Interview mit M.F. Hakket

 Stell dir einen schlichten, schwarzen Raum vor, zwei sich gegenüberstehende blutrote Kanapees, einen schlichten, weiß lackierten Tisch, eine weiße Vase mit einer schwarzen Dahlie. Im Hintergrund hören wir Clutch– Book of bad decisions

 

 VV: Moin! Sag mal, wie soll ich dich eigentlich ansprechen?

 MFH: Miki ist völlig ok. So werde ich genannt, seit ich ein kleiner Pups bin.

 VV: Okay, Schön, dass du da bist. Nimm bitte Platz. Was magst du trinken?

MFH:  Wasser. Wasser ist gut, Wasser ist ehrlich.

 


VV: Dein Roman „Shioris Koffer“ kann zum Vincent Preis 2022 nominiert werden. Ich finde den Roman fett! Bin da unerwartet eingestiegen und konnte ihn dann nicht weglegen. In der Danksagung sehe ich, dass der Ursprung ein Gemeinschaftsprojekt war. Erzähl mal. Die Mitwirkenden sind ja auch alle keine Unbekannten.

MFH: Das war eine Idee vom Blutwut Verlag, vom Chef Toby. Er hatte uns, die wir alle von ihm verlegt wurde, vorgeschlagen, eine Alternative zu den Buchmessen zu machen, die zu der Zeit wegen Corona ausgefallen sind. Ich durfte anfangen, eine Kurzgeschichte zu schreiben, mit zwei alternativen weiteren Handlungssträngen. Die Leser auf Facebook konnten dann entscheiden, welcher Handlungsstrang weiter verfolgt werden sollte. Der nächste Autor musste sich also innerhalb kürzester Zeit einen weiteren Verlauf ausdenken, wieder mit zwei Handlungssträngen, über die dann ebenfalls wieder entschieden werden konnte. Lustig war die Sache mit PjotrX, der Shiori, die damals noch Hanako hieß, in eine Figur verwandelte, die sehr gut zu seinen USA-Romanen gepasst hätte. Mir war natürlich klar, dass das passieren musste. Sie tat mir sehr leid. (Haha) 

 VV: Es geht ja auch blutig zu. Ich finde aber nicht zu blutig, sondern eher, wie ich es an Tarantino-Filmen so schätze. Aber einige Szenen erinnern mich an Easternsettings. War das bewusst so?

 MFH:  Ja, die Sache mit Tarantino hab ich schonmal gehört. (Haha) Es war aber nicht mein Anliegen, ihn in irgendeiner Weise nachzuahmen. Da ich eigentlich auch gar nicht so der Hartwurstfreak bin, habe ich versucht, die brutalen Szenen zum Teil comichaft zu übertreiben, und hatte dabei tatsächlich den Stil der neuen japanischen Splatterfilme (ich glaube, das nennt sich »New wave of japanese splatter«) oder harten Animes vor Augen, die ja ebenfalls grotesk und vielleicht gar satirisch überzogen sind. Machine Girl, Helldriver, Robo Geisha und am bekanntesten vermutlich Tokyo Gore Police. Bei einigen Szenen im Baumarkt wollte ich die Atmosphäre von Horrorgames einfließen lassen oder Beat´em up Spiele, wie Tekken. Aber ich bin kein Nerd in dieser Hinsicht, ich habe eigentlich gar keine Ahnung davon (haha). Ich wollte eben nicht nur eine japanische Figur erschaffen, sondern auch ein bisschen etwas von der japanischen Kultur, die ich sehr mag, rüberbringen, sowohl traditionell wie auch modern. Der Wechsel von ausufernder Gewalt zu stillen, poetischen Momenten.    

VV: Ich finde, der Roman macht nachdenklich. Tim ist voller Selbstzweifel. Zurecht. Wie ist es dir gelungen, das so gut zu Papier zu bringen?

MFH: Nun ja, ich denke, jeder Autor bringt ein bisschen seines Selbst mit zu Papier.


VV: Was ich echt spannend finde, ist die Unerträglichkeit der Passivität. Genial. Ich wünschte mir so oft, er würde sich wehren, aber er erträgt es und gewinnt. Hast du sehr mit ihm leiden müssen, während des Schreibens?

