Interview mit Tobias Bachmann
Vincent-Preis: Lieber Tobias. Herzlichen Glückwunsch für die Nominierung zum Vincent-Preis 2009. Würdest du dich für diejenigen, die dich noch nicht kennen, kurz vorstellen?
Tobias Bachmann: Nach 32 Jahren gibt es da nicht viel zu erzählen. Ich bin ein Mensch, der das kreative Chaos lebt. Mittlerweile tue ich das in einem kleinen Ort, im Fränkischen Seenland. Doch auch auf dem Land hat der Tag nur 24 Stunden, und diese langen nicht aus, der Masse an Ideen in meinem Hirn irgendwie Herr zu werden.
Tobias Bachmann: Nach 32 Jahren gibt es da nicht viel zu erzählen. Ich bin ein Mensch, der das kreative Chaos lebt. Mittlerweile tue ich das in einem kleinen Ort, im Fränkischen Seenland. Doch auch auf dem Land hat der Tag nur 24 Stunden, und diese langen nicht aus, der Masse an Ideen in meinem Hirn irgendwie Herr zu werden.
VP: In letzter Zeit hat sich mit Hochzeit und Nachwuchs sehr viel getan bei dir. Ist bereits wieder Alltag eingekehrt im Hause Bachmann?
TB: Unter Alltag verstehe ich, einen Tag im All zu verbringen. Das passiert vielleicht nachts in meinen Träumen – doch dann würden wir von einer Allnacht sprechen, richtig? Tatsache ist, dass es so etwas wie Alltag noch nie in meinem Leben gegeben hat. Derzeit noch weniger als je zuvor. Mit meiner Frau und unserer 6 Monate alten Tochter lebe ich derzeit in einem kleinen Zimmer unterm Dach, während der Rest der Dachwohnung Baustelle ist. Dank hervorragender Wetterbedingungen wird sich der Ausbau den wir erst vor kurzem angefangen haben, auch noch gehörig hinziehen. Im Keller habe ich mir übergangsweise meinen Computer aufgestellt, dem ich alle vier Tage mal einen Besuch abstatte. An Schreiben ist derzeit gar nicht zu denken. Wenn oben mal alles fertig ist, dann sicherlich, aber wie gesagt dauert das noch etwas. Jedes zweite Wochenende ist meine andere Tochter hier, die mittlerweile bereits 4 Jahre alt ist. Sie freut sich schon auf ihr Zimmer, wenn der Ausbau fertig ist, so wie ich mich auf mein Büro freue, von dem ich dann einen wunderbaren Ausblick haben werde, doch zuvor muss da erst noch ein Erker reingebaut werden, und – ach ja, auf die Arbeit muss ich zwischendurch auch noch ab und an...
VP: Für DAGONS ERBEN hast du es geschafft, bekannte lovecraftsche Versatzstücke so originell zu kombinieren, dass das Ergebnis frisch und neu wirkt. Das Ergebnis harter Arbeit oder doch leichte Fingerübung.
TB: Eine Mischung aus beidem, würde ich sagen. Von der reinen Schreibarbeit her, ging mir Dagons Erben relativ leicht von der Hand. Schwierig gestaltete sich die Recherche. Da der Roman im Berlin des Jahres 1942 spielt musste ich mir über viele kleine Details Gedanken machen, die erst während des Schreibens zum Problem wurden. Das fing bei der Frage an, wie ein Grammophon funktioniert, und endete damit, dass ich keine Ahnung hatte, wie man aus einem Regimestaat im Kriegszustand aus dem Land rauskommt. Vieles konnte ich recherchieren, bei anderem musste ich improvisieren, und manches ist vermutlich auch völliger Quatsch – aber auf den hat mich bislang noch niemand aufmerksam gemacht.
VP: Eine Frage, die ich auch anderen schon gestellt habe: Für den Vincent-Preis 2009 sind insgesamt 6 Werke nominiert, die zumindest Lovecrafts Einfluss erkennen lassen. Auch die Reihe „Edition Arkham“, in der DAGONS ERBEN erschien, wurde zum zweiten Mal in Folge in der Romankategorie nominiert. Was macht die Faszination seiner Geschichten heute noch aus?
