Interview mit Simona Turini

 

Stell dir einen schlichten, schwarzen Raum vor, zwei sich gegenüberstehende blutrote Kanapees, einen schlichten, weiß lackierten Tisch, eine weiße Vase mit einer schwarzen Dahlie. Im Hintergrund hören wir Babyshambles – Sequel to the Prequel

 

 


 

VV: Moin Simona, schön, dass du da bist. Nimm bitte Platz. Was magst du trinken?

ST:  Moin Vincent! Es ist toll, dich mal wiederzusehen! Aber kannst du bitte diese lahme Musik leiser machen? Babyshambles, echt jetzt??

Ein Rotwein wäre schön, danke!

 VV: *lacht* Ich fange mal an, wie ich dich kennengelernt habe. Wir haben zusammen in Berlin gelesen und du hast mich so ziemlich weggefegt mit deinen Texten. Gut, du hattest Musik und Film dazu, ich nicht. 😉 Nee, im Ernst, das war stark. Gibt ja Leute, die nicht so gut lesen können, aber du liest auch gerne vor, oder?

ST: Tatsächlich mache ich das sogar viel, viel lieber, als zu schreiben. Das Schreiben ist für mich immer unheimlich anstrengend, denn ich bin da übertrieben kritisch. Bei der ersten Idee finde ich meine Geschichten immer toll, dann muss ich sie strukturieren und schreiben und kann Ewigkeiten an nichts anderes denken, sie suchen mich sozusagen andauernd heim und ich bin voller Hass. Wenn sie dann lange genug irgendwo herumgelegen haben – bestenfalls in einem veröffentlichten Buch - beschließe ich, sie vorzulesen und auf einmal liebe ich sie. Meistens zumindest.

 VV: Du hast ja 2022 einen Kurzgeschichtenband namens „Der Fluch der Dunkelgräfin“ im Amrûn Verlag veröffentlicht. Sehr cool! Deine Geschichte „Ab ins Grüne“ hätte gerne den Vincent Preis verdient, fand ich. Erzähl doch mal, wie das Buch zustande gekommen ist. War ein Erzählband geplant?

 ST:  Auf jeden Fall. Hauptsächlich schreibe ich ja Kurzgeschichten, denn das macht mir am meisten Spaß und ich glaube auch, dass ich das am besten kann. Da meine Erzählungen in den zahlreichen Anthologien, in denen ich mittlerweile vertreten bin, unterzugehen scheinen, habe ich beschlossen, mich nur noch an ganz besonderen Sammlungen zu beteiligen – da war zum Beispiel was mit Katzen und Faye Hell und M. H. Steinmetz ;-). Also hab ich alte Erzählungen überarbeitet und zusammengetragen, was sonst so da war. Dazu noch ein paar neue Sachen, und voilà, nur ein Jahr später hatte ich ein Buch. (Erwähnte ich bereits, wie sehr ich mich mit dem Schreiben immer quäle??)

 VV: Ich finde, du versammelst von Gothic-Horror, historischem Horror, Sci-Fi-Horror, Trip-Horror und Pflanzenhorror ne ganze Bandbreite des Genres. Wie kam es dazu? Woher kommen deine Ideen?

ST: Puh – woher kommen meine Ideen? Ich sehe mir superviele Horrorfilme an, dazu Telenovelas, US-Sitcoms und immer wieder Zeichentrick. Außerdem lese ich alles, was ich in die Finger kriegen kann, in so ziemlich allen Genres. Außerdem bin ich eine begnadete Lügnerin. Zwar werde ich oft erwischt und halte Unehrlichkeit auch nie lange aus, aber meine Geschichten sind immer voll gut!

Ach ja, und Menschen erzählen mir gerne Zeugs. Das kann man oft benutzen, und wenn es nur ein genervter Ausspruch ist, den man einfach mal wörtlich nimmt. „Ab ins Grüne“ ist zum Beispiel so entstanden.

VV: Deine Geschichten sind oft fies. Bist du ein guter Mensch, Simona?