 MFH:  Oh, das ist eine tolle, grundsätzliche Frage: Leidet der Autor mit seinen Figuren? Einerseits versuche ich natürlich viel Emotion in die Figur zu legen, ich möchte sie »echt« wirken lassen und ja, zum Teil fühle ich mit ihr, es muss mich ansprechen, ich überlege, wie ich reagieren könnte, wenn mir das passieren würde. Aber auf der anderen Seite denkt immer ein Teil von mir daran, was den Leser packen könnte. Obwohl ich wohl nie »marktorientiert« schreiben werde, ist es mir trotzdem ein Anliegen, so zu schreiben, dass ich den Leser emotional dirigieren kann. Grad bei Shiori habe ich das zum Beispiel mit sehr kurzen Kapiteln und Cliffhangern ausprobiert. Also: Ich versuche kalkulierte Emotionen anzuwenden. Ich habe aber keine Ahnung davon. (haha).

Hat Tim gewonnen? Interessant, dass du das so siehst. Das Ende lässt durchaus mindestens zwei Schlüsse zu: Es geht weiter mit ihm und Shiori – woanders – oder Tim wählt den einzig möglichen Weg, um »dorthin« zu gelangen, ohne sich wirklich bewusst zu sein, was das bedeutet. Ich weiß nicht, ob man Selbstmord mit »gewinnen« beschreiben kann.

Was seine Passivität angeht: auch hier fließt etwas von mir selbst ein. Ich bin körperlich ein ziemlicher Brocken, man würde mir wahrscheinlich nicht im Dunkeln begegnen wollen (haha), aber gegenüber realer Gewalt bin ich eher hilflos. Aber vielleicht habe ich auch Angst davor, dass in mir mehr von Shiori steckt als von Tim. 

VV: Das Buch ist im Verlag Torsten Low erschienen. Wie ist es zu dieser Kooperation gekommen?

MFH:  Nachdem Blutwut schließen musste, gab es die Option, zu einem größeren, etablierten Verlag zu wechseln, der sich vor allem der Hartwurst-Fraktion verschrieben hat. Der Vertrag lag auch auf dem Tisch und es war alles soweit in trockenen Tüchern. Aber dann stellte sich heraus, dass es doch nicht so richtig passt. Torsten wurde mir von einigen befreundeten Autoren empfohlen. Die wissen, was ich schreibe, und meinten, dass ich es dort versuchen sollte, weil die Phantastik auch eher mein Genre ist als bluttriefendes Gepansche.

VV: Das Cover gefällt mir auch sehr gut. Hast du das selbst gestaltet? Wie hast du denn deine Shiori gefunden?

MFH: Danke, ja das ist von mir. Ich habe ein paar Kontakte in die japanische Idol Szene, durfte vor knapp zehn Jahren sogar ein paar künstlerische Sachen für eine Idolgruppe machen. Ich wollte also unbedingt ein besonderes Bild, etwas, das nicht aus irgendeiner Datenbank stammt. Das erste Mädchen, das ich haben wollte, stand leider unter Vertrag bei SONY, und das wäre zu kompliziert geworden. Schließlich bin ich dann doch fündig geworden, lustigerweise bei der Gruppe, für die ich gearbeitet habe. Der Ausdruck des Gesichtes war mir wichtig.

VV: Du hast vorher schon im Blut-Verlag Horror veröffentlicht. Was magst du an dem Genre?

 MFH: Horror bedingt. Inzwischen hat Horror eine Richtung eingeschlagen, die eher auf Brutalität setzt, jedenfalls kommt mir das so vor. Das gibt mir nicht mehr viel, es sei denn, es ist irgendwie »strange«. Ich finde zum Beispiel »Funny Games« großartig, wenn es denn unbedingt um Brutalität gehen muss. Ich will den Horror in den Köpfen der Menschen haben, aber dazu will ich nicht ungedingt die Köpfe spalten müssen. Mir ist ein kalter Schauer lieber als eine warme Schlachtplatte. Ich mag es, wenn überhaupt nicht klar ist, was da eigentlich passiert. Ich will mitgenommen werden auf eine Reise, die ich nicht verstehe (Haha). Und ich mag Menschen und deren verrückte Eigenheiten. Eigentlich schreibe ich über normale Menschen und das Menschsein und darüber, dass daraus etwas Gruseliges werden kann und dass letztlich niemand von uns normal ist. 

