Günther Kienle (Interview)
Michael Schmidt: Hallo Günther,
du bist mit Der Fall Ernesto Tortuga - Maitre und Kosmonaut aus Das
geheime Sanatorium für den Vincent Preis 2020/21 als Beste Kurzgeschichte
nominiert. Herzlichen Glückwunsch nach Konstanz!
Stell dich doch mal vor!
Günther Kienle: Der Frisur
nach lässt sich nicht leugnen, dass ich bereits im besten Alter bin, im Herzen
bin ich aber nie älter als dreißig geworden. Wie die meisten Menschen die
schreiben, habe ich schon früh alle Bücher verschlungen, die mir unter die
Finger kamen, allerdings ging das ernsthafte Schreiben erst vor etwa acht
Jahren los.
Seit über zwanzig
Jahren bin ich verheiratet und lebe mit meiner Frau und unseren drei Kindern,
wie du erwähnt hast, in Konstanz am Bodensee.
Weil ich vom Schreiben noch nicht ganz (hüstel) leben kann, arbeite ich täglich im Bereich Softwareentwicklung als Test Manager.
Michael Schmidt: Zurück zu Der
Fall Ernesto Tortuga - Maitre und Kosmonaut. Im geheimen Sanatorium ist das
wohl die härteste Geschichte. Schweigen der Lämmer auf außerirdisch, in einem
Spital für Fantasywesen. Die Geschichte hat mir wirklich sehr gefallen. Wie
kommt man auf solch ein schräges Szenario?
Günther Kienle: Die Grundidee war es, ein Versteckspiel zu schreiben, bei dem bis zum
Schluss nicht klar wird, was es mit dem Ich-Erzähler eigentlich auf sich hat.
Aus der Zutatenkiste habe ich dann einen Kannibalen (à la Thomas Harris) und
einen redseligen Kosmonauten (à la Stanislaw Lem) gezogen. Ersteren wegen
seiner psychischen Verfassung und den zweiten wegen des absurden Kontrasts.
Dass sich letztendlich so harte Details entwickelt haben, ergab sich aus dem
Schreiben und ist für mich eher ein Ausnahmefall.
Michael Schmidt: Wie war das
bisherige Feedback zur Geschichte?
Günther Kienle: Bei vielen kam das Versteckspiel gut an, manche haben die von dir
angesprochene Härte kritisiert. Die Risiken solch einer Geschichte waren mir im
Vorfeld klar und ich habe sie bewusst in Kauf genommen. Ein Kannibale isst eben
keine Tofuwürstchen – oder sagen wir mal: nicht ausschließlich. In der Mehrzahl
war das Feedback aber sehr positiv.
Michael Schmidt: Ich habe mal auf deiner Homepage gestöbert. Die meisten Veröffentlichungen scheinen eher Richtung SF und Fantasy zu gehen. Täuscht der Eindruck und wie würdest du den Autor Günther Kienle skizzieren?
Günther Kienle: Meine Schwerpunkte
liegen sicher bei SF und Fantasy. Neben einer Kindergeschichte habe ich sonst
nur eine einzige rein belletristische Kurzgeschichte (zum Thema Alzheimer)
veröffentlicht. Und in meiner Schublade sieht das von den Genres her auch nicht
anders aus.
Meine zwei
ersten Horrorstorys sind zum Glück nicht an das Licht der Öffentlichkeit gedrungen,
sondern bereits am Testleser gescheitert.
Michael Schmidt: Hast du unter
deinen Stories persönliche Favoriten und wenn ja, welche und warum?
Günther Kienle: Zum einen
ist das Der Recycler (aus Maschinen, Verlag Torsten Low). Damit
habe ich in der Storyolympiade den fünften Platz erreicht und die Story wurde
dann sogar zur PAN-Geschichte des Monats gekürt.
Und zweitens Shearwater
Cave das in den Mysterien der See (ebenfalls Verlag Torsten Low)
noch erscheinen wird. Nach meinen missglückten Horrorversuchen wollte ich mich
dort eigentlich gar nicht bewerben, aber dann kam die Muse und hat mich einfach
niedergeknutscht. Mit dem Ergebnis bin ich sehr zufrieden.
