Markus K. Korb zu Gast beim Vincent Preis

Interview von Vincent Voss


Stell dir einen schlichten, schwarzen Raum vor, zwei sich gegenüberstehende blutrote Kanapees, einen schlichten, weiß lackierten Tisch, eine weiße Vase mit einer schwarzen Dahlie zum Inhalt. Im Hintergrund hören wir Cryo Chamber : https://www.youtube.com/watch?v=ppiGTLqfaWc




VV: Moin Markus, herzlich Willkommen hier beim Vincent Preis. Schön, dass du da bist. Was möchtest du trinken? Gefällt Dir die Musik?



MKK: Hi Vincent, danke für die Einladung. Ich nehme gerne einen Kaffee. Nur mit Milch, bitte. Über Zucker bin ich bereits hinweg. Die Musik finde ich klasse, übrigens. Danke für den Tipp!



VV: Deine Storysammlung „Das raunende Wrack“ aus dem Verlag Torsten Low steht auf der Nominierungsliste für den Vincent Preis. Weißt du als literarisches Schwergewicht eigentlich noch wie viele Nominierungen du hattest und welche Platzierungen du beim Vincent Preis erreicht hast?


MKK: Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, ich wüsste spontan die Anzahl. Das klingt möglicherweise arrogant, ist aber keinesfalls so gemeint. Im Gegenteil: Ich freu mich jedesmal wie ein Schnitzel, wenn ich nominiert wurde oder mir ein Preis verliehen wird, aber ich gehe damit nicht hausieren und sage: „Hey, Leute – schaut mal her, ich habe zum xten Mal etwas gewonnen!“. Edle Einfalt, stille Größe – mit dieser Maxime Winkelmanns kann ich mich identifizieren.
Cover von Mark Freier


VV: „Das raunende Wrack“ ist ja eine Sammlung aus schon erschienenen und neuen Erzählungen. Warum ist sie für Lesende interessant?



MKK: Nun, die neuen Storys zeigen meinen momentanen Entwicklungsstand als Erzähler und die bereits erschienenen können aufzeigen, wie ich damals schrieb. Ich habe sie bewusst nur behutsam redigiert, so dass dieser Umstand gewahrt bleibt. Zudem denke ich, dass vor allem die Mischung als Novellen, Erzählungen, Kurzgeschichten und Kürzestgeschichten sehr reizvoll ist.


 VV: Ich muss gestehen, hier hat mich dein Indienausflug begeistert, ebenso die Erzählung „Der lange Winter“, die im Kaukasus spielt. Ich finde, du schaffst das immer verdammt gut, die regionalen Eigentümlichkeiten lebendig zu beschreiben. Was leistest du im Vorfeld dazu?

MKK: Ich betreibe viel Recherche. Reiseberichte, historisches Quellenmaterial in Universitätsbibliotheken, Youtube-Videos, die Google-Bildersuche – alles ist erlaubt, um ein möglichst reichhaltiges Bild der Gegebenheiten vor Ort zu erhalten.

Danke dir für das Lob. Ich liebe die beiden von dir erwähnten Novellen ebenfalls. Bei „Am Lagerfeuer der Rikschafahrer“ habe ich mit einer für mich neuen Herangehensweise experimentiert. Ich nenne es eine „Hub“-Novelle. Es gibt ein Zentrum, das titelgebende Lagerfeuer, und dahin kehren verschiedene Rikschafahrer zurück und berichten von spannenden Erlebnissen, andere gehen weg, und erleben neue Geschichten, welche sie dann wieder erzählen - zurück am Lagerfeuer.

Bei „Der lange Winter“ wurde ich durch eine Begegnung mit einer Dame inspiriert, welche einen Trip in den Kaukasus unternommen hatte. Ihr Fotoalbum war ein Augenöffner für mich, dazu ihr mündlicher Bericht, bei dem ich ihr förmlich an den Lippen hing. Auch derartige Impulse bringen mich zum Schreiben.



VV: Okay. Mal eine andere Frage. Wirst du politischer in deinen Geschichten? Wäre jetzt mein Eindruck. Wenn ja, warum?

 MKK: Es ist schwer für mich selber zu entscheiden. Ich halte mich schon immer für einen politischen Menschen, schreibe aber keine politischen Storys. Dennoch bin ich – wie jeder Autor – vom Zeitgeschehen bewusst oder unbewusst beeinflusst, so dass dies in meine Geschichten einfließt. Andreas Wolf hat das im Nachwort zu „Phantasma Goriana“ sehr treffend formuliert, ich zitiere sinngemäß: a) Korb ist ein Humanist b) stets hat die Story Vorrang vor der Person des Autors.

Aber ich scheue mich auch nicht, politische Themen anzupacken. „Ernten des Schreckens“ mit seinen Kriegs-Horror-Storys etwa oder der Band „Xenophobia“ mit den Geschichten rund um Fremdenangst, wobei alle Seiten beleuchtet werden. Auch gibt es immer wieder Erzählungen, wie „Die Quote“ in „Spuk!“, welche explizit politisch sind, indem sie eine klare Einstellung zu einem Thema transportieren. Allerdings möchte ich nicht agitatorisch auftreten oder gar den berühmten pädagogischen Zeigefinger schwenken.

