Laudatio auf Frank Festa




Laudatio auf Frank Festa anlässlich der Auszeichnung mit dem ›Vincent Preis‹ 2010 für herausragende verlegerische Verdienste.

»Ich hole mir meinen Preis.
Die ganze Welt weiß es:
Der Preis gebührt mir allein!«

— Vincent Price

(als Edward Lionheart
in ›Theater des Grauens‹)






Der Mann, den es nach Büchern hungerte



Ein erschütterndes Foto. Wir sehen einen Mann, der gierig in ein Buch beißt wie andere Menschen in einen Cheeseburger. Der Mann wirkt nicht ausgezehrt. Woher, fragen wir uns, rührt sein verzweifelter Bücherhunger? Den muss der Ärmste schon als zahnloser Zwerg aus der Mutterbrust gesogen haben …


Weit gefehlt!


Frank Festa trat im Januar 1966 in eine aliterarische, ja fast analphabetische Umwelt ein. Wenn das Kleinkind Frank Festa seine Mutter beim Einkauf in den Supermarkt begleitete, streckte es die Ärmchen nicht nach Matchbox-Autos aus, sondern nach dem Drehständer mit den bunten Taschenbuch-Covern: »Haben, Mama, haben!« Mamas unwandelbare Antwort lautete: »Für so was gibt man kein Geld aus!« (Ungelogen. Diese Erinnerung hat Frank mir schon vor vielen Jahren berichtet.) In der Zuversicht, dass es dennoch irgendwo Menschen gibt, die Geld in Bücher investieren, gründete Frank Festa später seinen ersten Verlag.

Doch bis dahin musste er sich durch vieles durchbeißen, was nicht nach Büchern schmeckt. Nach dem Hauptschulabschluss absolvierte er eine Lehre als KFZ-Mechaniker, wanderte nach Italien aus, kam nach einem Jahr wieder zurück. Arbeit fand er als Fabrikarbeiter, der im Drei-Schichten-Dienst Maschinen mit flüssigem Kunststoff befüllte. In diese Zeit fallen seine Eheschließung und die Geburt seiner beiden Kinder. An einen Ausbruch aus der Fron war daher nicht zu denken.

Aus der Leidenschaft für Literatur (nicht nur die phantastische) wurde ein Anklammern an sie als der einzigen Hoffnung darauf, dem Lebensverlauf, der sich für ihn und seine Familie abzeichnete, zu entrinnen.



Anfang 1996 klingelte mein Telefon. Arglos hob ich ab – und hörte erstmals Frank Festas Stimme. Sein Name war mir bekannt, durch seine Leserbriefe zu dem von mir mitherausgegebenen Fanmagazin Necropolitan und andere Publikationen. Neben den Fanzines etablierten sich damals (Jahre vor BOD und dem Internet) im Copy-Shop hergestellte Din-A-5-Hefte als Veröffentlichungsform für phantastische Kurzgeschichten des Schreibnachwuchses. Ein solches Heft, eröffnete mir Frank, wolle er mit meinen Kurzgeschichten machen. Sogar mit einem Farbkopie-Umschlag, was als absoluter Luxus galt. Ich war perplex! Und doch: als Diplom-Grafiker und ästhetischer Snob mochte ich die meist grellbunten Farbkopie-Cover nicht sehr. Zugleich wusste ich über Druckpreise Bescheid und rechnete vor, dass Frank zu den von ihm veranschlagten Kosten auch etwas viel besseres als ein DIN-A-5-Heft machen konnte: nämlich ein ›richtiges‹ Paperback!

›Edition Metzengerstein‹ taufte Frank seinen ersten (Fan-)Verlag in Anlehnung an die erste veröffentlichte Erzählung von Edgar Allan Poe. Den Anfang machte die Erzählsammlung Hippokratische Gesichter. Todesgeschichten – Franks erstes Buch als Verleger (und zugleich mein erstes als Autor). Den Drucker hatte uns Walther Wiesheier empfohlen, der dort sein Fanzine Screem drucken ließ. Die Cover-Gestaltung besorgte Stefan Atzenhofer, der auch gleich die fertigen Offset-Filme (noch einmal: dies waren die alten Zeiten!) für den Umschlagdruck lieferte. Für die Metzengerstein-Bände 2 bis 5 (Bd. 5: Frank Festa: Wucherungen. Dunkelgraue Geschichten) übernahm ich als Profi die Umschlaggestaltung (meist unter Verwendung fremdgelieferter Illustrationen) sowie die Beschaffung der Offset-Filme. Wäre Frank ein so bequemer, träger Sack wie ich selbst, wäre das auch noch lange so geblieben. Doch trotz seiner beruflichen und familiären Inanspruchnahme legte Frank zu meiner VERwunderung schon bald Wert darauf, die gesamte Buchproduktion in die eigenen Hände zu nehmen. Und zu meiner BEwunderung war er darin binnen kürzester Zeit so gut wie ich selbst. Zum Phänomen Frank Festa gehören Franks geradezu unheimlich anmutende Lernfähigkeit und autodidaktische Begabung. Heute weiß er unendlich viel mehr über Bücherdruck und Buchproduktion als ich.