Und nicht zu vergessen natürlich die Rahmenhandlung von Waypoint FiftyNine (Leseratten Verlag), die ich zusammen mit meinem besten Schreib-Buddy Jörg Fuchs Alameda verfassen durfte. Da steckt eine besondere Menge Herzblut von uns drin.
Michael Schmidt: BlutigeWelten, da bist du der Herausgeber, oder sehe ich das falsch? Was erwartet
den Leser? Der Titel klingt ja sehr martialisch.
Günther Kienle: Die Enstehungsgeschichte ist recht komplex und steht ausführlich im Vorwort der Anthologie. Die Kurzfassung: Übermütige Autorinnen und Autoren saßen zusammen und es ergab sich die Idee zu einem Genre-Cross-over von Fantasy, Science Fiction und (natürlich) Horror. Jeder Text enthält mindestens zwei dieser Genres, Blut (in der einen oder anderen Form) und auch Humor - wie es im Leseratten Verlag Tradition ist. Also keine Sorge, es geht gar nicht soo blutig zu und ist schon gar keine Splatter-Anthologie. Es sind eine Menge spannender und humorvoller Geschichten zusammengekommen.
Michael Schmidt: An was schreibst
du gerade?
Günther Kienle: Schon seit langem habe ich eine Idee zu einem Roman. Nachdem ich zu
dessen Planung kam (es purzelten zwei Herausgeberschaften dazwischen), tat sich
unverhofft eine Tür auf und mittlerweile arbeite ich das Feedback meiner
Testleserschaft in einen Roman ein - allerdings in einen völlig anderen als den
ursprünglich geplanten. Er ist dystopisch, enthält SF-Elemente und, äh, mehr
darf ich noch nicht sagen.
Michael Schmidt:Und welche
Veröffentlichungen stehen für dieses Jahr an?
Günther Kienle: Zum einem eben mein Debütroman, der im letzten Quartal erscheinen
soll, und dann noch zwei Kurzgeschichten, zu denen ich leider ebenfalls noch
nichts sagen darf. Eine im Bereich Düstere Phanstastik und die andere würde ich
als märchenhafte Fantasy bezeichnen. Zwei tolle Projekte, bei denen ich
mitmachen durfte!
Michael Schmidt: Wie würdest du
die deutschsprachige Phantastikszene beschreiben?
Günther Kienle: So wie ich sie persönlich kennenlernt habe (z.B. auf dem BuCon, der
Leipziger Buchmesse oder dem FeenCon) ist sie sehr offen, kreativ und man
begegnet sich auf Augenhöhe. Besonders beeindruckt hat mich mein aller erster
(Bu)Con, den ich aufgrund meines Kurzgeschichten-Debüts besucht hatte. Die
Freundschaften, die ich dort mit ganz wunderbaren Menschen geschlossen habe,
dauern bis heute an. Und mit jeder weiteren Veranstaltung kamen und kommen neue
hinzu.
Natürlich
nehme ich wahr, dass nicht überall in der Phantastikszene Friede, Freude und
Eierkuchen herrscht, aber in Summe empfinde ich sie als sehr positiv.
Michael Schmidt: Was liest du
selbst so, wenn du nicht gerade schreibst?
Günther Kienle: Vor Kurzem habe ich mit Wem die Stunde schlägt angefangen. Ich
versuche, nach und nach ein paar Lücken im Klassikerbereich zu schließen. Davor
habe ich 1Q84 gelesen. Doch weil heute Operation M.E.L.B.A. von
Markus Heitkamp mit der Post ankam, muss der gute Ernest ein wenig Pause
machen.
Michael Schmidt: Zum Schluss noch
ein Wort an die Leser!
Günther Kienle: Kauft
Bücher von und bei Kleinverlagen. Ihr müsst wissen, dass Amazon und Co. mehr
Prozente an den Büchern verdienen, als ein Camembert Fett enthält. Und wenn sie
euch gefallen, dann schreibt bitte eine Rezension.
Schreiben ist
außerdem (abseits der Messen und Cons) recht einsam. Wir Schreibenden schätzen
euer Feedback - auch negatives, solange es konstruktiv geschrieben ist. Und
alle die ich kenne freuen sich auf Messen und Cons angesprochen zu werden.
Traut euch! Rezensionen und Gespräche sind für uns wie der Applaus für andere
Künstler.
Und
zuallerletzt möchte ich mich gerne bei dir bedanken, Michael. Vielen Dank für
deine Fragen!
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