Interview mit Ascan von Bargen

Vincent-Preis: Lieber Ascan, mit dem Hörspiel DAS BILDNIS DES DORIAN GRAY bist du für den Vincent Preis 2009 in der Kategorie Bestes Hörspiel/-buch nominiert. Bekanntermaßen ist die Vorlage dazu von Oscar Wilde. Was muss man tun, um einen solch klassischen Stoff ins Medium Hörspiel zu übertragen?


Ascan von Bargen: Drei Dinge sind dafür unbedingt unerlässlich – Liebe, Enthusiasmus und Hingabe. Aus einem Grund, der mir bis heute unerklärlich geblieben ist, kannte ich diese Geschichte schon, noch ehe ich sie zum ersten Mal gelesen hatte. Beim Lesen war es eher das Gefühl, eine verblasste Erinnerung aufzufrischen, als etwas Neues zu erfahren. Eine große Vertrautheit und Begeisterung für diesen Roman, wie eine unglaubliche Art von déjà-vu. - Viele Menschen glauben, dass das Unheimliche darin besteht, was in der Geschichte mit Dorian und seinem Portrait geschieht.
Andere mutmaßen, dass Oscar Wilde in dem Roman sein Liebesdrama mit Lord Alfred „Bosie“ Douglas literarisch verarbeiten wollte. Die Wahrheit (und das eigentlich „Unheimliche“ daran) ist, dass my dear Oscar den Roman geschrieben und veröffentlicht hat, lange bevor er Bosie überhaupt kennenlernte – und dennoch auf beinahe hellsichtige Weise das ganze weitere Drama seines Lebens in dem Roman schon literarisch vorweggenommen hatte…


„Das Leben ahmt die Kunst weitaus mehr nach als die Kunst das Leben.“ - Oscar Wilde -


Meine ehrenvolle Aufgabe bestand darin, diesen Roman dahingehend zu bearbeiten, dass er nur durch Dialoge, Soundeffekte und Musik seine ganz spezielle Atmosphäre, die Eigenarten der Charaktere und letztlich meine eigene Begeisterung für dieses Drama auf die Zuhörer überträgt. Andererseits natürlich auch, den Roman soweit zu verdichten, dass er auf zwei CDs Platz finden würde. – Ich freue mich sehr darüber, dass diese ganz besondere, altvertraute Geschichte in meiner eigenen Umsetzung nun für den Vincent Preis 2009 nominiert worden ist, auch wenn ich Anfangs- und Schlussbuchstaben meines Vornamens mittlerweile etwas abgeändert habe. (lacht)


VP: Bevor du Hörspiele entwickelt hast, wurdest du mit deinen Büchern DIE LEGENDEN DES ABENDSTERNS und LILIENBLUT (beide U-Books-Verlag) bekannt. Wie kamst du dazu, danach Hörspiele zu schreiben?


AvB: Hörspiele haben mich von Kindesbeinen an begleitet. Und ich fand es immer schon faszinierend, wie nur durch den Einsatz von Stimmen, Geräuschen und entsprechenden Musikstücken regelrechte „Filme“ vor meinem geistigen Auge entstanden. Als ich sieben oder acht Jahre alt war, wurde mir klar – so etwas wollte ich später auch einmal machen! Im Grunde versuche ich mit meinen Hörspielen diesem achtjährigen Jungen von damals eine Freude zu machen, der nun nicht mehr da ist – und irgendwie gleichzeitig doch noch in meinem Innern fortlebt. Das ist eine ganz verrückte Sache, wenn man darüber nachdenkt…


VP: Neben der Bearbeitung von Klassikern (neben DAS BILDNIS DES DORIAN GRAY auch FRANKENSTEIN) hast du selbst Hörspielserien entwickelt. Kannst du einige kurze Abrisse geben, was den Hörer/die Hörerin in deinen Serien DIE MORDE DES ÉMILE POIRET, DARK TRACE und INSIGNIUM erwartet?


