Interview mit Sonja Rüther

 

Stell dir einen schlichten, schwarzen Raum vor, zwei sich gegenüberstehende blutrote Kanapees, einen schlichten, weiß lackierten Tisch, eine weiße Vase mit einer schwarzen Dahlie. Im Hintergrund hören wir Tom Petty– Wildflowers

 VV: Moin Sonne, schön, dass du heute hier bist. Nimm bitte Platz. Was magst du trinken?

SR: Gern ein Glas Rotwein. Danke. Ein bisschen Klischee muss sein, aber tatsächlich trinke ich trockenen Rotwein sehr gern. Folglich auch meine Figuren in den Romanen, die darüber sicher in einer außerplanmäßigen Sitzung ihrer Selbsthilfegruppe noch reden werden.

 VV: Dein Roman „Geistkrieger –Die Feuertaufe“ kann zum Vincent Preis 2022 nominiert werden. Ich finde den Roman außergewöhnlich. Erzähl doch erst einmal etwas zum sogenannten Weltenbau.





SR: Ich freue mich sehr, dass Geistkrieger mit aufgeführt wird. Die Welt ist eine Mischung aus Shadowrun (ohne das Dreckige, Kriminelle) und einer Utopie, weil das powtankanische Volk im Einklang mit der Natur lebt und viele umweltfreundliche Errungenschaften hat, die einen fortschrittlichen Hightech-Level ermöglichen. Ich wollte eine Welt mit traditionsbewussten Gesellschaftsformen, Wissen über reale Naturgeister und spirituellen Zugang zur Astralwelt. Und in diesem Setting haben die Geistkrieger ihren Platz. Das ist eine Sondereinheit, die bei spirituellem Missbrauch die Ermittlungen übernimmt.

VV: Wie ist dazu die Idee gekommen, eine Geschichte in der Kultur der native americans anzusiedeln?

SR: Es muss 2012 gewesen sein, als Konrad Hollenstein auf mich zukam und mich fragte, ob ich nicht Lust hätte einen Roman zu einer seiner Ideen zu schreiben: Kolumbus hat von den Ureinwohnern auf den Sack bekommen, die Bevölkerung hat sich ohne den Einfluss von Invasoren entwickelt und das Ganze spielt in der heutigen Zeit als Fantasy-CSI-Crossover. Ich bin ihm heute noch dafür dankbar, dass er mir die Grundidee überlassen hat, weil daraus die Geistkrieger-Romane geworden sind. Es hat mir großen Spaß gemacht, mir diese Welt, die Figuren und die Handlung auszudenken. Besonders Finnley ist mir sehr ans Herz gewachsen.

VV: Letztlich sind die Horroranteile in der Erzählung recht hoch. Kannst du nicht anders oder war das so geplant? Du siehst, dass ich etwas grinsen muss …

SR: Ehrlich gesagt, plane ich niemals einen Roman. Es passiert, was beim Schreiben passiert. Verrate es nicht meinen Figuren, aber es war mir schon eine diebische Freude, in dieser wunderschönen, nahezu heilen Welt, Leute von unsichtbaren Mächten zerfetzen zu lassen. Außerdem liebe ich neben Splatter auch subtilen Horror. Zum Beispiel das Gefühl einer krabbelnden Spinne auf der Haut, die man nicht wegwischen kann, weil da nichts ist.

VV: Markus Heitz hat eine Novelle in deiner Welt angesiedelt. Gefällt mir ebenfalls sehr. Wie kam es zu dieser Kooperation?

SR: Markus und ich kennen uns schon über 20 Jahre und haben bereits eine Menge Textarbeit zusammen gemacht. Als ich ihm damals Geistkrieger zeigte, war er begeistert und meinte, das würde sein Kreativzentrum direkt anwerfen, und er hätte große Lust in dieser Welt etwas in Japan anzusiedeln. Es hat mich sehr gefreut, dass er das dann später mit den beiden Kurzgeschichten auch umgesetzt hat. Schade war, dass manche Leute das für einen Marketingtrick hielten und direkt in den Rezensionen verrissen haben. Fürs Marketing hätte auch ein schickes Zitat gereicht, dafür muss man keine ganze Novelle schreiben. Mir haben beide Geschichten sehr gefallen und im dritten Teil führen die Fäden dann zusammen.

VV: Ich finde das Setting total spannend. Für mich ist ein absolut gelungenes Crossover aus Shadowrun, Geistererzählungen und einem andersartigen kulturellen Hintergrund. Das funktioniert irre gut. Planst du dahingehend noch einmal etwas zu schreiben?

