Alexander Klymchuk (Interview)

 


Michael Schmidt: Hallo Alexander, deine Geschichtensammlung „Schattenseiten“ ist für den Vincent Preis als Beste Anthologie/Storysammlung/Magazin nominiert worden. Herzlichen Glückwunsch!

Alexander Klymchuk: Vielen Dank. Es ist mir eine große Ehre, nominiert zu sein.

Michael Schmidt: Hallo Alexander, stell dich dem Vincent Preis Publikum doch mal vor!

Alexander Klymchuk: Ich wurde 1979 geboren, bin dreifacher Vater, Ehemann, gelernter Tischler und staatlich anerkannter Erzieher. Als solcher bin ich auch in Vollzeit tätig, um die Butter auf dem Brot bezahlen zu können.

Zu meinen Hobbies zählte in jungen Jahren das Zeichnen und Malen, später wandte ich mich der Musik zu, sang in ein paar Metal-Bands, spielte E-Gitarre, vornehmlich im Hardcore- und Alternative-Rock-Bereich, irgendwann auch Bass in verschiedenen Combos und Schlagzeug in einer Rockband.

Zum Schreiben kam ich durch die Lektüre einer Novellensammlung von Stephen King, als ich noch sehr jung war. In Claudine Adams´ Podcast „1000 Zeichen und mehr“ kann man sich im Nachwort von „Festtagsrituale“, die Eröffnungsgeschichte der Schattenseiten“, meinen Werdegang detaillierter anhören. https://1000zeichen-podcast.podigee.io/3-neue-episode


Michael Schmidt: Was erwartet den Leser bei „Schattenseiten“?

Alexander Klymchuk: Die „Schattenseiten“ ist eine für mich persönlich sehr wichtige Sammlung meiner bis dato besten Kurzgeschichten. Nach einer Schaffenspause von mehr als 10 Jahren, in denen ich mich der Musik verschrieben hatte, realisierte ich meine erste Kurzgeschichtensammlung „Erkerfenster“; Geschichten, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung als Sammlung schon über 20 Jahre alt waren. Bei der Korrektur merkte ich, was ich hätte besser machen können, doch anstatt die alten Texte zu überarbeiten, schrieb ich neue. Sie waren eine andere Art von Erzählungen und profitierten von meiner Lebenserfahrung und der Lektüre großartiger Autoren wie Dan Simmons, Howard Philipps Lovecraft und Clive Barker.

Die „Schattenseiten“ sind nicht nur ausformulierte Plots, sondern mehr als die Summe ihrer Teile. Jede einzelne Erzählung hat den Anspruch, unverwechselbar zu sein und die Grundidee der Geschichte konsequent und erbarmungslos zum Abschluss zu bringen. Darüber hinaus sollen die recherchierten Rahmenbedingungen und die eingewobene Poesie toter Dichter wie William Shakespeare oder John Keats dafür sorgen, dass man verändert aus der Erfahrung des Lesens hervorgeht. Dabei war mir wichtig, die fremdsprachigen Anteile von Muttersprachlern korrigieren lassen, was auch für mich eine lehrreiche Erfahrung war.

Man wird Dantes Weg in die Hölle verstehen oder zumindest ein Gefühl dafür bekommen haben. Man wird die Ruine des Atomkraftwerks Tschernobyl mit anderen Augen sehen. Und man muss nicht versuchen, sich vorzustellen, wie es aussehen würde, wenn eine Atombombe auf Berlin fällt, denn man bekommt es gezeigt. So sind die „Schattenseiten“ nicht nur die handwerkliche Arbeit eines Autors, sondern auch der Spiegel der Ängste eines Mannes, der nichts für unmöglich hält und in seiner tiefsten Seele davon überzeugt ist, dass in den Schatten dieser Welt unsterbliche und hungrige Dinge lauern.

Ich freue mich sehr, dass Patrick Fuchs die ungekürzte Hörbuchfassung realisiert, der schon zuvor „Erkerfenster“ eingesprochen hat. Das ist Kino für die Ohren und immer wieder spannend, was jemand aus den Worten macht, die man in seine Tastatur gehackt hat.


Michael Schmidt: Für alle, die noch nichts von dir gelesen haben: Wie würdest du deine Prosa charakterisieren?

Alexander Klymchuk: Drama / Thriller mit fantastischen Elementen und einer Tendenz zur Science-Fiction und dem Fundament eines guten Horror-Plots. Also irgendwo zwischen „Akte X“, „Twilight Zone“ und „Gespenster Geschichten“, geschrieben für Erwachsene und Kenner der Phantastik.