Bereits die ›Edition Metzengerstein‹ setzte Maßstäbe und prägte die deutschsprachige Phantastikszene nachhaltig. Bald nach dem Erscheinen der Hippokratischen Gesichter waren DIN-A-5-Heftchen out und ›Metzengerstein‹-artige Paperbacks traten an ihre Stelle. Viele alte und neue Verleger dieser Bücher beauftragten auch gleich denselben Drucker wie die ›Edition Metzengerstein‹. In ihr veröffentlichte Frank Festa einheimische Autoren wie Michael Siefener (sein zweites Buch), Eddie Angerhuber (ihr erstes Buch mit ISBN) und Kai Meyer. Er verhalf Thomas Ligotti in Deutschland zu einem bescheidenen, leider vorübergehenden Durchbruch (nachdem der erste deutsche Ligotti-Band von DuMont weitgehend untergegangen war) und brachte die bis heute einzige deutschsprachige Ausgabe von Ramsey Campbells immens einflussreicher Kollektion Demons by Daylight heraus. Unnötig, hervorzuheben, dass er sich trotz seiner damals noch rudimentären Englischkenntnisse überhaupt nicht genierte, mit angelsächsischen Autoren brieflich zu korrespondieren und am Telefon zu parlieren.

Das Renommee, das er sich mit der ›Edition Metzengestein‹ erworben hatte, half Frank, dem verhassten Dasein als Schichtarbeiter endlich zu entrinnen. Er wurde Programmleiter beim Blitz-Verlag. Dort setze er die ›Edition Metzengestein‹ mit mehreren Titeln fort, landete einen Riesenerfolg, als er Brian Lumleys Necroscope-Reihe für den deutschen Markt entdeckte, und gründete mit ›H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens‹ eine Buchreihe, die konzeptionell und optisch bis heute zahlreiche Nachahmer gefunden hat und weiterhin findet.

Frank Festa behielt den Mut, seinem innovativen verlegerischen Gespür zu folgen, auch dann bei, als er mit der Gründung eines eigenen Profi-Verlages den Schritt in die berufliche Selbständigkeit riskierte. Mit der Buchreihe ›Nosferatu‹ nahm Festa den später einsetzenden Vampir-Boom vorweg. Der Verlag veröffentlichte die ersten Romane von Andreas Gruber, der inzwischen mit seinen Thrillern zu den großen Verlagshäusern vorgestoßen ist. Für den deutschsprachigen Buchmarkt entdeckte Festa den Amerikaner Richard Laymon wieder und mehrere weitere angelsächsische Autoren neu (darunter den Australier Brett McBean, der schon jetzt in Deutschland viel erfolgreicher ist als in seiner Heimat). Zahlreiche große Publikumsverlage, von Heyne über Bastei bis Piper, kauften Lizenzen des Festa-Verlags.

Daher nimmt es nicht Wunder, dass der Festa Verlag auch in den Lektoratsbüros der großen ›Konkurrenten‹ hohen Respekt genießt und viele Kleinverleger im Bereich der deutschsprachigen phantastischen Literatur Frank Festa als ihr großes Vorbild nennen. Verwunderlich ist etwas ganz anderes …

Frank Festas geradezu amerikanische ›Erfolgsstory‹ (gerne würde ich schreiben: vom Tellerwäscher zum Millionär, doch leider ist Frank von den Millionen weit entfernt) verdankt sich zwar Eigenschaften wie Unternehmergeist, Fleiß, Risikobereitschaft, Energie, Disziplin und einer beträchtlichen Dosis echt Frank’schen Optimismusses – aber bei allem ›Biss‹, den Frank Festa im Verlagsgeschäft natürlich hat, fehlen andere ›typische‹ Karriere-Zutaten wie Egoismus, Rücksichtslosigkeit und Ellenbogeneinsatz verblüffender Weise völlig. Frank Festa ist einer der zwei oder drei offenherzigsten, ehrlichsten Menschen, die ich in meinem bisherigen Leben kennen gelernt habe – ohne auch nur einen Anflug von Neid gegenüber Erfolgen anderer und mit einer tief sitzenden Abneigung dagegen, sein Geschäft auch nur ansatzweise auf fremde Kosten ›trickreich‹ zu betreiben.

Wahrscheinlich ist genau dies der Grund, warum Frank Festa von den Millionen so weit entfernt ist.



Befänden wir uns auf der Preisverleihung, würde ich jetzt unter dem Applaus des Publikums Frank Festa selbst aufs Podium bitten. Ich würde ihm die hochverdiente Urkunde überreichen – und ihm das Mikrophon übergeben. Frank würde einige Dankesworte sagen, begleitet von raumgreifenden Gesten (das ist das Erbe seines italienischen Vaters). Vielleicht würde er uns sogar etwas sogar vorsingen (er singt gerne) und dabei ebenso hemmungslos gestikulieren. Aber egal ob gestikulierend gesprochen oder gesungen – Franks Dank würde seiner Frau gelten. Inge Festa hat nicht nur in der hoffnungslosen Zeit zu Frank gehalten, als das ›Ausfahrt‹-Schild zum eigenen Verlag auf der Lebensstraße noch lange nicht in Sicht kam, und ebenso später, während er vielen schwierigen Tage, die es auch im Verlegerleben gab und gibt … sondern sie ist auch Franks unentbehrliche Ideengeberin und Kritikerin im Verlag, ganz zu schwiegen von ihrer Arbeit als Layouterin der Festa-Bücher und Verantwortliche für die Internet-Betreuung der Kunden.



So können wir uns behaglich die Bäuche streicheln in der Gewissheit, dass das Team Festa uns Bücherhungrigen auch in Zukunft die geliebten Leckerbissen des Bösen (wie einer der Festa-Buchtitel lautet) zu kosten gibt.


Malte S. Sembten





Kommentare

  1. Ich liebe den Festa Verlag und Frank Festa ist echt ein netter Kerl :-D Das hast du echt gut geschrieben.

    LG Eva

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