Interview mit Claudia Rapp über Zombies, Übersetzen und die Metropolcon Berlin 23

 Stell dir einen schlichten, schwarzen Raum vor, zwei sich gegenüberstehende blutrote Kanapees, einen schlichten, weiß lackierten Tisch, eine weiße Vase mit einer schwarzen Dahlie. Im Hintergrund hören wir Kyuss – Wellcome to Sky Valley




VV: Moin Claudia, schön, dass du heute hier bist. Nimm bitte Platz. Was magst du trinken?

CR: Ist es früher Morgen oder Vormittag? Dann Schwarztee. Hast du Soja- oder Hafermilch dazu? Später am Tag gern ein Glas Wein. Zum Horror passt dunkelrot.  

 VV: Du bist heute bei mir wegen verschiedener Tätigkeiten hier. Ich muss mal überlegen, womit ich anfange … Übersetzungen! Du übersetzt für den Festa-Verlag auch düstere Literatur. Wie kam es dazu?

CR: Mein Uni-Job als Dozentin war vorbei, ich hatte mich selbständig gemacht und zunächst Englischkurse für Firmen, bei der VHS usw. gegeben. Nebenbei fing ich an, für Magazine zu übersetzen, dann kam als erster richtiger Auftrag gleich eine Trilogie … und Katja alias Cat Lewis machte mich auf eine Anzeige vom Festa Verlag aufmerksam. Frank suchte Übersetzer*innen. Das war 2012, der Rest ist Geschichte. Soll heißen: Ich habe in der Zwischenzeit um die 30 Bücher für den Festa Verlag übersetzt.  

VV: Okay, und wie läuft das ab? Bist du auf bestimmte Gangarten oder Autor*innen abonniert?

CR: Zu Beginn habe ich Verschiedenes ausprobiert, aber der leisere Horror liegt mir zum Beispiel weit mehr als Splatter – auch aus Leserinnensicht. Torture Porn und Dark Romance sind nicht so meins, und ich konnte auch immer sagen, in welche Richtung es gehen sollte oder dass ich ein bestimmtes Buch lieber nicht machen würde. Außerdem brauche ich Abwechslung wie die Luft zum Atmen und ich liebe es, wie vielfältig das Programm von Festa ist. Vom neu übersetzten Klassiker (Big Sur von Jack Kerouac) über clever aufgebaute Kriminalfälle mit wiederkehrenden Figuren (die Romane von Allen Eskens) und albtraumhafte Geschichten über Kinder und Jugendliche in den Molochs der USA (z.B. Monday, Wo Bist Du von Tiffany D. Jackson, Das Schmetterlingsmädchen von Rene Denfeld, Die Rostjungfern von Gwendolyn Kiste) bis zum Vincent-Preis-gekrönten, bluttriefenden Horror (Das Scharlachrote Evangelium von Clive Barker).

Na gut, in den letzten Jahren war ich schon zunehmend auf die Bücher über junge Menschen abonniert – aber was Festa macht, ist niemals YA mit Romance-Zuckerguss, sondern wahlweise düster oder drastisch oder beides.   

VV: Wie ist denn das, wenn du andere Übersetzungen liest? Denkst du da manchmal, Oh, das hätte ich aber anders gemacht?

CR: Aber natürlich. Wobei das beim Fernsehen viel häufiger vorkommt als beim Lesen. Schöner ist eh, wenn ich mittendrin feststelle, wie schön die Leseerfahrung doch ist, wenn man gar nicht merkt, dass es übersetzt wurde. 

VV: Gab es mal Sachen, die dir nahe gegangen sind? Zu heftig waren?

CR: Ich kann beim Übersetzen schon die notwendige Distanz im Kopf herstellen, auch wenn es ganz heftig wird. Aber das ist manchmal echt anstrengend und dann sage ich eben, das nächste Mal bitte wieder was anderes.












VV: Alles klar. Kommen wir zum nächste Thema: Zombies. Du magst Zombies? Wenn ja, warum?