TB: Ich weiß es nicht. Lovecraft ist und bleibt ein Phänomen. Man kann Lovecraft mittlerweile ja beinahe schon als eigenes Genre definieren. Manche schreiben Vampirgeschichten, andere schreiben Lovecraftgeschichten. Manche Leser faszinieren Vampire, manche eben der Stoff aus dem lovecraftschen Umfeld. Der Vampirmythos ist klar definiert: Sie trinken Blut, sterben bei Sonnenlicht, sind seit neuestem sehr romantisch veranlagt... die Leute stehen drauf; Vampirbücher verkaufen sich derzeit besser als „Döner mit Scharf“ – auch eine Lovecraft-Story ist klar definiert. Alte verbotene Bücher, eine Wesenart mit unaussprechlichem Namen, ein alter Kult der um diese Wesenheit besteht, ein Protagonist, der dem kosmischen Grauen ausgeliefert ist, ein vergessener Ort des Grauens oder eine inzestuöse Kleinstadt... Das alles sind feste Bestandteile die immer wieder als Versatzstücke in unheimlichen Geschichten auftauchen. Der eine Autor hält sich mehr daran, der andere weniger, manch einer verändert hier und da etwas – das „Genre Lovecraft“ bleibt bestehen, und ist mittlerweile vermutlich bekannter als sein Schöpfer.
VP: Deine Kurzgeschichte „Die Klangkathedrale“ wurde 2007 für den Vincent Preis nominiert. Worum geht es in der Geschichte und hast du noch andere Kurzgeschichten, die du dem Leser ans Herz legen würdest?
TB: „Die Klangkathedrale“ handelt von einem wahnsinnigen Orgelspieler der die größte Orgel der Welt bauen lässt, die so groß ist, dass ihre Orgelpfeifen noch vom Weltall aus zu sehen sind. Wie im Fieber schreibt er mit seinem eigenen Blut an einer Komposition für das gigantische Instrument. Als er diese auf seiner Klangkathedrale spielt, platzen die Trommelfelle seiner Zuhörer, sein Publikum dreht durch und... man sagt die Hölle tut sich auf. Zumindest ist die Welt nach dem Konzert nicht mehr die gleiche. Die Geschichte erschien in der Anthologie „Masters of Unreality“, in der ausschließlich Texte von Schriftstellern zu finden sind, die auch Musiker sind. Ein Großteil meiner Kurzgeschichten erscheinen in den verschiedensten Anthologien. Viele davon wurden extra von mir für das jeweilige Anthologie-Konzept geschrieben. Manche habe ich gesammelt und mit ein paar unveröffentlichten Geschichten in den Bänden „Novalis’ Traum“ und „Kaleidoskop der Seele“ veröffentlicht.
VP: Du schreibst Romane und Kurzgeschichten. Was liegt dir mehr bzw. wo liegen deine Vorlieben?
TB: Das kommt ganz auf die Story an, die ich erzählen möchte. Aber ich stelle fest, dass meine Ideen für Geschichten zunehmend länger werden. Im Roman hat man viel Zeit, kann seine Charaktere ausarbeiten, kleinere Nebenstränge in die Handlung einfädeln, den Grundstoff einer Geschichte in seiner ganzen Komplexität bearbeiten. In Kurzgeschichten kann man sich auf die Atmosphäre konzentrieren, ein wichtiges Stilelement, das man über die Länge eines epischen Romans niemals aufrecht erhalten kann. Von daher kann man beides auch kaum miteinander vergleichen. Dennoch stelle ich bei mir selbst die Tendenz fest, mich mehr und mehr auf Romane zu konzentrieren. Das heißt aber nicht, dass es keine Kurzgeschichten mehr geben wird. Doch Kurzgeschichten habe ich schon eine Menge geschrieben. Romane gibt es von mir bislang nur wenige. Das muss sich ändern.
VP: Im Verlag Eloy Edictions erschien dein Roman „Das Spiel der Ornamente“. Worum geht es da und sind noch weitere Romane von dir erhältlich?