 VV: Bist du damit speziell sozialisiert worden? Bei mir war es zum Beispiel John Sinclair … dann King.

 MFH:  Oh, das kann ich gar nicht wirklich beantworten. Ich hab früher viel filmisches Splatterzeug gesehen und mochte auch Horrofilme, obwohl dir mir zum Teil echt Angst gemacht haben. Also richtig. Nein, ich weiß es wirklich nicht, ob und wer mich da beeinflusst hat. Mein Vater hatte eine riesige Bibliothek zuhause, da gab es so manch merkwürdiges Zeug in Buchform. Vielleicht kommt das daher.

 VV: Glaubst du an Geister?

 MFH: Nein. Aber ich würde gerne.

VV: Was ist das Böse für dich?

 MFH: Der Gegner. Letztlich ist »gut« oder »böse« ein von Menschen erschaffenes Konzept, das je nach Standpunkt vertreten wird. Unsere Emotionen erschaffen Gut und Böse. Und wir wissen alle, dass Emotionen trügerisch sein können. Nimm zum Beispiel die Liebe. Für den einen das absolut Gute, für den anderen die Hölle.

VV: Okay. Zum Schreiben. Kannst du davon leben? Oder gibt es einen Brotjob?

MFH: Nein. Und ich versuche so gut es geht, Weißmehlprodukte zu meiden.

 VV: Wann, wie und wo schreibst du?

 MFH:  Ich habe in meinem bescheidenen Heim eine bescheidene Bibliothek, in der auch mein Schreibtisch steht. Ich versuche immer zu schreiben, wenn es meine Zeit und mein Hirn zulässt. Leider kommt das oft sehr kurz. Ich bin ein ziemlich fauler Schreiber.

 VV: Plottest du? Oder nicht? Wie entwirfst du einen Roman auf lange Strecke?

 MFH: Ich hab früher nie geplottet. Es gab eine Grundidee. Bei »Die Katze von Frau Wagner«, mein erster Roman, gab es nur die Idee, dass eine normal erscheinende Katze Menschen umbringt. Und das sollte so realistisch wie möglich sein. Ich fing an zu schreiben und es entwickelte sich. Inzwischen mache ich mir aber schon ein bisschen mehr Gedanken. Aber aufschreiben, Kapitel planen usw – nein, das mache ich nicht.

 VV: Du warst ja mal selbst als Verleger tätig? Erzähl mal davon.

 MFH: Das ist über 10 Jahre her. Ich war damals auch Moderator im größten deutschsprachigen Forum für SPler, bis es von einem großen Anbieter für SPler aufgekauft wurde. Das entwickelte sich dann nicht mehr so schön. Ich wurde zudem noch ziemlich krank, musste mir vom Verlag eine Auszeit nehmen. In dieser Auszeit wurde mir bewusst, dass mir das zwar Spaß gemacht hatte, ich sehr viel gelernt hatte, aber nicht mehr dazu gekommen bin, selber zu schreiben. Ich war schließlich sehr ernüchtert und desillusioniert, was das Schreiben, Verlegen und überhaupt die ganze »Szene« anging. Allein der Gedanke an Literatur machte mich depressiv. Es hat mich nur noch angekotzt (tut mir leid für die Wortwahl). Nach ca fünf Jahren hatte ich wieder Bock aufs Schreiben.  

 VV: Wie schätzt du die heutige Szene ein?

 MFH: Ich habe keine Ahnung davon (haha). Möglicherweise mache ich mich unbeliebt, aber ich habe oft den Eindruck, dass Einfaches lieber konsumiert wird. Schnell konsumiert, schnell vergessen. Ich lese ja auch, wenn auch ziemlich langsam, in dem Genre, in dem ich mich auch bewege. Wirklich umgehauen hat mich da in letzter Zeit wenig. Ich verstehe auch oft nicht den Hype bzw die tollen Bewertungen über Bücher. Und ich bemerke eine Art von Selbstdarstellung von manchen Autoren. Als ob die Person wichtiger ist als sein Schaffen. Und bitte nicht falsch verstehen, das alles ist völlig in Ordnung. Ich nehme das zur Kenntnis und frage mich, ob ich das auch könnte, komme aber zu dem Schluss, dass ich es nicht könnte, was womöglich ein Fehler ist. Aber wie gesagt, ich habe keine Ahnung und das liegt eventuell auch einfach an dem, was ich wahrnehme. Oder im Falle von guten Büchern, was ich nicht wahrnehme.

