei sich gegenüberstehende blutrote Kanapees, einen schlichten, weiß lackierten Tisch, eine weiße Vase mit einer schwarzen Dahlie. Im Hintergrund hören wir Current 93:  (1) Current 93 ‎– The Light Is Leaving Us All (2018) FULL ALBUM - YouTube

 

 


 

VV: Moin Alexander, schön, dass du heute hier bist. Nimm bitte Platz. Was magst du trinken?

A.B.: Ein Bier bitte, wurscht welches. Danke! Und schönen guten Abend.

VV: Du bist in der Endrunde desVincent Preis mit einer kryptozoologischen Erzählung. Dein Roman „Die verschwiegene Schlucht“ hat die Abstimmenden überzeugt. Wie fühlt sich das an?

A.B.: Das fetzt natürlich sehr! Ich bin überhaupt unheimlich froh, das Phantastik-Literaturforum gefunden zu haben. Dank euch konnte ich die ganze Auflage unter die Leute bringen, und dass es jetzt sogar so weit kam, ist eine große, unerwartete Freude.

VV: Wie kam es zur Idee? War es Passion zu dieser Spielart des Genres?

A.B.: Das kann man nicht sagen. Bis auf zwei Dinosaurierklassiker habe ich noch kein einziges Stück Cryptofiction gelesen. Aber die Kryptozoologie an sich find ich schon sehr lange faszinierend, ebenso wie wilde Bergnatur. Wenn man sich für diese beiden Dinge begeistert, kommt man gar nicht um die Kreatur herum, die im Buch behandelt wird. Die zündende Idee kam mir durch einen Artikel über das Vomper Loch, ein sehr ursprüngliches Tal in den österreichischen Alpen. Der Autor schrieb von dem langen, zermürbenden Weg dorthin und von den Alpensalamandern, die er in rauen Mengen fand. Salamander sind auch so eine alte Liebe von mir. Da entstand der Grundgedanke der Geschichte, und die Details hab ich mir dann größtenteils beim Wandern ausgedacht.

 VV: Dein Protagonist ist Biologe. Und du schreibst aus der Ich-Perspektive. Ich finde, es ist dir ausgezeichnet gut gelungen, zumal der Biologe authentisch durchschlägt. Aufwendige Recherche oder leidenschaftliches Hobby?

A.B.: Danke, das freut mich! Beides. Als ich klein war, wollte ich immer Zoologe werden. Das hat nicht ganz geklappt, aber die Faszination für die Tierwelt ist bis heute ungebrochen. Ein Grundwissen war sozusagen schon da, aber für das Buch habe ich mich noch mal sehr in bestimmte Bereiche vertieft, um den wissenschaftlichen Hintergrund glaubhaft zu gestalten.

VV: Du hast Sprechwissenschaft studiert und dein Roman kommt mit nicht einer Dialogszene aus. Warum?

A.B.: Gute Frage. Dass eine der beiden Hauptfiguren stumm ist, war nicht von Anfang an mein Plan. Irgendwann hab ich festgestellt, dass es einiges leichter und interessanter macht. Der Erzähler kann sich in Spekulationen verlieren, reimt sich Dinge über den Anderen zusammen, die stimmen könnten, aber nicht müssen. Das regt auch die Phantasie der Leser an. Es macht die Figur geheimnisvoller und unheimlicher. Und ich fürchte, Sprechwissenschaftler zu sein, heißt nicht zwangsläufig, gern und gut Dialoge zu schreiben…

VV: Wieder einmal bemerke ich, dass ich sofort im Roman stecke, sorry. Alexander, stell dich doch einmal vor, bitte? Wer bist du? Was machst du?

A.B.: Ich bin ein Anfang-Dreißigjähriger aus Halle, der gerade zusammen mit seiner Freundin an den Alpenrand gezogen ist. Ich würde sagen, ich bin ein netter Kerl mit einem Hang zum Obskuren. Ich schreibe Geschichten, aber eher selten und eher langsam, und ich mache Musik, aber nicht mehr auf der Bühne. Ich bastle Hörbücher und veröffentliche sie über meinen YouTube-Kanal „Yuggothian Records“. Bisher hab ich neben eigenen Texten vor allem Clark Ashton Smith, Lord Dunsany und H. G. Wells vorgelesen. Studiert habe ich, wie du schon sagtest, Sprechwissenschaft. In meiner Abschlussarbeit letztes Jahr ging es um leise Klick- und Schmatzlaute, die man beim Sprechen erzeugt und die aus professionellen Aufnahmen mit viel Zeitaufwand herausgeschnitten werden. Ich bin der Erste, der sich da richtig reinvertieft hat, und werd versuchen, Mediensprechern beizubringen, weniger zu schmatzen. Ich geh gerne wandern und habe eine bekloppte Wolfhündin und einen Asiatischen Waldskorpion (früher einen noch viel größeren Arthropodenzoo). Geld verdient habe ich in letzter Zeit vor allem mit Bildbearbeitung bei einem Online-Versand, aber das ist jetzt erstmal vorbei.