ST: Es gibt keine guten Menschen. Aber ich bin zumindest nicht auffallend schlecht.

 VV: Warum magst du Kurzgeschichten?

 ST: Sie sind leichter zu schreiben. Eine Kurzgeschichte gehorcht simplen Regeln, die sich gut beherrschen lassen. Sobald ich die Geschichte und den richtigen Tonfall gefunden habe, geht das Schreiben ganz schnell. Als eher ungeduldiger Mensch gefällt es mir, wenn ich rasch Ergebnisse sehe.

VV: Bist du eine gute Beobachterin?

 ST: Wenn mich etwas interessiert, dann ja. Allerdings bin ich eine noch viel bessere Ignoriererin.

 VV:  Okay. Jetzt mal ein Themenwechsel. Du arbeitest als Übersetzerin und Lektorin, bietest Autor*innen-Coaching an. Wie sieht dein Arbeitstag aus?


ST: Ich beginne den Tag gemeinhin mit Kaffee und Lektüre im Bett, dann setze ich mich an den Schreibtisch und kümmere mich um Korrespondenz, eventuell Buchhaltung, To-do-Listen. Dauert das lange, gibt es irgendwann Mittagessen, geht es schnell, beginne ich anschließend mit dem aktuell anstehenden Projekt – die „Morgenschicht“ dauert auf jeden Fall so lange, bis ich Hunger kriege.

Nach dem Essen gehe ich spazieren oder schlafe oder kümmere mich um den Haushalt, am Nachmittag geht es weiter. Die „Spätschicht“ ist immer dem Projekt gewidmet, mit dem ich gerade beschäftigt bin. Zu der Zeit bin ich am produktivsten.

VV: Du arbeitest für verschiedene Verlage, unter anderem für FESTA. Wie kam die Zusammenarbeit zustande?

ST:  Als ich mich selbstständig machen wollte, gab mir meine Freundin Claudia Rapp – selbst Übersetzerin, unter anderem bei Festa - den Tipp, bei Frank Festa anzufragen, weil er immer Leute fürs Übersetzungslektorat sucht. Unglücklicherweise hab ich diesen speziellen Job nicht besonders gut gemacht, aber Frank ist ziemlich cool und warf mich nicht einfach raus, sondern fragte, ob ich nicht vielleicht mal eine Übersetzung probieren mag, wenn das mit den Übersetzungslektoraten schon nicht klappt. Nun, das liegt mir offensichtlich eher. Ein Glück, es ist der beste Job der Welt!

VV: Gibt es Stoffe, die du bevorzugst? Oder andersherum: Gibt es bei dir auch Grenzen?

ST: Das Andersherum fällt mir leichter: Ich habe und kenne keine Grenzen, solange es um Fiktion geht. Da darf man machen, was man will, ist schließlich alles nicht echt.

VV: Wann schreibst du denn?

ST: Wann immer ich Zeit und Lust habe. Bevorzugt mehrere Tage am Stück.

VV: Und wo? Und wie?

ST: Am liebsten beim Spazierengehen. Wenn ich rumlaufe, kommen mir immer die besten Ideen – oder überhaupt Ideen. Also bemühe ich mich, wenn ich Zeit und Muße habe, bei meinem täglichen Spaziergang über Geschichten nachzudenken. Die diktiere ich dann in mein Handy. Später setze ich mich an den Schreibtisch und tippe das Diktat ab, verändere es, ergänze und komme dabei oft in Stimmung, gleich weiterzumachen. So entstehen an guten Tagen zehn, 15 Seiten, an schlechten nur zwei. An richtig schlechten keine.

VV: Wie sieht es denn mit einem Roman aus deiner Feder aus?

ST: 2022 hatte ich drei große Projekte geplant: Ich wollte eine Wohnung in Köln oder Umgebung finden & umziehen, fünf Kilo abnehmen und einen Roman schreiben. Ende April zog ich in meine jetzige Wohnung, Anfang November hatte ich sogar sieben Kilo weniger und irgendwann nicht lange danach stand die Rohfassung meines nächsten Romans. Leider habe ich es bisher noch nicht geschafft, die auch zu überarbeiten, aber mit etwas Glück schaffe ich das bis zum Sommer und kann bald veröffentlichen. (Wenn jemand das Buch nimmt ...)