 VV: Eine Frage, die regelmäßig kommt, aber die ich sehr wichtig finde: Wie lässt du dich inspirieren?

 MFH: Ich denke viel nach. Ich mag Politik, Psychologie, soziales Verhalten, ich mag die Tricks, die verbalen Feinheiten, ich mag es zu beobachten, wie Menschen sich verhalten, wenn man bestimmte Knöpfe drückt. 

VV: Du hast ja ein Pseudonym gewählt. Warum?

MFH:  Mein Nachname ist möglicherweise nicht so gut für einen Autor. M. F. sind die Initialen für meinen Namen und »Hakket« bedeutet übersetzt »gehackt« bzw »Gehacktes«. Es ist im übertragenden Sinne zu verstehen, das Autorensein ist ein Teil von mir, ein abgehacktes Stück, wenn man so will, das sich auch mal verselbstständigt.

 VV: Macht das was mit dir? Bei Lesungen oder Auftritten zum Beispiel?

 MFH: Ich hatte bisher nur eine Lesung auf der Darkerkant. Im Grunde ist mir das egal, ob man das Pseudonym nimmt oder meinen Realnamen. Wie ich schon andeutete, ich als Person bin irrelevant.

VV: Okay.  Was können wir denn in Zukunft von dir erwarten? An was schreibst du gerade?

 MFH: Ich hoffe, dass KOVD bald mein Debut »Die Katze von Frau Wagner« neu auflegt. Und derzeit schreibe ich an einer Geschichte über den Verlust des eigenen Kindes und den Umgang mit dem Tod. Ich will beschreiben, wie man daran nahezu zerbrechen kann, über den Ausstieg vom bisherigen Lebens, über einen geheimnisvollen See, über alte, merkwürdige Leute, über das Sterben und ein Seeungeheuer.

 VV: Vielen Dank, dass du da warst! Ich hoffe, du hattest Spaß!

 MFH: Ich habe zu danken.

 

Bullets (Wie aus der Pistole geschossen …)


VV: Rum oder Whiskey?

MFH: Wasser. Tee. Grün, Ooolong, Pu-Erh. Von Alkohol werde ich immer betrunken. Keine Ahnung warum.

VV: Du könnest eine technische Erfindung aus der Welt verbannen? Welche wäre das?

MFH: Uff. Das Zeug aus SAW? Das muss doch wehtun.

 VV: Warum?

MFH: Weils wehtut?

 

VV: Dein Leibgericht?

 MFH: Selbstgemachte Burger. Mit Tatar, Tomaten, Zwiebeln, Käse. Und mit Käse. Erwähnte ich Käse schon?

VV: Bargeld oder Karte?

MFH: Bargeld. Ich verstehe die Vorzüge von bargeldlosen Zahlen, halte aber Bargeld für unverzichtbar. Ich wünsche mir, beides Nutzen zu können. 

VV: Welche literarische Person würdest du gerne einmal treffen?

MFH: Ich glaube, John Aivide Lindqvist. Er ist einer der wenigen Autoren, die mich auf diese Reise mitnehmen können, die ich nicht verstehe.

VV: Lieblingstier?

MFH: Katzen. Und Krokodile. Aber Katzen mehr, denke ich. Katzodile?

VV: Und welche Eigenschaft deines Lieblingstieres würdest du gerne haben?

MFH: Dass einem einfach alles am Arsch vorbei gehen kann. Gilt bei beiden.

VV: Was gruselt dich richtig?

MFH: Von kalkuliertem Horror abgesehen: professionelles Trollen in sozialen Medien.

VV: Nebel oder Sturm?

 MFH: Ich bin Norddeutscher. Ich kann mit beidem. Nebel ist geheimnisvoll. Sturm ist Klarheit.

VV: Kurzer Witz, er zündet?

 MFH: Wer meint, anderen immer den Finger in den Arsch stecken zu müssen, sollte sich mal lieber an die eigene Nase fassen (haha … ja ich weiß, tut mir leid.)

VV: Vielen Dank!

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