AvB: Aber gerne! „Die Morde des Émile Poiret“ ist meine „Nostalgie“-Serie, bei der ich in erster Linie an Sir Peter Alexander Baron von Ustinov denke. An Filme wie „Tod auf dem Nil“ oder „Das Böse unter der Sonne“. Ich liebe diese gemütliche Atmosphäre und Ruhe, die diese Filme ausstrahlen. Und natürlich den ironischen Witz sowie die aristokratischen Manierismen des seligen Sir Peter, die ich in der Figur des Émile Poiret auf- bzw. hochleben lasse.


„DARK TRACE“ hingegen ist eine moderne Thriller-Serie, die in den Niederlanden der Gegenwart spielt. Kommissar Cor Liewens ermittelt hauptsächlich in Amsterdam und wird dabei mit den Bestialitäten der Gegenwart konfrontiert. Aber er nimmt es alles mit bitter-sarkastischem Galgenhumor, um nicht selbst an den negativen Auswüchsen der Menschheit zugrunde zu gehen. Und, wie sein Name schon verrät, er hat das Herz eines Löwen.

Ich mag vor allen Dingen seinen trockenen Humor. Außerdem verachtet er die bigotte Schönfärberei der „political correctness“. Er nennt das Kind lieber beim Namen, und wenn ihm jemand querkommt, erinnert er die Leute mit simplen, doch effektiven Methoden daran, welche Bedeutung das Wort „Respekt“ ursprünglich besaß.


„INSIGNIUM“ wiederum lässt sich wohl am ehesten mit dem Begriff „Vatikan-Thriller“ beschreiben. Pater Sante della Vigna wird vom Papst zum Sonderermittler ernannt und soll Licht ins Dunkel verschiedener Todes- bzw. Mordfälle bringen, die sich im Vatikan und dessen Umfeld ereignet haben. Das Besondere daran ist, dass jeder Fall auf realen Tatsachen basiert. Somit verflechten sich bei „INSIGNIUM“ wirkliche und fiktive Ereignisse. Außerdem bietet die Serie auf spannende Weise Einblicke hinter die mysteriösen Kulissen der Kirche, ihrer Macht-Intrigen und jahrtausendealten Rituale.

Mit Dietmar Wunder, (dt. Stimme von 007-James Bond Daniel Craig), in der Hauptrolle und dem Titelsong „Amaranth“ der finnischen Band NIGHTWISH, ist das eine Produktion, die mich persönlich mit großer Freude und Stolz erfüllt.


VP: ÉMILE POIRET ist eine nicht gerade verhohlene Hommage an Agatha Christies Meisterdetektiv Hercule Poirot. Was hat dich daran gereizt?


AvB: Etwas, das vielleicht die meisten Leute eher überraschen mag – nicht in erster Linie die Kriminalgeschichten. Ich habe für Krimis im herkömmlichen Sinn nämlich wenig bis gar nichts übrig.

Aber was ich sehr mag, (siehe oben), ist die „cozy“ Atmosphäre der alten Agatha Christie- und auch der Edgar-Wallace-Verfilmungen. Das war das erste, was mich daran gereizt hat. Die ungewöhnliche Stimmung. Das Flair. Und das Bild des ironisch schmunzelnden, doppelsinnige Spitzen verteilenden Sir Peter Ustinov.

Außerdem natürlich der Umstand, dass die Granddame des britischen Krimis den Namen ihres weltberühmten Detektivs ganz lässig von Frank Howell Evans „Monsieur Poiret“ und Marie Belloc Lowndes „Hercule Popeau“, (Netter Nachname, nicht wahr?), zusammengeklaut und lediglich das „e“ in Poiret gegen ein „o“ für Poirot ausgewechselt hat.

Ich fand die Idee witzig, sozusagen einen Schritt zurückzugehen und wieder einen „Monsieur Poiret“ ins Rennen zu schicken. Einen pensionierten Belgier, ehemals Polizeichef in Brüssel, der im Exil in London lebt, so wie Evans Originalfigur.

Außerdem finde ich die „wilden 20er Jahre“ sehr faszinierend. Eine völlig bizarre, exzentrische und hedonistische Ära zwischen den beiden mörderischsten Kriegen, die die Welt je erlebt hat. In dieser Zeit sind die Abenteuer des Émile Poiret angesiedelt.