VV: Du selbst scheinst ja dem Genre Horror zugewandt zu sein, wie wir sehen. Wie kam es dazu? Wie bist du denn mit dem Horror sozialisiert worden?

ST: Meine Schwestern sind schuld. Ganz sicher. Die mochten Horror schon immer und da sie älter sind als ich, kam ich über sie mit Dingen in Berührung, die man einem jungen Sensibelchen mit Angst im Dunkeln vielleicht besser vorenthalten hätte. Zum Glück war ihnen das vollkommen egal, sodass ich jetzt machen kann, was ich so mache. ;-)

VV: Hattest du in deinem Leben unerklärliche Erlebnisse?

ST: Ich hatte vor nicht allzu langer Zeit so was wie eine Schlafparalyse. Das ist nun nichts Übernatürliches, aber es fühlte sich in dem Moment so an: Ich lag auf der Seite im Bett und war ganz sicher, wach zu sein. Neben mir, in meinem Rücken, war etwas, eine Wesenheit, die ich ganz genau spürte, dabei war ich eigentlich allein. Lustigerweise hatte ich in dem Moment keine Angst, die Anwesenheit dieses Wesens hat mich eher genervt, weil ich weiterschlafen wollte und es mich dabei gestört hat. Ich wollte es schlagen, damit es mich in Ruhe lässt, aber ich konnte mich nicht rühren. Nichts zu machen, egal, wie sehr ich es versuchte. Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, funktionierte es endlich und ich schlug nach dem Wesen in meinem Bett – und wachte auf.

Die Angst kam erst am nächsten Tag, als ich mich an die Situation erinnerte.

VV: Krass! Und glaubst du, dass es in dieser Welt noch etwas Übersinnliches gibt?

ST: Nichts Übersinnliches, wohl aber Phänomene, die wir nicht erklären und daher nicht recht verstehen können. Die wirken dann vielleicht übernatürlich, sind es aber meist nicht.

VV: Was ist für dich das Böse?

ST: Konzepte wie „gut“ oder „böse“ sind nicht absolut, das können sie gar nicht sein. Mein Gutes kann dir schaden, umgekehrt genauso. Im Grunde ist also überhaupt nichts böse und „das Böse“ gibt es nicht.

VV: Ich durfte ja mal im KOHI lesen. Was ist das? Und was machst du da?

ST: Der KOHI Kulturraum ist ein soziokulturelles Zentrum im schönen Karlsruhe, wo ich bis 2022 wohnte. Dort werden Konzerte, Theaterstücke, Lesungen, Poetry Slams und Ausstellungen veranstaltet, und genau das habe ich dort auch gemacht: Zusammen mit meinen Kollegen und Kolleginnen habe ich hinter der Bar gestanden, geputzt oder auch bei der Betreuung der Künstler und Künstlerinnen geholfen, habe Ausstellungseröffnungen moderiert und Lesungen organisiert. Jeder darf sich dort einbringen und in einer professionellen Umgebung (mit einem preisgekrönten Booking!) Kultur aller Art präsentieren.

Wer also in Baden unterwegs ist und einen ganz besonderen Kulturraum erleben will, sollte dem KOHI am Werderplatz einen Besuch abstatten! (/Werbung)

VV: Kunst interessiert dich in vielen Formen. Wie schätzt du die Szene allgemein ein?

ST: Schwierige Frage, denn sie ist ausgesprochen komplex. Da Bildende Kunst, Literatur und auch Musik aktuell vermutlich allesamt mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben, würde ich es kurz mit „desaströs“ umschreiben. Die Schließungen wegen COVID haben Klubs, Galerien, Kinos und auch Verlagen zugesetzt, denn keine Veranstaltungen bedeutet keine Einnahmen, keine Werbung, kein Spaß. Keine Veranstaltungen bedeutet auch, dass alle, die hinter den Kulissen arbeiten, womöglich in andere Berufe abwandern, was wiederum allen Veranstaltungsorten Probleme bereitet.