TB: „Das Spiel der Ornamente“ ist ein Horrorkrimi. Es beginnt als Krimi, und gipfelt in einem Horrorszenario. Das ganze ist von mir ganz bewusst sehr pulpig und trashig geschrieben. Ein klischeehaftes Kommissarenduo ermittelt in einer Mordserie, die irgendwann zur Nebensache wird, weil der Ort selbst ins Chaos fällt, als überall Stränge aus Rosenquarz aus dem Boden wuchern, und mutierte Katzen Jagd auf Menschen machen. Die Spuren führen zu einem Kloster, in dem Gott nur zum Schein angebetet wurde.
Als weitere Romane sind zu nennen, das hier nominierte „Dagons Erben“, und mein Debütroman: ein Science-Fiction-Roman namens „Die Ruhe nach dem Tod“. Außerdem kann man sich darüber streiten, ob „Auspizien“ und das gemeinsam mit Markus K. Korb geschriebene „Arkham-Sanatorium“ nun Romane sind oder nicht. In beiden Büchern wurden Kurzgeschichten in die Romanhandlung integriert.
VP: Du arbeitest in einem sozialen Beruf. Ist die Beschäftigung mit düsteren Themen ein Ausgleich für dich?
TB: Das würde voraussetzen, dass das, was ich auf der Arbeit erlebe ein farbenfrohes, sonniges Eiland der Wonne wäre – das ist aber nur bedingt so. Wenn ich mir manche Schicksalsgeschichten anschaue, die diejenigen erlebt haben, die ich betreue, dann sind manche Horrorromane wirklich harmlos. Dennoch ist das Schreiben ein Ausgleich für mich, denn das Schreiben ist etwas, das man alleine tut. Berufsbedingt habe ich ständig mit vielen Menschen zu tun, so dass das Schreiben eine gewisse Form der Ruhe und Erholung für mich bedeutet. Dass es düstere Themen sind, die meine Inspiration nähren, muss andere Gründe haben.
VP: Was liest du selbst?
TB: Derzeit gar nichts, wenn ich ehrlich bin. Ich komme nicht dazu. Doch der berühmte Stapel ungelesener Bücher ist bei mir gigantisch, und momentan glücklicherweise in diverse Kisten verpackt... Literarisch interessieren mich sämtliche Spielarten der Phantastik, mit Ausnahme heroischer Fantasy und romantischen Vampiren. Ich habe eine Vorliebe für Clive Barker, Philip K. Dick und allem, was dazwischen liegt. Das letzte Buch, das ich mir gekauft habe, war „Anathem“ von Neal Stephenson. Des Weiteren interessieren mich „Sach-„ Bücher über Verschwörungstheorien und Verbotene Archäologie.
VP: Was kannst du uns über dein in Arbeit befindliches Buch verraten?
TB: Es ist ein Roman, den Sören Prescher mit mir gemeinsam geschrieben hat. Das über 800 Seiten starke Manuskript hat bereits die erste Überarbeitungsphase hinter sich, und wartet derzeit auf die zweite Überarbeitung, zu der ich hoffentlich bald mal kommen werde. Zum inhaltlichen möchte ich an dieser Stelle noch nichts verraten; auch der Titel ist noch nicht spruchreif. Ein Verlag hat bereits großes Interesse bekundet, aber noch ist nichts in trockenen Tüchern.
VP: Soweit ich weiß, hast du bisher nur phantastische Texte verfasst. Würde dich ein anderes Genre reizen?
TB: Ich fühle mich in der Phantastik sehr wohl. Hier liegt quasi meine Heimat. Einmal Urlaub zu machen, ist sicherlich möglich, aber selbst dann nimmt man sich immer etwas von daheim mit. Das heißt, ich würde wohl am ehesten versuchen, phantastisches mit einem anderen Genre zu kombinieren. Hier reizt mich der Thriller ebenso wie das historische Setting, wobei ich vor letzterem wohl am ehesten zurückschrecke, weil mich die aufwendige Recherche scheut. Aber wenn die richtige Idee mich zum richtigen Zeitpunkt nicht in Ruhe lässt, dann kann es schon mal passieren, dass ich vielleicht mal etwas ganz anderes schreibe.
VP: Kennst du eigentlich etwas von der Nominierungsliste und wenn ja, sind da KollegenInnen dabei, die du besonders schätzt?