SR: Definitiv. Der dritte Teil ist gerade in Arbeit und wird hoffentlich noch in diesem Jahr erscheinen. Das Gute an dieser Welt ist, dass man immer wieder neue Geschichten dort ansiedeln kann. Und bei dem, was ich vorhabe, steigen die Möglichkeiten sogar noch. Mehr kann ich an dieser Stelle noch nicht verraten. Es gibt übrigens auch einen Shadowrun- und einen Splittermond-Roman von mir. Ich habe sozusagen in die RPG-Szene eingeheiratet, als ich damals meinem Mann das Ja-Wort gegeben habe, und es macht großen Spaß, sich auch erzählerisch in diesen Welten zu bewegen.


VV: Sonne, du bist auch als Herausgeberin zweier Anthologien verantwortlich, die sich bewusst im Horrorgenre bewegen. Was reizt dich am Horror? Was kannst du zu den Anthologien sagen? Wie wurden aus der Idee zwei tolle Bücher?

 SR: Davon mal abgesehen, dass ich ein Fan dieses Genres bin, reizt mich beim Schreiben, Horror aus meiner Perspektive zu interpretieren. Ich bringe gern Kleinigkeiten mit rein, die eindrücklich sind. Wie das Harz vom Tannenbaum, das sich nicht abwaschen lässt und nach Verwesung stinkt. Oder die kleinen Maden, die aus den Zweigen auf Menschen und in deren Ohren kriechen, um aus ihnen Zombies zu machen. Oder gesellschaftskritisch wie Peter, dessen KollegInnen und Nachbarn komplett ignorieren, dass er ein Zombie ist, bis er soweit auseinanderfällt, dass er nur noch auf dem Sofa dem Ende harren kann. Es hat auch Spaß gemacht, bei einer Lesung das Publikum mit Zombiesex auf einem Pferd zu schockieren.

Mit den Anthologien habe ich mir selbst eine große Freude gemacht, weil ich mit Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten konnte, die ich sehr schätze. Es gab nur die Vorgabe „Horror“, was sie schreiben, war mir egal. Und so vielfältig sind die AUS DUNKLEN FEDERN Bände dann auch geworden. An dieser Stelle sei erwähnt, dass du, lieber Vincent, mich am meisten mit deinen Geschichten verstört hast. Nie wieder schöne Rapsfelder sehen, ohne ein Frösteln im Nacken.




 

VV: Du hast auch ein Zeichentalent. Du hast Bücher verlost, in denen du mit kleinen Zombieskizzen. Was magst du an Zombies? Du schreibst ja gelegentlich auch Zombiekurzgeschichten.


SR: Manche behaupten, ich hätte die Anthologien nur ins Leben gerufen, um meine Zombies hineinzeichnen zu können. Wer weiß, vielleicht ist es so gewesen … Ich denke, die Psychologie dahinter fasziniert mich. Diese Angst, geliebte Menschen könnten von Fremden beeinflusst werden, sich komplett verändern und gegen einen wenden. Gut möglich, dass ich da zu viel hineininterpretiere, jedenfalls haben Zombies für mich alles, was mich begeistert: Sie sind ekelhaft, stumpf, super bedrohlich und klar begreiflich – oh, und nicht real, ohne so richtig phantastisch zu sein … ergibt das Sinn? Ich meine, man hält es schon irgendwie für möglich, dass sowas passieren könnte, aber nicht für wahrscheinlich. Nach den letzten drei Corona-Jahren kann man nur sagen: Möge es niemals ein Zombievirus geben, sonst wären wir nach drei Monaten ausgerottet. 

VV: Was genau verbindet dich eigentlich mit dem Horror? Wie ist es dazu gekommen?

 SR: Als Kind war ich ein absoluter Schisser. Ich hatte Angst im Dunkeln, fühlte mich in der Wohnung nie allein und wenn etwas gruselig war, hatte ich echt lange was davon. Irgendwann wendete sich das Blatt. Mit Stephen King Kurzgeschichten angefixt, wuchs die Vorliebe für Horrorfilme. Mein erster Zombiefilm ist „Braindead“ gewesen. Ich danke Peter Jackson für dieses Meisterwerk. Wer weiß, vielleicht ist meine schwarze Seele der Schlagschatten meines sonnigen Gemüts? Was jene, die keine Freunde des Horrors sind, vielleicht nicht wissen: Guter Horror muss intelligent sein, damit er unter die Haut geht. Brutalität allein reicht nicht, um diesen gewissen Gruselfaktor zu erreichen. Wenn jemand das mit seiner Geschichte schafft, bin ich total begeistert.