CR: Eigentlich war ich schon als Kind Team Vampir (Rüüüüüdiger!), aber nachdem diese Figur weichgespült und in Glitzer gehüllt wurde, war offenbar der kulturelle Moment des Zombies gekommen. Ist weit schwieriger, Zombies attraktiv zu machen (abgesehen von Warm Bodies, schätze ich), und ich finde sie vor allem spannend als, sagen wir, Katalysator. Du hast eine Welt, schickst die Zombies rein, und die Menschen in dieser Welt zeigen, wer sie wirklich sind. Ich sehe Zombies meist nicht als Charaktere – die man mit Eigenschaften, Sehnsüchten und Ängsten ausstattet – sondern als bloße Auslöser, Hindernisse, Bedrohungen. Zombies sind m.E. besonders für Erzähler*innen mit dem Blick von oben geeignet: die Fäden der Marionetten in der Hand, die Figuren auf dem Schachbrett platziert.

VV: Seit 2019 trägst du die redaktionelle Verantwortung für die Reihe ZombieZone Germany im Amrûn-Verlag. Wie kam es dazu und was genau ist da deine Aufgabe?

 CR: Ich hatte bereits zwei Romane bei Amrûn veröffentlicht und die Tentakelporn-Anthologie Lückenfüller herausgegeben. Als Jürgen Eglseer auf der LBM 2019 darüber sprach, dass er nicht weiß, wie und ob es mit der Reihe weitergeht, habe ich mich angeboten, die Herausgeberschaft zu übernehmen. Die Hauptaufgabe ist also, neue Einsendungen zu lesen, auszuwählen und dann die Bücher und Autor*innen vom Manuskript über das Lektorat bis zum Erscheinen zu begleiten.   

 VV: Wohin wird sich die ZZG entwickeln? Kannst du dazu etwas verraten?

 CR: Drei Autorinnen und der Illustrator der Reihe haben sich Anfang 2021 zusammengetan, um ein Rollenspiel zu entwickeln, mit eigenem Regelwerk und Spielrunden, die in der Welt der Zombie Zone Germany angesiedelt sind. Was im Kopf von Caro Gmyrek als Idee für eine kleine Runde, als Projekt für ein paar Wochen begann, bekommt demnächst eine Crowdfunding-Kampagne und wird immer größer, komplexer und cooler. Im Zuge der Rollenspiel-Planung hat das Team nicht nur alle bisher erschienenen Texte in einem wiki zusammengefasst und die teilweise nicht komplett übereinstimmenden Fakten und Hinweise auf Ansteckung, Verwandlung usw. gesammelt und konsolidiert – was auch zukünftigen Autor*innen der Reihe zugutekommen dürfte, sondern auch eine großartige Webseite gestaltet: https://zombiezonegermany.de/

Haltet bei Conventions und anderen Veranstaltungen Ausschau nach dem Stand der ZZG und unterstützt dieses krass coole Game, wenn das Crowdfunding startet!        

VV: Was genau verbindet dich eigentlich mit dem Horror? Wie ist es dazu gekommen?

 CR: Ich glaube, ich hätte lange Zeit behauptet, Horror wäre nicht so meins, weil mein Begriff davon früher etwas eng war. Splatter und Gore gehen mir schnell zu nah – vor allem im Film. Bilder verfolgen mich. Aber auf der anderen Seite habe ich schon als Kind gern Gruseliges gelesen: Ich erinnere mich vor allem an diese fetten Schneider-Bücher "Jedem schlägt die Geisterstunde" und sowas, oder noch früher an den Kleinen Vampir – okay, nicht wirklich gruselig, aber die Elemente, die zum Horror gehören, die Kulissen, Figuren, Atmosphäre haben mich schon immer gereizt. Dann kam die Grufti-Phase mit der entsprechenden Musik, der noch heute mein Herz gehört, und in Schule und Studium zog es mich zu Hoffmann und Poe, zur Gothic Novel und     

Zum American Gothic. Ich mag Schwarz, ich mag Friedhöfe, ich mag die Nachtseite der Dinge. Lieber all das als Gegengewicht zum rationalen, wissenschaftlichen, entzauberten Weltbild als das Abdriften in Verschwörungsmythen, das derzeit so um sich greift. Anders ausgedrückt: Lieber Gespenster und Nachtmahre, Haunted Houses und Hexenzirkel als der reale Horror draußen vor der Tür.

VV: Glaubst du an etwas Übersinnliches?