VV: Ich muss gestehen, ich kannte deinen Namen und deine vorherigen Erzählungen noch nicht. Wie bist du zum Schreiben und zu dem großartigen Genre „Horror“ gekommen? Siehst du dich da eigentlich zurecht in diese Schublade gesteckt?

 A.B.: Gruselige Dinge fand ich schon früh reizvoll, ich weiß gar nicht, womit das seinen Anfang nahm. Mit Schreiben ging es als Grundschüler im Bereich kleiner Tiergeschichten los. Meine früh erblühte Liebe zu Dinosauriern hat mich aber schon damals ab und zu ein paar Gore-Elemente einstreuen lassen. In meiner großen Kryptozoologie-Phase, so etwa zwischen meinem zehnten und fünfzehnten Lebensjahr, habe ich massenhaft hanebüchene Cryptofiction fabriziert. Da standen dann schon beinahe durchweg Furcht und Schrecken im Vordergrund. Irgendwann trat Lovecraft in mein Leben und ich hab eine Weile erstmal nur noch kosmischen Horror geschrieben, der zum Teil auch veröffentlicht wurde. Mit der „verschwiegenen Schlucht“ habe ich dieses Genre seitdem erstmals wieder verlassen. Ich empfinde sie eigentlich überhaupt nicht als Horror und wundere mich wirklich ein wenig, dass sie für einen Horrorpreis nominiert wurde. Während ich sie schrieb, war ich mir nicht mal ganz sicher, ob sie überhaupt besonders spannend ist. Umso schöner ist es dann, immer wieder die Rückmeldung zu bekommen, dass man sie kaum aus der Hand legen konnte. Und ein paar gruselige Stellen gibt es wahrscheinlich wirklich.




 

VV: Die verschwiegene Schlucht vertreibst du selbst. Es ist ein sehr schmuckes, liebevoll gestaltetes Buch, mit einem wissenschaftlichen Begleittext und schönen Innenillustrationen. Hattest du ein klares Bild von deinem Buch im Kopf und nicht das Vertrauen, dass ein Verlag das so umsetzen kann oder will?

 A.B.: Das Bild war in der Tat ziemlich klar. Ganz bestimmt gibt es Verlage, die es mindestens genauso schmuck umgesetzt hätten, aber die muss man erstmal finden, da kenn ich mich einfach noch zu wenig aus. Ich hatte Lust auf das Selbstgestalten und fand es schön, völlig freie Hand zu haben. Die Bilder hab ich in einem 150 Jahre alten Alpenbuch beim Opa meiner Freundin gefunden und wusste gleich, dass ich sie verwenden möchte. Ich bin mir zwar ziemlich sicher, dass das rechtlich auch in Ordnung geht, aber wer weiß, ob das bei einem Verlag so einfach gewesen wäre. Im Selbstvertrieb hatte ich auch schon ein bisschen Erfahrung (2013 haben Philipp Knespel und ich eine lovecraftige Kurzgeschichtensammlung herausgebracht), also dachte ich, das mach ich einfach noch mal so. Ich hätte aber durchaus Lust, das Buch auch noch über einen Verlag herauszubringen, sofern es kein Problem ist, dass ich schon selbst ein paar verteilt habe.

 VV: Neben der Literatur spielst du noch in zwei Black-Metal-Bands? Ausgleich zur ruhigen Arbeit des Schreibens oder eher Ergänzung zum Gesamtwerk?

 A.B.: Teil des Gesamtwerks, würd ich sagen. Sämtliche Musik mach ich zusammen mit dem gerade erwähnten Philipp Knespel, fast alles zu zweit. Das sind momentan vier Black-Metal-Bands und ein Neofolk-Projekt. Wir sind praktisch permanent dabei, an irgendeinem Album herumzubasteln, und ab und zu wird mal was davon fertig. Nur live ist da, wie gesagt, schon längere Zeit nichts mehr passiert. (Unsere Musik: grimbock.bandcamp.com)

VV: Ich schätze es mal so ein, dass du Lovecraft gerne liest. Stimmt das? Was genau schätzt du an ihm, an seinem Weltenbau?

 A.B.: Ja, stimmt genau. Viele von Lovecrafts Motiven sind für mich Faszination in Reinform: unermesslich alte Artefakte, vormenschliche Ruinen, Außer- und Unterirdisches. Ich steh drauf, dass der Mensch im Verhältnis zu Lovecrafts Entitäten eine absolut untergeordnete Rolle spielt, eine bedeutungslose Randerscheinung. Fast noch mehr als den Cthulhu-Mythos liebe ich aber die Traumland-Erzählungen. Die Vorstellung einer Art Parallelwelt, die irgendwie an die Erde gebunden ist und von allen möglichen Wesen bevölkert wird, zu der aber auch wir Menschen Zutritt über besonders tiefe Träume finden können… äußerst spannend und inspirierend.