VV: Wie stehst du zum Übersinnlichen? Hattest du mal eine außerordentliche Erfahrung?

 
SR: Ich halte mich für einen sehr rationalen Menschen, trotzdem erzähle ich immer wieder von unserem Hausgeist, der ohne Vorwarnung Bilder von den Wänden fallen lässt. Ich habe dreimal nachts das Haus regelrecht zusammengeschrien, weil jemand neben meinem Bett gestanden hat, der nicht zu meiner Familie gehörte. Wahrscheinlich habe ich geträumt, aber das ist mir in den 40 Jahren davor noch nicht ein einziges Mal passiert. Leider stand bei einem dieser Vorfälle mein Kind hinter dem Schemen, dem ich leider den Schreck ihres Lebens verpasst habe. Ich bin kein religiöser Mensch, ich glaube nicht nach ein Leben nach dem Tod, Dämonen oder sonst irgendwas, das sich nicht belegen lässt, aber manches ist einfach schwer zu erklären.

VV: Glaubst du, das Horrorgenre ist ausreichend sozialkritisch? Nehmen wir aktuelle Themen auf?

SR: Na sicher. Gerade wenn es um den Überlebenskampf geht, kommen häufig sozialkritische Elemente mit hinein. Oder auch die Frage, was dürfen Menschen, nur weil sie es können? Genmanipulation, Viren, wer entscheidet, wer geopfert wird, damit andere überleben? Gruppendynamik, Umgang mit Medien, bzw. ab wann informiert man die Öffentlichkeit und riskiert eine Massenpanik? Wie reich muss man sein, um gerettet zu werden? Wie überwindet man Vorbehalte anderen gegenüber, um gemeinsam ums Überleben zu kämpfen? Darf ich den Nazi den Zombies überlassen? Es ist ja immer die Frage, wie sozialkritische Themen in die jeweilige Geschichte passen und wie gut sie subtil die Handlung begleiten. Immerhin lese ich Fiktion zur Unterhaltung, da möchte ich nicht vom Zeigefinger angestupst werden. Bei Geistkrieger – Libellenfeuer kommt ein Bakterium vor, das sich rasant in der Bevölkerung ausbreitet. Als ich an dem Roman weiterarbeitete, brach gerade Corona in Deutschland aus, und ich dachte nur so: „Fuck, ich muss alles umschreiben, weil das sicher niemand mehr lesen will, nach dieser ganzen BEEEEEP.“ Das Bakterium war wichtig, aber ich habe versucht, viele Parallelen zu vermeiden. Das hatte sehr viel damit zu tun, wie die Gesellschaft mit einer Epidemie umgeht. 

VV: Wie ist dein Eindruck in der Verlagsszene, öffnen sich die Publikumsverlage dem Genre? Oder eher nicht? 

SR: Derzeit habe ich das Gefühl, dass sämtliche Publikumsverlage eher dichtmachen und in keinem Genre mehr experimentierfreudig sind. Zu den geschlossenen Buchläden kam die Papierknappheit. Das hat der Vielfalt nicht gutgetan. Man kann nur hoffen, dass die Leserschaft das Engagement und den Mut von Kleinverlagen und Selfpublishern mit mehr Aufmerksamkeit und Käufen belohnt. Deswegen ist die Mund-zu-Mund-Propaganda so wichtig. Gern auch in Form von Rezensionen.

 VV: Bald stehen wieder Messen an. Wird man dich dort sehen? Schon komisch nach Corona, oder?

 SR: Oh ja, das wird in der Tat komisch werden, aber ich kann es kaum erwarten, meine Buchfamilie wiederzusehen. Man findet mich wahrscheinlich die meiste Zeit über im Phantastik-Autorenhort von PAN e.V.

 VV: Du veranstaltest regelmäßig Schreibseminare. Was genau passiert da und werden die nach Corona wieder stattfinden?