Mein Anspruch ist es, leicht zugänglich auf hohem Niveau zu unterhalten. Das Setting ist so gut wie immer unvorhersehbar, denn ab einem gewissen Punkt entfalten sich die übernatürlichen Elemente des Plots und hebeln die altbekannten Gesetze unserer Welt aus, um Platz zu schaffen für die Finsternis, die ich vermeine hinter den Winkeln umherkriechen zu wissen.

Die Dialoge müssen rocken, realistisch sein, nachvollziehbar. Die Grundidee muss auf ihre Art neu sein. Was die Marschrichtung angeht, fühle ich mich in keiner Schublade zuhause, aber die faktisch nicht vorhandenen Grenzen des Genres „Horror“ spielen mir in die Karten, wenn ich das Finale mit aller Konsequenz ausschmücken will. Wichtig ist mir auch immer wieder der Gebrauch von Mundart und Dialekten, was manche sehr mögen, andere dagegen eher abschreckt oder gar vergrault. Hier ist es mir wichtig, dass ich mich mit meiner Vision durchsetze und nichts verändere, nur weil ich vielleicht der Meinung wäre, es käme besser an.

Literatur-Nobelpreisträger John Steinbeck sagte einmal: Vergiss dein allgemeines Publikum. Erstens wird dich das namenlose, gesichtslose Publikum zu Tode erschrecken. Und zweitens existiert es, anders als im Theater, gar nicht. Beim Schreiben ist dein Publikum ein einzelner Leser. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es manchmal hilft, eine Person auszuwählen – eine reale Person, die du kennst, oder eine imaginäre Person – und an diese Person zu schreiben.

Damit hatte er meiner Meinung nach absolut recht. Mein „Leser #1“ war immer Mike Suchanka und wird es immer sein. Er war mein bester Freund und kam am 30. Januar 2024 bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Ihm sind die „Schattenseiten“ gewidmet und alles, was ich in Zukunft noch schreiben werde, denn er hätte mir um die Ohren gehauen, dass die Charaktere zu flach, die Dialoge zu knapp, die Atmosphäre nicht greifbar ist, bis ich es umgeschrieben hätte. Mike war wie ich ein großer Stephen King Fan, aber ungleich schlauer als ich und hatte ein Auge für Nuancen und Potentiale. Von seiner Expertise profitieren meine Texte noch immer und so sind die „Schattenseiten“ das Ergebnis eines langen Prozesses, der darauf abzielte, es richtig zu machen, es finster zu gestalten und einzigartig zu sein.

Michael Schmidt: Du veröffentlichst regelmäßig in Anthologien bzw. Magazinen. Welche deiner Geschichten würdest du empfehlen und wo sind diese erschienen?

Alexander Klymchuk: Das kann ich pauschal nicht beantworten, denn mir ist jede Geschichte wichtig. Und jede ist vor Fertigstellung und Abgabe das Beste, das ich je geschrieben habe, rein subjektiv.

Ich kann „Invictus“ nicht mit „Entfremdung“ vergleichen oder „Niemandsland“ mit „Festtagsrituale“. Kein Text spielt im gleichen Universum, wurde geschrieben von der gleichen Person, denn nicht nur die Welt verändert sich mit jedem Moment, sondern auch ich.

Ich bin sehr stolz auf die Tatsache, in jeder der 4 bisher erschienenen Neuauflagen des Phantastik-Magazins „daedalos“ des Verlags „p.machinery“ vertreten zu sein. Ich liebe die Anthologien des Shadodex Verlags und von Elysion-Books. Die Zusammenarbeit mit dem MUC-Verlag ist mir sehr wichtig, ebenso die Gemeinschaftsarbeiten „Arachnid“ (Marcel Zischg), „Synopsis“ (Andreas Dörr), „Immortalis“ und „Paradoxon“ (Nicole Hobusch) und „Der Fremde“ (Jara Tenebrae), die Lektorate von Petra Ihm-Fahle und Rudolf Strohmeyer und die Übersetzungen von Melanie Haupt, die auch die „Schattenseiten“ ins Englische übersetzt hat für die „Studies in black“.

Aber wenn ich auf all das zurückblicke, sind meine Sherlock-Holmes Geschichten für den Burgenwelt Verlag und die „Deutsche Sherlock Holmes Gesellschaft“ etwas ganz Besonderes.