VV: Erzähl doch mal bitte, wie du zum Genre Dunkle Phantastik gekommen bist? Ich habe einen Verdacht … immer wenn bei dir abergläubische Großmütter ins Spiel kommen, fühle ich mich an meine eigene Kindheit erinnert. Hat das einen Einfluss oder liege ich völlig falsch?

MKK: Nein, eine abergläubische Großmutter war da nicht im Spiel. Zuerst habe ich Science Fiction geschrieben, u.a. Fan-Fiction zu der Anime-Serie „Captain Future“. Aber ich war schon als Kind fasziniert vom Übernatürlichen und gleichzeitig geängstigt davon. Als ich am Gymnasium war, habe ich in der Schulbücherei alles verschlungen, was an Gespenster-Büchern zu haben war. Da reichte die Palette von Sachbüchern a la „Rätselhafte Geister und Gespenster“ vom Delphin-Verlag, über Geistergeschichten-Sammlungen wie „Die Uhr schlägt Mitternacht“ von Käthe Recheis, die gesamte Vorlese-Buchreihe herausgegeben von Lothar Sauer mit Titeln wie „Die Hexen-Esche“ oder „Die Satansschüler“. In der siebten Klasse entdeckte ich dann Edgar Allan Poe für mich. „Das verräterische Herz“ war geradezu ein düster-literarisches Erweckungserlebnis! Eine solch künstlerisch grandios formulierte und konzipierte Story war mir bislang nicht untergekommen. Tja, und seitdem bin ich dabei geblieben.

VV: Gab es übersinnliche Erlebnisse in deinem Leben, die dich inspirieren?

 MKK: Ja. Es gab Erlebnisse, die ich so bezeichnen würde. Sehr wenige zwar, aber es gab sie.


 VV: Du bist Lehrer, Musiker .., wo und wann nimmst du eigentlich die Zeit zum Schreiben?



MKK: Nun, das ist nicht immer einfach, zugegeben. Aber ich zwacke mir immer wieder mal in Freistunden Zeit für das Schreiben ab oder ich schreibe nachts. Was mir immer wieder ausreichend Zeit fürs Schreiben einräumt, ist der Kreativ-Schreiben-Kurs für besonders begabte Kinder, den ich seit vielen Jahren leite. Es ist mir eine große Freude, meine Kenntnisse, die ich mir vor allem autodidaktisch erworben habe, an eine jüngere Generation weiterzugeben. Und wenn die Kids nach dem Input verschiedene Schreibphasen haben, nutze ich diese auch zum Abfassen von Texten.

 VV: Okay. Und brauchst du neue Inspirationsquellen, also zum Beispiel Reisen oder so? Oder fällt dir das einfach zu?

 MKK: Ich brauche vor allem Menschen. Begegnungen mit Menschen inspirieren mich. Aber es gibt auch Orte, die mich faszinieren. Ich denke, es ist eine Mischung aus verschiedenen Aspekten. Ich werde auch von Zeitungsberichten inspiriert, von Arte-Dokus, Youtube-Videos, Computergames und vieles andere mehr, was ich wahrscheinlich gar nicht bewusst aufzählen kann.

 VV: „Das raunende Wrack“ ist ja in meinem Lieblingsverlag erschienen. Wie kam es zu dieser Allianz mit dem bissigen Verleger?

 MKK: Schon lange war es ein Wunsch von mir, mit Torsten Low zusammenzuarbeiten. Ich mag seinen Enthusiasmus für das Genre und habe großen Respekt davor, was er und seine Familie für die Phantastik-Szene im deutschen Sprachraum leistet. Der gesamte Verlag ist eine wichtige Institution. Leider hat es aus unterschiedlichsten Gründen lange nicht funktioniert mit einer Kollaboration. Umso schöner, dass es nun geklappt hat.



VV: Okay, ich weiß, diese Frage wurde dir bestimmt schon oft gestellt. Wird es einmal einen Roman von dir geben?


MKK: Das höre ich in der Tat oft. Ich sage dann stets, dass ich erst eine für mich geeignete Form und ein passendes Thema finden muss. Einfach einen Roman zu veröffentlichen, um einen Roman veröffentlicht zu haben, war nie mein Ziel. Die Form des Romanaufbaus muss mir gefallen und das Thema muss die Breite eines Romans zu tragen imstande sein. Also halte ich es mit Sean Connery als James Bond: „Sag niemals nie“. ;-)



VV: Was macht denn die Kurzgeschichte für dich so reizvoll? Übrigens ich halte sie ganz gewiss auch nicht nur für eine „Fingerübung“ für die sie gelegentlich abwertend abgetan wird … 


MKK: Ich denke, dass Kurzgeschichten in unserer Zeit sehr gut zu goutieren sind, die doch von Zeitknappheit angesichts eines Überangebots an medialen Inhalten geprägt ist. Man kann eine Story lesen, dann das Buch weglegen, es zwei Tage später aufschlagen und problemlos eine weitere Erzählung lesen. Bei einem traditionellen Roman kann es passieren, dass man nicht jeden Tag zum Lesen kommt (oder auf Autopilot kurz vor dem Einschlafen gelesen hat) und Teile der Handlung vergessen hat und wieder ein paar Seiten zurückschlagen muss. Auch bin ich bei der Kurzgeschichte gezwungen jedes Wort auf die Goldwaage zu legen, um Geschwätzigkeit zu vermeiden. Eine perfekte Kurzgeschichte ist geradlinig, hat Tempo und ist aufs Ende hin konzipiert, wo ein fulminanter Showdown mir den Atem raubt. Daher liebe ich Kurzgeschichten.