VP: In INSIGNIUM dagegen konntest du dich richtiggehend austoben. Das Konzept ist sehr ungewöhnlich, werden doch keine Auflösungen der Fälle des Vatikanermittlers Sante della Vigna angeboten. Und doch zeugen die ersten beiden Folgen von tiefgehenden Recherchen über die Leichen im Vatikankeller. Wie ist dieses Konzept entstanden?


AvB: Das Konzept basiert auf einer brillanten Idee von Marc Chainiaux, (Maritim Verlag), mit dem ich schon seit einigen Jahren sehr erfolgreich zusammenarbeite. Eine von diesen Ideen, die einen einfach nicht loslassen und jahrelang verfolgen. Marc Chainiaux hat ein großes Faible für dieses Vatikan-Thema und kam immer mal wieder darauf zu sprechen, ob ich mir nicht vorstellen könnte mal so etwas in der Art zu schreiben. Aber da zu dem Zeitpunkt andere Projekte noch in der „Pipeline“ steckten, haben wir es immer wieder auf unbestimmte Zeit vertagt. Bis die Zeit dafür endlich reif war. Die Grundideen der jeweiligen Themen stammen allesamt von ihm und wir tauschen uns über die einzelnen Plots sehr detailliert aus. Ich recherchiere die entsprechenden Hintergründe, schreibe dann die Drehbücher, bringe meine eigenen Ideen mit ein, er liest die Skripte, entwickelt dabei wieder neue Ideen und überraschende Wendungen - das geht wie bei einem kreativen Ping-Pong-Spiel zwischen uns hin und her, solange bis eine Story dann endgültig steht und realisiert werden kann. Auch Oliver Fleischer, (Maritim Verlag), wirkt sehr engagiert an der Entstehung jeder „INSIGNIUM“-Folge mit und bereichert die Arbeit mit seinen eigenen Anregungen oder weist mich z.B. auf Widersprüche hin, die sich dann und wann in ein Skript einschleichen.


VP: Wird es weitere Folgen von INSIGNIUM geben?


AvB: Absolut. Als nächstes wird bald Folge 3 erscheinen, mit dem Titel „Das schwarze Reich“. Dabei geht es um eine sehr düstere Thematik, nämlich um die Verwicklungen der katholischen Kirche mit dem Nazi-Regime. Eine sehr spannende und actiongeladene Folge, auf die man sich freuen darf.


VP: Nach deinen Kurzgeschichten in SAD ROSES, SCHATTENVERSUCHUNGEN und HÖLLISCHE WEIHNACHTEN bleibst du Alisha Bionda literarisch weiter treu. Darfst du schon verraten, was von dir in absehbarer Zeit zu erwarten ist?


AvB: Ja, die Zusammenarbeit mit Alisha Bionda ist ebenfalls ganz phantastisch! Sie ist wahnsinnig engagiert und diszipliniert; es macht einfach einen Riesenspaß mit Menschen wie ihr zusammenzuarbeiten, die so professionell und motivierend sind.

Als nächstes erscheinen zwei weitere Anthologien unter ihrer Herausgabe, für die ich Kurzgeschichten bzw. Novellen beisteuern durfte: „ADVOCATUS DIABOLI“ mit meiner Story „Unlicht“. Dann „DIE BEGEGNUNG“, wofür ich die düster-mystische Erzählung „La Serenissima“ verfasst habe. Eine Veröffentlichung, die für mich eine besondere Ehre darstellt, denn Wolfgang Hohlbein, den ich sehr für seine inspirierende Arbeit bewundere, hat die Titelstory für dieses Buch verfasst.

Außerdem wird es Anfang 2011 einen neuen Dark Romance-Roman von mir geben, für den ich zur Zeit das Exposé vorbereite.


VP: Danke für dieses Interview und viel Glück für den Vincent 2009.


AvB: Ich habe sehr zu danken! Bye-bye for now, oder wie es so schön heißt: “Elvis has left the building.”

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