„Der Exorzismus der Maria Copperfield“, eine Geschichte die mehr als 15 Jahre unvollendet buchstäblich in einer Schublade lag und die ich erst vollendete, als die Ausschreibung von Christoph Grimm und Sarah Lutter mich dazu inspirierte, kommt entgegen meiner üblichen Herangehensweise ohne übernatürliche oder fantastische Elemente aus, auch wenn zu Beginn alles darauf hindeutet.

„Der Gesang der Ratten“, das Sequel zu „Der Exorzismus der Maria Copperfield“ erschien in der Weihnachtsbeilage 2022 der „Baker Street Chronicles“ der „Deutschen Sherlock Holmes Gesellschaft“, was für mich war, als hätte Holmes´ Schöpfer Sir Arthur Conan Doyle meine Erzählung persönlich geadelt.


Michael Schmidt: Konzentrierst du dich auf Kurzgeschichten oder schreibst du auch Romane?

Alexander Klymchuk: Hauptsächlich schreibe ich Kurzgeschichten. Ich empfinde sie auch nicht als eine Art „kurzen Roman“ oder einen Ausschnitt, der ein größerer Text sein könnte.

Die Kurzgeschichte ist eine Kunstform, die Autoren wie Roald Dahl, Howard Philipps Lovecraft, Chris Priestley, Edgar Allen Poe und viele andere dem Roman vorzogen. Man muss mit wenigen Mitteln viel erreichen. Im besten Fall ist kein einziges Wort überflüssig und jeder Satz hat seine Daseinsberechtigung, bis sich dem Leser im Finale die letzte Konsequenz offenbart und das Geschehen zum Abschluss bringt.

Es gibt nichts Vergleichbares für mich und die Leidenschaft für eine schmissige Idee, die ein gut ausgebauter Plot werden kann, wird immer für mich eine erstrebenswerte Herausforderung sein.

Michael Schmidt: Woran arbeitest du gerade?

Alexander Klymchuk: Im Moment ist mein primäres Projekt die Anthologie „Monster 2.0“, die im MUC-Verlag erscheinen wird und bei der ich gemeinsam mit Sabine Brandl die Herausgeberschaft innehabe. Es geht um die klassischen Ungeheuer „Dracula“, „Frankensteins Monster“, „Der Wolfmann“ und wie sie alle heißen. Ein Herzensprojekt von mir, das ein würdiges Zuhause gefunden hat. Am 28.02.2025 war Einsendeschluss und wir haben über 200 Einsendungen erhalten. Ich kann da jetzt noch nicht ins Detail gehen, aber es sind sehr viele tolle, originelle und qualitativ hochwertige Geschichten dabei, sodass ich mich sehr darauf freue mit Sabine ins Gespräch zu kommen um die besten Texte auszuwählen.

Außerdem schreibe ich noch mit Andreas Dörr an „Synopsis“, einem in Episoden unterteilten Science-Fiction Roman, den man sowohl vorwärts als auch rückwärts lesen kann. Abgesehen davon ist die Novelle „Abendgesellschaft“ noch im Werden. Ich habe einige Geschichten in Arbeit, die nur auf den passenden Zeitpunkt warten, um entfesselt zu werden.

Und natürlich steht meine dritte Kurzgeschichtensammlung „Das Ende aller Welten“ in den Startlöchern, über die ich nur soviel verraten kann: Das wird eine ganz andere Art Monster.

Michael Schmidt: Was liest du selbst?

Alexander Klymchuk: Ich bin, wie bereits erwähnt, ein großer Fan von Stephen King. Und auch, wenn ich seine älteren Sachen, wie „Nachtschicht“, „Es“, „Pet Semetary“ und „Tommyknockers“ mehr schätze, als seine neuen Romane und Geschichten, schafft er es immer wieder, mich zu fesseln und an seine Charaktere zu binden.

Dan Simmons ist jemand, den ich verehre. Seine Art zu schreiben lässt das Geschehen nicht wie Fiktion wirken, egal, wie fantastisch es wird. Man erlebt seine Geschichten, als wäre man Teil von ihnen. Seine Novelle „Der große Liebhaber“, die während der Schlacht an der Somme spielt, der verlustreichsten Schlacht des ersten Weltkrieges, ist erschütternd und wunderschön zugleich. Er beschreibt den Horror des Stellungskrieges aus der Sicht des fiktiven Dichters James Edwin Rooke, der während seiner Zeit an der Front Gedichte schreibt. Diese Gedichte wurden tatsächlich von real existierenden Poeten geschrieben, die wahrhaftig der Schlacht an der Somme beiwohnten und auch der Großteil Geschehnisse ist Kriegstagebüchern von gefallenen Soldaten entnommen. Das lässt die Grenze zwischen Fiktion und Realität verschwimmen. Und wenn sich dann Übernatürliches zwischen die Zeilen schleicht, zieht es einem die Schuhe aus.