VV: Übrigens ist mir bei dir der Gebrauch aussterbender Wörter aufgefallen. Bewusst?


 MKK: Es ist keine Agenda von mir, das nicht. Aber ich habe beispielsweise Geschichten geschrieben, die wie alte Volkssagen wirken sollten, die im 18ten Jahrhundert verschriftlicht wurden. Da habe ich bewusst einige altbackene Wörter eingeflochten. Ansonsten passiert das einfach aus meinem Wortschatz heraus.

 VV: Mal ne oberflächlich einfache Frage. Was macht den Reiz am Horror aus? Was meinst du?


MKK: Die Katharsis. Wenige Horrorfans werden das bewusst so formulieren, aber das ist für mich ein Fakt. Das Sich-Befreien von Spannungen durch emotionales Abreagieren geschieht unbewusst beim Goutieren von Horror in jeder Form. Und das ist befriedigend. Darüber hinaus gibt es noch den intellektuellen Aspekt – das Spiel mit dem Grauen, mit dem Verstörenden, dem Andersartigen. In der Phantastik (wie ich „Horror“ gerne nenne, um den negativen Kontext des Wortes auszuschalten, den es leider bei einigen Menschen hat) kann ich die unterschiedlichsten psychologischen, zeitgenössischen, philosophischen Themen und noch viel mehr ansprechen, ohne dass es aufgesetzt wirkt. Ich spiele mit Ideen, probiere abnorme physikalische Weltvorstellungen aus und anderes mehr. Das ist doch ein großer Spaß, nicht?



VV: Jepp. Was war denn das Gruseligste, das dir selbst passiert ist?



MKK: Schwer zu sagen, was das Gruseligste war. Aber ich denke, das waren die Zähne eines Zwei-Meter großen Inders, die einmal nachts vor meinem Bürofenster schwebten.



VV: Die nächsten Erzählungen gehen in den Bereich Cyberpunk? Magst du dazu erzählen oder planst du noch etwas anderes?


MKK: Tatsächlich beschäftigen mich zwei Hauptprojekte derzeit, wovon eines in Richtung historische Phantastik geht und das andere zum Cyberpunk tendiert, wobei hier ein kräftiger Horroreinschlag festzustellen ist. Ich bin ein großer Fan von „Blade Runner“ und mag das SF-Subgenre „Cyberpunk“ allgemein sehr gerne: William Gibsons „Neuromancer“ ist ein kraftvolles Stück Prosa und „Deus Ex“ ist ein packendes Computergame mit vielfältigen Entscheidungsmöglichkeiten. Ich habe mich übrigens vom Trailer zum Spiel „Observer“ ein Stück weit zu meiner Novelle „Das Auge der finsteren Stadt“ (in „Phantasma Goriana“) inspirieren lassen. Und diese von mir erschaffene Welt hat noch viel Platz für Geschichten, wie ich nun gemerkt habe. Daran arbeite ich derzeit.

VV: Markus, vielen Dank für Deine Zeit und ich wünsche Dir viel Erfolg für die Endrunde!



 MKK: Vielen herzlichen Dank, Vincent. Ich mag übrigens deinen Namen, den du dem Preis geliehen hast… ;-)





Bullets (Wie aus der Pistole geschossen …)






VV: Wärst du lieber ein Tier oder ein Roboter?


MKK: Tier

VV: Warum?


MKK: Weil ich dann Gefühle hätte.



VV: Bier oder Wein?

MKK: Bier

VV: Das Beste an den 80ern?

MKK: Die jugendliche Unbekümmertheit und „Zurück in die Zukunft“

VV: Deine drei besten Horrorfilme? 

MKK: „Bis das Blut gefriert“, „Gothic“, „The Fog“

VV: Vampir oder Werwolf?

MKK: Vampir

VV: Du darfst ein berühmter Bösewicht sein. Wer wärst du dann?

MKK: Eigentlich will ich kein Bösewicht sein. Aber gut – dann: Ernst Stavro Blofeld von James Bond.

VV: Warum?

MKK: Dann darf ich den ganzen Tag eine Katze streicheln.

VV: Das Wichtigste einer Kurzgeschichte ist …?

MKK: Der Aufbau

VV: Der beste James-Bond-Darsteller ist …?

MKK: Sean Connery

VV: Nord oder Ostsee??

MKK: Ostsee

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