TB: Ich kenne einige der Mitnominierten und schätze sie alle. Uwe Voehls „Kuss der Medusa“ hat mir gut gefallen, ebenso „Der Fluch des dunklen Mondes“ von Lars Maria Maly. Lars hat übrigens „Dagons Erben“ testgelesen, Mark Freier hat das Cover dafür gemacht, mit Andreas Gruber habe ich vor ein paar Wochen erst gemailt, und in „Necrologio“, der Anthologie von Jörg Kleudgen bin ich selbst mit einer Kurzgeschichte vertreten, ebenso in Michael Schmidts „Zwielicht“. „Ernten des Schreckens“ hat mir Markus K. Korb bei unserer letzten gemeinsamen Lesung selbst überreicht – und war dabei stolz wie Oskar; Timo Kümmel wartet vermutlich noch immer auf Antwort seiner letzten eMail an mich... es hilft nichts: Persönliche Bekanntschaften machen einen nicht gerade objektiv. Deswegen beteilige ich mich auch nicht an den Nominierungen und gebe keine Stimme ab. Ich bin mir sicher, dass jede Nominierung berechtigt ist. Ich selbst mische mich da nicht ein.
VP: Wie würdest du die aktuelle Horrorszene einschätzen? Gerade auch im Vergleich mit der englischsprachigen bzw. europäischen Konkurrenz?
TB: Die aktuelle Horrorszene hier in Deutschland ist doch am Blühen, wenn du mich fragst. Ich finde es tut sich enorm viel. Gerade durch die Bemühungen des Vincent Preis wird einem das doch richtig bewusst, wenn man sich anschaut, wie viele Werke überhaupt erschienen sind. Man muss berücksichtigen, dass wir hier von einer Subkultur sprechen. Horror in Deutschland ist Underground. Die großen Verkaufsschlager finden wir hier nicht. Konkurrenzgedanken habe ich nicht, und sehe diese auch nicht. Die englischsprachigen Autoren werden ins deutsche übersetzt, die deutschen jedoch kaum ins englische. Das mag wirtschaftliche Gründe haben, von denen ich nichts verstehe. Aber die Szene an und für sich befindet sich im Wachstum, so wie ich es wahrnehme. Ich finde das schön und aufregend zugleich. Vor ein paar Jahren hätte niemand gedacht, dass es einmal einen deutschen Horrorpreis geben wird. Und jetzt ist „Dagons Erben“ neben vier weiteren großartigen Romanen für die Wahl zum besten deutschen Horrorroman nominiert worden. Das ist doch Wahnsinn! Und irgendjemand behauptet immer noch, in Deutschland würde es keine Horrorszene geben.
VP: Was fehlt in Deutschland, um einen deutschen Stephen King oder H.P. Lovecraft herauszubringen?
TB: Die Frage ist sicherlich auf den Bestsellerwert der beiden Autoren bezogen, denn kein Mensch braucht einen deutschsprachigen Stephen King oder H.P. Lovecraft. Wozu eine Nachahmung lesen, wenn man auch das Original lesen kann. Die Frage sollte eher lauten, wieso es in Deutschland keinen richtig erfolgreichen Horrorautor gibt. Die Autoren behaupten, die großen Verlage würden sich nicht trauen, die Verlage sagen, die Autoren würden nicht spannungsorientiert genug schreiben... Das ist alles Quatsch, und fest steht meiner Meinung nach nur eines: Die deutschsprachigen Leser interessieren sich einfach eher für Historische Stoffe, für Thriller und für Krimis. Richtigen, echten knallharten oder auch intelligenten Horror hingegen (das eine schließt das andere ja nicht aus), den will nur ein Bruchteil derer lesen, die sich überhaupt für Phantastik interessieren. Woran das liegt? Frag deinen Nachbarn. Frag deinen Deutschlehrer, frag die Frau, die beim Discounter an der Kasse in der Schlange vor dir steht, frag den Studenten in der Bahnhofsbuchhandlung, der gerade einen Bücherkorb mit „ausrangierten Mängelexemplaren“ durchwühlt...
VP: Herzlichen Dank für das Interview und alles Gute für dich.
TB: Danke. Das wünsche ich auch.
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