Interview mit Jens Lossau

Vincent Preis: Lieber Jens, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zur Nominierung des DUNKLE NORDSEE-Hörbuchs für den Vincent Preis 2012.
Könntest du dich bitte unseren Lesern kurz vorstellen?

Jens Lossau: Was gibt es da für Eckpfeiler? Hmmm – geboren 1974 in Mainz. Heute lebe ich mit meinem Kater Victor in Alzey. Die erste Buchveröffentlichung war 1996 oder so. Ich bin unter anderem ausgebildeter Buchhändler, der sich eine Zeit als Erwachsenenpädagoge verdingt hat (Lossau, nicht der Kater).

VP: Wie lief denn die Zusammenarbeit mit dem Action-Verlag, wo das Hörbuch erschienen ist? Hattest du überhaupt Einfluss auf die Produktion?

JL: Nicht wirklich. Das ging eine Weile bezgl. Sprecher hin und her, aber letztendlich hat das der Verlag dirigiert.

VP: Im BLITZ-Verlag ist neben der Printversion von DUNKLE NORDSEE auch dein Roman NORDSEEBLUT erschienen. Obwohl es die Titel nahelegen, hängen die Romane nicht zusammen. Haben beide sich beim Schreiben doch irgendwie gegenseitig bedingt?

JL: Nein, denn sie sind zu unterschiedlichen Zeiten erschienen. Tatsächlich lagen diese beiden Romane eine ganze Weile in der Schublade. Bei „Nordseeblut“ hat eine Agentur übrigens mal kalte Füße bekommen, weil es zu heavy sei und man sich mit einem derart harten Text nicht „den Namen versauen wolle“, haha! Das fasse ich als Kompliment auf. Irgendwer hat mich nach den beiden Nordsee-Büchern mal gefragt, ob ich eine schlimme Kindheit gehabt hätte. Man kann bei so einer Frage nur mit dem Ausspruch des irischen Schriftstellers Frank McCourt parieren: „Eine glückliche Kindheit lohnt sich für einen Autoren überhaupt nicht.“ Die beiden Bücher spielen im selben Ort an der Nordsee, und ein Rezensent hat geschrieben, dass gerade in diesen beiden Romanen immer wieder thematische Gegensätze auftauchen – „Kindheit/Erwachsensein, Realität/Fantasie, Körper/Geist und Blutrausch/Schönheit“ – so das Zitat. Ich wundere mich immer ein bisschen, warum es so wenige (unheimliche) Romane aus dieser Region gibt, bietet das Meer doch so viel Atmosphäre. Ein tolles setting.


VP: Den Fans des deutschen Horrors ist dein Name schon länger bekannt, doch seit den inzwischen auf eine Trilogie angewachsenen Abenteuern von Meister Hippolit und Jorge dem Troll (gemeinsam mit Jens Schumacher) kennt dich auch ein breites Publikum. Hat sich dadurch etwas in deinem Alltag geändert?

JL: Na ja, manchmal kommen bei Lesungen maskierte Elfen zu mir, mit so angeklebten Legolas-Ohren, was ein wenig verstörend ist, haha. Aber ansonsten hat sich nix geändert, abgesehen davon, dass ich mir ab und zu echtes Nutella kaufen kann und nicht nur das billige Imitat von Aldi.

VP: Deine ersten größeren Erfolge erfolgten mit den vier Romanen um das Ermittlerduo Grosch und Passfeller (ebenfalls gemeinsam mit Jens Schumacher), die in phantastisch-skurrilen Fällen in der Pfalz ermitteln. Auch du selbst bist Pfälzer. Warum der doppelte Ausflug an die Nordsee?

JL: Moment – ich bin kein Pfälzer, es ist noch schlimmer, ich bin Rheinhesse. Zugegeben, das Meer, das es hier mal gab, hat sich schon vor Hundertmillionen Jahren zurückgezogen.
Der Meerbezug kommt so zustande: Ich habe meine Jugend in einem Kinderheim verbracht, und ich durfte mit einer der dort arbeitenden Betreuerinnen in den Sommerferien immer mit auf die Nordseeinsel Langeoog fahren, wo die Gute ein Ferienhäuschen hatte. Da liegen meine positivsten Jugenderinnerungen. Das war die Zeit, in der ich die (Horror)literatur entdeckt habe. Als Jugendlicher brachte ich die Inseltage mit Lesen, Essen und Schlafen zu und verfasste erste Texte. Das war vor circa 25 Jahren, und bis heute lässt mich diese Region nicht los. Wie gesagt, finde ich das Meer gerade für unheimliche Romane faszinierend. Im Meer lauern Untiefen. Und versteckte Geschichten. Es ist voller Geheimnisse.

VP: Inzwischen bewegst du dich im Bereich der Klein- wie auch der Publikumsverlage, wobei die „kleinen“ Soloveröffentlichungen wesentlich düsterer ausfallen. Brauchst du diesen Ausgleich?