 CR: Ich würde mich als Atheistin bezeichnen und entsprechend eher nein sagen. Das Übersinnliche ist schlicht all das, was wir (noch) nicht verstandesmäßig erfassen können. Es wäre rational erklärbar, wenn wir mehr wüssten oder verstünden. Aber es ist auch völlig in Ordnung, nicht alles zu verstehen, denn genau daher rühren ja Zauber und Grusel.

VV: Ist dir da mal was Krasses passiert? Ein Geist erschienen, oder so?

CR: Nein. Die krassen Dinge passieren in meiner Fantasie, beim Träumen oder in Büchern und Filmen. Voll okay für mich.

 VV: Gibt es für so etwas wie DAS BÖSE?

 CR: Leider sind das Böse am Ende immer wir. Hinter dem Bösen steckt Absicht, daher sind Naturkatastrophen oder Krankheiten, Unfälle oder wilde Tiere, Viren oder Meteoriten nicht böse. Aber Diktatoren und  Vergewaltiger, Kriegstreiber und Mobber, Befehlserfüller und Intriganten meist schon (immer auch *innen mitgemeint, aber statistisch gesehen, naja).     

VV: Okay. Wird mir zu gruselig, deshalb ein Themenwechsel. Du hast die Metropolcon ins Leben gerufen, die dieses Jahr in Berlin stattfindet. Was genau ist das?  

CR: Eine neue Convention für Science Fiction, Fantasy und Horror, also für die gesamte Bandbreite der Phantastik, in Literatur, Multimedia, Games, Kunst und Musik und auch mit Einblicken in die Wissenschaft. Anders gesagt: der größenwahnsinnige Versuch, die bestehende Szene und alle Neugierigen & Begeisterten der Phantastik zusammenzubringen, mehr Community-Gefühl zu schaffen … und beim nächsten Mal 2026 den Eurocon nach Berlin zu holen.

VV: Hard facts, bzw. Butter bei die Fische: Wo, wann und wie teuer?

 CR: Im silent green Kulturquartier, einem ehemaligen Krematorium, das schon von der Architektur her auf vielfältige Weise zu inspirieren vermag … vom 18. Bis 20. Mai 2023, für alle 3 Tage 90 Euro, ermäßigt 75, Tagestickets zwischen 30 und 45 Euro. Tickets gibt es hier: https://www.metropolcon.eu/mitmachen/tickets/

 Für diejenigen, bei denen die Kosten eine allzu große Hürde darstellen, gibt es auch Soli-Tickets, die durch Spenden der zahlenden Besucher*innen finanziert werden. Mehr dazu hier: https://www.metropolcon.eu/2023/01/30/soli-tickets-jetzt-bewerben/

 VV: Coole Location! Sag mal, wie organisierst du das alles? Das ist ja verdammt groß!

 CR: Ich mache das ja nicht alleine! Wir haben einen Verein gegründet und sind ein gut 15 Personen starkes Team – wobei noch ein paar mehr Leute in der Orga sicher gut wären, denn wir machen das ja alles in unserer Freizeit, und davon haben nicht alle gleich viel. Umso mehr freuen wir uns über HALLO, HALLO, ALLE MAL HERHÖREN! helfende Hände während der Veranstaltung. Aufbau, Raummanagement, Einlasskontrolle … meldet euch gern unter volunteers@metropolcon.eu

 Fazit: Phasenweise ist es für mich fast ein Vollzeitjob, aber glücklicherweise ein sehr abwechslungsreicher und motivierender.

 VV: Was erhoffst du dir von der Metropolcon?

 CR: Dass die Szene enger zusammenrückt, miteinander spricht, gemeinsam neue Dinge ausheckt. Dass wir mehr Menschen für die Phantastik und ihre Community begeistern können. Dass wir dazu beitragen, das Science Fiction, Fantasy und Horror ernster genommen werden, gesehen werden, dass sowohl ihre Relevanz als auch ihr Zauber bei den Leuten ankommt.   

 VV: Was dürfen denn Gäste erwarten?