 VV: Inwieweit inspiriert er dich?


A.B.: Ich spreche mal für Philipp und mich: Lovecraft war sowohl für viele unserer Geschichten als auch für viele unserer Songs der Hauptinspirateur.

 VV: Spielst du Rollenspiel? Wenn ja, welches System? Und gibt es Brücken zu dem, was du schreibst?

A.B.: Nein, das hab ich noch nie probiert.

VV: Ein paar Fragen zum Schreiben … benötigst du Ruhe dazu oder kannst du auch an belebten Orten schreiben?

 A.B.: Am besten fließt es auf Zugfahrten. Draußen auf einer Bank auch ganz gut. Wenn ich zuhause schreibe, dann muss ich schon meine Ruhe haben. Meistens höre ich dazu dann Ambient oder, im Falle der Schlucht, Naturgeräusche.

 VV: Eine Klassikerfrage von mir, weil ich immer ein biographisches Schlüsselerlebnis vermute.  Gibt es etwas Übersinnliches in deinem Leben, das dich geprägt hat?

 A.B.: Nein. Ich bin zwar sehr interessiert an solchen Dingen, habe aber noch nie selbst etwas völlig Unerklärliches erlebt. Ein paar verrückte Zufälle oder Synchronizitäten, aber nichts Prägendes. Es sei denn, wir zählen die eine oder andere psychedelische Erfahrung dazu. Die hatten schon so ihre Einflüsse.

VV: Glaubst du, es gibt noch etwas Übersinnliches? Heute? Hier auf dieser Welt?

 A.B.: Ich glaube, dass es sehr vieles gibt, was wir noch nicht wissenschaftlich erklären können. Wenn unser Verständnis der Realität weiter reift, werden wir einiges von dem, was wir heute noch „übersinnlich“ oder „paranormal“ nennen, eines Tages vielleicht verstehen. Ich hab mich immer gern mit den sogenannten Grenzwissenschaften befasst und denke, dass an vielen dieser Dinge etwas dran ist. Ich bin zum Beispiel ziemlich überzeugt davon, dass das Bewusstsein unabhängig vom Körper existieren kann. Und dass sehr fremdartige Dinge durch unsere Atmosphäre fliegen. Gerade zum Thema UFOs kam in den letzten Jahren viel ans Licht, was sich nicht mehr so leicht wegdiskutieren lässt. Was genau hinter all dem steckt, wie es sich in ein wissenschaftliches Weltbild einordnen lässt, ist noch nicht klar, aber ich bin mir sicher, dass das keine unlösbaren Rätsel sind. Wir müssen nur offen für verrückte Ideen sein.

 VV: Alexander, dürfen wir mehr von dir erwarten? Was steht noch an?

 A..B.: Noch in der ersten Jahreshälfte 2022 wird unsere lovecraftige Kurzgeschichtensammlung neu veröffentlicht – frisch überarbeitet, illustriert und in schickem Hardcover-Gewand, diesmal über einen kleinen Verlag. „Vom Unaussprechlichen“ soll sie heißen, mit jeweils fünf Geschichten von Philipp und von mir. Ende des Jahres erscheint ein Text von mir in einer Anthologie. Und wenn sich dann nicht noch eine dringende Idee dazwischenschiebt, setze ich mich danach an das nächste große Herzensprojekt, einen schon begonnenen Phantastikroman, der sich mit Bewusstsein, Träumen und Parallelwelten beschäftigt.

 VV: Vielen Dank, dass du da warst. Ich hoffe, wir lesen noch viel, viel mehr von dir und drücken dir die Daumen für den Vincent Preis!

 A.B.: Herzlichen Dank auch dir!







Bullets (Wie aus der Pistole geschossen …)


VV: Du bist ein Monster. Welches wärst du?

A.B.: Der Sasquatch.

VV: Nebel oder Sturm?

A.B.: Nebel.

 VV: Stift oder Tastatur?

A.B.: Tastatur.

 VV: Welche Spezies wird im Horror-Genre unterschätzt?

 A.B.: Enten.

VV: Warum?

A.B.: Enten können fliegen, watscheln, schwimmen und tauchen. Wenn die angreifen, dann aus allen Richtungen.

VV: Was findest du wirklich gruselig?

 A.B.: TikTok.

VV: Bier, Rum oder Wein?

A.B.: Je nachdem. Rum nicht unbedingt!

VV: Nenne drei horrorschaffende Menschen, mit denen du gerne ein Wochenende zelten würdest?

A.B.: Lovecraft, Stephen King und Philipp Knespel.

VV: Mumie oder Werwolf?

A.B.: Werwolf.

VV: Ein Traumort, an dem du schreiben wollen würdest??

A.B.: In einer Raumkapsel, die um den Mond kreist.

VV: Schreiben ist für mich …?

A.B.: Selbstausdruck. Zwischendurch manchmal anstrengend, am Ende aber immer sehr befriedigend.


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