Abgesehen davon entdecke ich gerade Thomas Ligotti und ich habe immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben, dass die Geschichten von Nathan Ballingrud ins Deutsche übersetzt werden, wobei ich mir fast sicher bin, dass sich das außer Frank Festa, der uns „Lovedeath“ von Dan Simmons geschenkt hat, niemand trauen wird.

Michael Schmidt: Wie siehst du die deutschsprachige Horror- und Phantastikszene?

Alexander Klymchuk: Die Szene ist wie eine große Familie. Hier gibt es keine Ellenbogen, keine Konkurrenz, sondern nur Respekt, Support und Empathie. Und es ist eine große Familie mit einem weit verzweigten Stammbaum, dessen Wurzeln aus den unterschiedlichsten Epochen gespeist werden.

Wir haben da den Marburger Verein für Phantastik, tolle Magazine wie „daedalos“ und „Zwielicht“, die starken Erzählungen der „Diener des Ordens“ von C. Gina Riot, die Tolkien geliebt hätte, die knallharten Geschichten von Thomas Karg, die spannenden Abenteuer aus der Feder von Nicole Hobusch, Johanna Brenne, Monika Grasl und Jara Tenebrae, die Scatoelfen und die tollen Geschichten von Andreas Dörr und Jo Schuttwolf. Außerdem haben wir selbstverständlich die Heftromane, angefangen bei John Sinclair und dem Dämonenjäger Isaac Cane von Ulrich Gilga.

Wir haben Herausgeberinnen wie Anke Brandt von der Romantruhe, Bettina Ickelsheimer-Förster vom Shadodex-Verlag, Jennifer Schreiner von Elysion-Books und Ellen Norten, Andreas Fieberg und Michael Siefener, die „daedalos“ im Verlag „p.machinery“ veröffentlichen. Und es gibt Blogger wie Alex, die Leseratte, Joshua Friedrichs und Dana reads books, die enorm wichtig sind für die Szene und eine Brücke bauen können zwischen den Schreibenden und der Leserschaft.

Wir haben aber auch Kai Mayer, der eine feste Größe in der Szene ist. Und Frank Schätzing, der unbedingt nach seinen Büchern beurteilt werden sollte, denn sie sind um Längen besser, als die Verfilmungen derselbigen. Wir haben Aiki Mira, die völlig zurecht einen Literaturpreis nach dem anderen abräumt und die deutschsprachige Science-Fiction nicht nur durch ihre einzigartige Art zu schreiben bereichert, sondern durch ihre originellen Geschichten und Charaktere neu definiert.

Wir haben frische, originelle Geschichten und eine Vielzahl talentierter Autorinnen und Autoren, die jedes Genre abdecken zwischen Science-Fiction, Fantasy, Horror und was es da noch so gibt. Und es gibt nur wenige, die den Sprung schaffen und von ihrer Kunst leben können.

Ich wünsche mir von den großen Verlagen mehr Mut für einzigartige Ideen und Manuskripte, die nicht unter dem Aspekt der Massentauglichkeit bewertet werden. Es warten fantastische Welten darauf, entdeckt zu werden.

Michael Schmidt: Noch ein Wort an die Meute dort draußen!

Alexander Klymchuk: An die Leserschaft: Gebt den kleinen Verlagen eine Chance. Kauft ihre Bücher und Anthologien, geht auf die Messen und hört euch die Lesungen an. Neben dem Mainstream passiert die wahre Magie, die Klassiker von morgen, die Märchen der Zukunft.

An die Schreibenden: Glaubt an euch, zuallererst. Liebt, was ihr tut. Dann werden es auch andere lieben. Und versucht nicht, es jedem recht zu machen; das ist unmöglich. Findet jemanden, wie ich Mike gefunden habe, und schreibt für ihn. Und ganz gleich, wie viele es hassen, verreißen oder verfluchen, es wird immer gut genug sein, in euren Augen, wenn es Leser #1 gefallen hätte.

 

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