 CR: Ich verweise nochmal auf die Webseite, weil ich dafür erst vor zwei Wochen zusammengetragen habe, was wir schon sagen können: https://www.metropolcon.eu/2023/01/31/was-erwartet-euch-mehr-zu-den-programminhalten/

 Gerade kamen noch einige Hochkaräter hinzu, zum Beispiel Alexa und Alexander Waschkau, die gemeinsam den beliebten Hoaxilla-Podcast machen. Die nächste Ankündigung steht in den Startlöchern, und wir arbeiten fieberhaft daran, das gesamte Programm Anfang März online zu stellen. Bis dahin wird auch die Liste der Vortragenden laufend erweitert: https://www.metropolcon.eu/wer-ist-dabei/votragende/  

 TL;DR: Es gibt haufenweise Panels, Vorträge, Workshops in 5 Räumen, dazu die Verleihung des Kurd Laßwitz Preises, den PAN-Leseabend und drei sehr unterschiedliche, besondere Live-Konzerte. Wir haben eine Bar, einen Kinoraum und eine große Freifläche für schönes Wetter. Am Samstagvormittag finden die Mitgliederversammlungen unserer Partner-Vereine PAN (Phantastik-Autoren-Netzwerk e.V.) und SFCD (Science Fiction Club Deutschland e.V.) statt, parallel dazu aber auch Programm für alle Nichtmitglieder … es gibt einen großen Dealers' Room, also einen Händler- und Ausstellungsbereich, in dem auch Platz für weitere Vereine, Signiertische und einen Spielebereich ist. Für Rollenspiel und sowas …    

 VV: Wow, Rollenspiel auch! Wie ist das denn für … na ja, Rollenspielleute? Können die da einfach teilnehmen, Spielrunden anbieten oder so?

 CR: Aber ja doch. Es gibt große runde Tische; diesen Bereich betreut übrigens das ZZG-Rollenspiel-Team, und dort können Spielrunden und andere Angebote untergebracht werden (während der Rest des Programms bereits aus allen Nähten platzt). Wer eine Demorunde anbieten möchte oder auch Brettspiele, Kartenspiele, ein RPG-Meetup … meldet sich am besten unter programm@metropolcon.eu – auch Verkaufsstände und Beiträge zur Kunstausstellung können übrigens noch angemeldet werden, aber nur noch bis Ende Februar! Dazu gibt's unter https://www.metropolcon.eu/mitmachen/stand-tisch/ ein Formular zum Download. Wir freuen uns auf eure Ideen.     

 VV: Okay, ich werde auch auf jeden Fall da sein! Vielen Dank, dass du heute zu Gast warst, Claudia!


Bullets (Wie aus der Pistole geschossen …)

VV: Bier oder Wein?

CR: Wein. Weiß. Trocken.

VV: Was würde dich als Zombie gefährlich machen?

CR: Wenn ich meine Brille verloren hätte, würde ich wahlloser beißen.

 VV: Lovecraft oder King?

CR: King.

 VV: Warum?

 CR: Leichter zu lesen 😊 Bei Lovecraft finde ich spannender, was er angestoßen hat, als ihn selbst.

VV: Drei Orte, die du unbedingt noch einmal sehen willst?

CR: Island (hoffentlich nächstes Jahr wieder), Hawaii (ist jetzt über 20 Jahre her), Neuseeland (war ich noch nie)

VV: Wann schreibst du am liebsten?

CR: Wenn mich die Inspiration überfällt. Tendenziell abends, wenn es ruhig wird.

VV: Gedanken lesen können oder sich in Tiere verwandeln?

CR: Tiere.

VV: Und auch hier, warum?

CR: Neue Sinne und Perspektiven ausprobieren, fliegen, rennen, buddeln … Das stelle ich mir spannender vor als die Gedanken anderer Menschen. Stell dir mal vor, du müsstest mit anhören, was so manche Leute denken – was sie reden, ist ja oft schon schlimm genug.

VV: Ich mag Berlin, weil…?

CR: Ich zitiere Annette Humpe: In Berlin kann ich im Schlafanzug einkaufen gehen und keinen interessiert's.

VV: In einem anderen Leben wärst du was geworden?

 CR: Salonnière und Spiritistin. Privatdetektivin. Piratin (na gut, wahrscheinlich wäre ich zu feige gewesen, um das durchzuziehen) oder Auswanderin.  

VV: Was würdest du bei einer Zombieapokalypse machen?

 CR: Drinnen bleiben. Oder sehr gut auf meine Brille aufpassen, siehe Frage weiter oben.  

VV: Vielen Dank!

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Die Nominierungsliste des Vincent Preis und Rein A. Zondergeldpreis 2023

Vincent Preis und Rein A. Zondergeld Preis 2023

Anthologien/Storysammlungen/Magazine 2011