 SR: Unser 10-jähriges Jubiläum ist leider ins Wasser gefallen, aber ich bin guter Dinge, dass es 2024 endlich wieder losgehen kann. In diesen Workshops/Seminaren geben Sina Beerwald, Thomas Finn, Markus Heitz und Boris Koch lebendig und nahbar ihr Wissen übers Handwerk weiter und plaudern aus dem Nähkästchen. Das geht dann immer von Freitag bis Sonntag. Schaut gern mal das Video auf meiner Homepage an: www.briefgestoeber.de

Und als special Feature haben wir jedes Mal unser Maskottchen am Start – Vincentus Vossus. Ohne ihn wäre es nicht dasselbe.

VV:  Ich freue mich schon sehr! Okay. Du schreibst in verschiedenen Genres, oder? Erzähl mal, in welchen und was das mit dir macht. Wechselt du dann immer deine Autorinnenpersönlichkeit?

SR: Ich sehe das wie bei SchauspielerInnen und MusikerInnen. Wenn mir die Arbeit von jemandem gefällt, verfolge ich, was die Person noch so macht. Ich denke, meine Persönlichkeit bleibt immer gleich, aber ich liebe es, Genres mit meinen eigenen Interpretationen zu bedienen. Ich schreibe Horror, Phantastik, Liebesromane, Thriller und Erotik (Poppy Lamour). Die Gemeinsamkeit der Romane ist meine Vorliebe für figurenlastige Erzählungen. Das heißt, mein Fokus liegt immer auf der Tiefe der Konflikte, der Entwicklung der Figuren und einer gewissen Authentizität. Das Genre bietet den Rahmen dafür, was ich äußerst reizvoll finde. Wenn eine Geschichte es hergibt, kann es richtig brutal oder ekelig werden, dafür wird der Sex in allen Genres, die nicht Erotik sind, sozusagen rechtzeitig ausgeblendet. In den erotischen Liebesromanen geht es dafür sehr detailreich zur Sache, aber eben nicht plakativ. Ich bringe in jedes Genre gern Themen ein, über die man nachdenken kann, aber nicht muss. Außerdem habe ich ADHS und könnte es nicht ertragen, immer das gleiche Genre zu bedienen. In meinem Kopf ist echt eine Menge los.

VV: Ich habe das zumindest beim Horror. Wenn ich richtig tief drinnen bin, dann gruseln mich die kleinsten Dinge. Was können wir in Zukunft von dir erwarten? An was schreibst du gerade?

 SR: Geht mir auch so. Beim Schreiben lässt man sich ein, was mal mehr und mal weniger schön ist. Meine Familie amüsiert sich öfter über mein Gesicht beim Schreiben, deswegen würde ich dabei wohl nie einen Live-Stream laufen lassen.

Geistkrieger III steht ganz weit oben auf der Liste, bei Weltbild wird Ende des Jahres ein Thriller erscheinen, fig – Hochzeitsglocken (4) geht demnächst ins Lektorat und es könnte eventuell sein, dass mich Yanis und Pierres Vorgeschichte so überfallen hat, dass ich binnen einer Woche 250.000 Zeichen geschrieben habe, obwohl ich was ganz anderes vorhatte.

VV: Sonne, vielen Dank, dass du da warst!

 SR: Herzlichen Dank, dass ich dabei sein durfte!

 

Bullets (Wie aus der Pistole geschossen …)


VV: Berge oder Meer?

SR: Meer.

VV: Wenn du könntest, wie alt wärst du gerne?

SR: 30 mit dem Wissen von heute.

 VV: Warum?

SR: Weil ich langsam den Dreh raushabe.

 VV: Du dürftest dir deinen Schreibort aussuchen. Wie sähe es aus und wo wäre der?

 SR: Haus mit großem Panoramafenster zur Ostsee, von wo aus ich im Warmen die Leute durch die Kälte stapfen sehen kann.

VV: Katze oder Hund?

SR: Wir haben Wolfspitze, weil hier ein Katzenallergiker wohnt. Ich liebe Hunde und Katzen, also, warum oder?

VV: Dein Lieblingsspruch á la Was du heute kannst besorgen …?

SR: Erfolg hat der, der’s macht.

VV: Und welchen magst du gar nicht?

SR: Ein alter Hund lernt keine neuen Tricks.

VV: Dein schönstes Erlebnis als Schriftstellerin?

SR: Eine Leserin, die mir erzählte, mein Roman habe ihr Leben verändert.

VV: Was kannst du nicht essen?

SR: Ich hasse den Geruch von Trüffeln (Nicht aus Schokolade).

VV: Und was besonders gerne?

 SR: Chili con carne

VV: Eine Stadt, die du noch einmal sehen willst? 

SR: Paris.

VV: Vielen Dank!


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