Und wäre das noch nicht schlimm genug, kommt jetzt noch auch eine historisch krasse Inflation dazu, sodass die Konsument*innen weniger Geld für Kunst aller Art zur Verfügung haben.

Desaströs halt.

VV: Was könnte man deiner Meinung nach machen, um das Genre Horror zu fördern?

ST: Ach, ich glaube, wenn die Leute keinen Horror mögen, dann mögen sie ihn halt nicht. Man kann niemanden zu seinem Glück zwingen. Allerdings wäre es vielleicht kein Fehler, verstärkt auf die Vielfalt des Genres hinzuweisen. Es bietet ja alles: nicht nur extremen Splatter, sondern auch leichten Grusel, nicht nur Geister und Dämonen, sondern auch wilde Taten von übel meinenden Menschen, nicht nur historische Settings, sondern auch futuristische Welten – und alles dazwischen. Alles ist drin, alles kann Horror sein, und oft findet man auch eine kleinere bis gigantisch große Prise Humor.

VV: Bald finden wieder eine Reihe Veranstaltungen statt. Bock darauf? Wo wird man dich treffen können?

ST: Total Bock drauf!! Ich habe auch in den letzten Jahren viel gemacht und werde jetzt, wo es wieder leichter wird, sicherlich nicht damit aufhören. Zum Beispiel darf ich am Buchmessesamstag in Leipzig bei den „Phantastischen Bierwesen“ auftreten. Da stehst du ja ebenfalls auf der Bühne, wie mir die Veranstalterin verraten hat. :-)

VV: Yeah!. Magst du verraten, was wir von dir noch erwarten können in der Zukunft?

ST: Erstmal den Roman, der mich schon seit letztem Jahr nervt. Außerdem noch diverse ziemlich coole Übersetzungen, die ich für Frank Festa anfertigen durfte. Und hoffentlich kehrt auch bei meinem „Partner in Art“ <dE/mutE> wieder ein bisschen Ruhe ein, sodass wir an unserem intermedialen Projekt „In meinem Haus“ feilen können. Wie schon in der Vergangenheit würde <dE/mutE> Kürzestgeschichten aus meiner Feder mit seinen Ambient-Sounds vertonen. Untermalt mit den Visuals von Thanatan Media entsteht so ein Gesamtkunstwerk, das hoffentlich gleichermaßen gruselt wie fasziniert.

VV: Sehr, sehr spannend! Vielen Dank, dass du da warst! Ich hoffe, du hattest Spaß!

ST: Klar, mit dir doch immer! Prost!


Bullets (Wie aus der Pistole geschossen …)



VV: Bier oder Rum?

ST: Rum.

VV: Beschreibe dich als Zombie

ST: Tot.

VV: Und welche Strategie bevorzugst du, wenn es Zombies gäbe?

ST: Verstecken, vermutlich ziemlich rasch draufgehen.

VV: Sommer oder Winter?

ST: Sommer!

VV: Warum?

ST: Wärme! Sonne! Kurze Klamotten! Wärme!

VV: Dein Seelentier?

ST: Ameisenbär.

VV: Geister oder Vampire?

ST: Geister.

VV: Wen würdest du gerne einmal treffen?

ST: David Cronenberg.

VV: Und dann passiert was?

ST: Drinks und gute Gespräche.

VV: Nebel oder Sturm?

ST: Nebel.

VV: Von diesen drei Dingen sollte es grundsätzlich mehr geben?

ST: Sonne, Sushi, Sauna.

VV: Was ist deine Superkraft?

ST: Ignoranz.

VV: Würdest du gerne Gedanken lesen können?

ST: Lieber nicht.

VV: Warum?

ST: Ich hab die Sookie-Stackhouse-Reihe gelesen, da wird es recht gut erklärt.

VV: Vielen Dank!

♥!


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