JL: Die Nordseebücher sind die Herzensbücher, die ich nicht für den Markt oder so geschrieben habe. Ich schreibe schon wirklich lange, weil ein Tag ohne Schreiben oder Lesen ein Tag ohne Sonne ist. Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, dass man, wenn man auf dem professionellen Markt überleben möchte, einen merkwürdigen Spagat hinlegen muss: Einerseits diktiert der kommerzielle Markt gewisse Auflagen vor, manchmal werden diese sogar von Lektoren oder Agenturen ins Absurde verstärkt, weil diese Menschen zu glauben wissen, was das nächste große Ding ist. Außerdem sind diese Leute nur auf eines raus: Sie wollen Geld verdienen. Das ist in Ordnung, aber man muss meines Erachtens aufpassen, im Laufe eines solchen Prozesses nicht seine Seele zu verkaufen.
Andererseits gibt es viele Texte, die kaum mehr sind als so eine Art narzisstische Psychotherapie für den Verfasser. Der Spagat liegt darin, sich einerseits nicht zu verleugnen und andererseits die breite Leserschaft nicht aus dem Auge zu verlieren. Letztendlich muss man authentisch sein. Egal, wie abgründig die Geschichten werden, eine gute Geschichte soll den Leser unterhalten, nicht der Autor darf im Mittelpunkt stehen. Bei den Nordsee-Büchern konnte ich mehr die Sau rauslassen, Tabus brechen, Humor mit Grauen vermischen etc., Geschichten schreiben, die ich selber gerne lesen möchte. Es ist sehr beruhigend, dass es noch Verlage gibt, die den Autor Autor sein lassen und fördern. Leute, die einfach nur schöne Bücher machen wollen, so wie der Blitz-Verlag, die Edition Phantasia oder der Festa-Verlag. Das schlägt sich letztendlich früher oder später im Erfolg nieder.

VP: Du arbeitest schon seit vielen Jahren mit Jens Schumacher als Co-Autor zusammen. Wie gestaltet sich eure Zusammenarbeit?

JL: Wir kennen uns seit 32 Jahren und arbeiten seit 16 Jahren professionell zusammen. Tatsächlich sieht es so aus, dass wir uns alle gemeinsamen Projekte zusammen ausgedacht haben, bei so genannten Arbeits-Sessions, die wir hauptsächlich dem Vernichten großer Mengen Alkohol widmen. Nebenbei entsteht ein detailliertes Ablaufexposé. Jeder von uns hat 50 Prozent der Schreibarbeit eines gemeinsamen Buches erledigt. Wir kreieren immer zwei sich gegenseitig bedingende Protagonisten, jeder betreut mehr oder weniger einen davon. Nachdem die Schreibarbeit getan ist, gehen wir noch sechsundfünfzigtausendmal über den Text drüber, schleifen alles ab, damit das Ganze am Ende aus einem Guss ist, da der Leser ja ein kompaktes Buch mit nur einer Stimme lesen möchte. Bis heute behaupten Leute, sie würden erkennen, welche Passagen Schumacher und welche ich geschrieben hätte. Diese Leute liegen immer falsch. Wir selbst wissen zu einem Großteil nicht mehr, wer was geschrieben hat.

VP: Könntest du dir auch einen anderen Co-Autor vorstellen?

JL: Nein.

VP: Deine/Eure Romanen verfügen immer über ein „gerüttelt Maß“ an Skurrilität. Zufall oder Kalkül?

JL: Kalkül ist es nicht. So etwas kann allzu leicht nach hinten losgehen. Wir wussten beispielsweise nicht, wie die eingeschworene Fantasyszene auf den ganzen Quatsch reagieren würde und waren überrascht, wie positiv alles aufgenommen wurde, dass z. B. im „Schädelschmied“ die Zwerge verkappte Nazis sind. Der Humor ergibt sich einfach, gerade, wenn JS und ich zusammen arbeiten, es ist nicht geplant. Allerdings machen wir sowieso die ganze Zeit Blödsinn, das fließt ganz automatisch in die Texte mit ein.

VP: Wie einige andere Kollegen wirst auch du in der Werbung mit Stephen King verglichen. Welche literarischen Vorbilder hast du tatsächlich?

JL: Als Jugendlicher war ich total King-verseucht, aber das hat sich gelegt. Sein letztes Buch „Das Attentat“ fand ich richtig gut.
Früher habe ich so ziemlich jedes Horrorbuch gelesen, das mir in die Hände geraten ist. Heute lese ich nicht genrespezifisch. Die letzten Bücher, die ich gelesen habe und die mir gefallen haben, waren „Der weiße Tiger“ von Aravind Adiga, „Gegen die Welt“ von Jan Brandt und „Fettsack“ von Rex Miller. Cormac McCarthy liebe ich. Oder Jonathan Franzen – ist das toll! Ich mag Jack Ketchum und Bentley Little oder Joe R. Lansdale. Die Liste würde endlos werden. Ich kann den Einfluss nicht einem einzelnen Autoren oder einer einzelnen literarischen Gattung zuordnen.

VP: Was können die LeserInnen als nächstes von dir erwarten?

JL: Es gibt einige Projekte. Noch ist nichts spruchreif. Ich glaube ja erst, dass ein Buch wirklich zustande kommt, wenn es schon wieder verramscht wird. Aber es wird definitiv weitergehen.

VP: Herzlichen Dank für das Interview und viel Erfolg beim Vincent Preis 2011.

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Links:
Homepage von Jens Lossau
Action-Verlag
Blitz-Verlag
Egmont-Lyx

Veröffentlichungen von Lens Lossau:
  • Kanon der Melancholie - Kurzgeschichtensammlung mit Jens Schumacher
  • Entitäten - Kurzgeschichtensammlung mit Jens Schumacher
  • Der Schädeltypograph - Grosch/Passfeller-Roman mit Jens Schumacher
  • Der Luzifer-Plan - Grosch/Passfeller-Roman mit Jens Schumacher
  • Die Menschenscheuche - Grosch/Passfeller-Roman mit Jens Schumacher
  • Der Rebenwolf - Grosch/Passfeller-Roman - mit Jens Schumacher
  • Das Mahnkopff-Prinzip - mit Jens Schumacher
  • Die Schlafwandler
  • Dunkle Nordsee
  • Nordseeblut
  • Der Elbenschlächter - Meister Hippolit/Jorge-Roman - mit Jens Schumacher
  • Der Orksammler- Meister Hippolit/Jorge-Roman - mit Jens Schumacher
  • Der Schädelschmied- Meister Hippolit/Jorge-Roman - mit Jens Schumacher

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