Der Weltuntergang vor 100 Jahren

Die beiden großen Mysterien Tod und Weltuntergang haben die Menschheit von Anbeginn ihrer Zivilisation besonders fasziniert. Eine Möglichkeit der Auseinandersetzung damit ist die Religion, die andere die utopische Literatur. Während der Tod eher im Genre der Horror- und Gespensterliteratur thematisiert wird, ist der Weltuntergang neben dem Zukunftskrieg seit Beginn der modernen Science Fiction mit Kurd Laßwitz 1871 ein beliebtes Genrethema. Der Untergang der Welt wurde dabei stets als die anthropozentrische Sicht des Untergangs der Erde formuliert.


Die belletristischen Zukunftsapokalyptiker der damaligen Zeit differenzierten zwischen dem zeitnahen und dem zeitfernen Weltuntergang, den sie mit einem Erkalten der Sonne und der damit einhergehenden Vereisung der Erde gleichsetzten. Bei der zeitnahen Apokalypse dominiert die kosmische Katastrophe vor allem durch den Kometentod, der eine Polverschiebung bewirkt oder die Erde aus der Bahn „wirft“, sodass sie in die Sonne stürzt, die Erde durch einen direkten Zusammenprall oder durch einen Aufprall des Mondes zum Platzen bringt, ein Einschlag immerhin zu globalen Erdbeben, Wirbelstürmen und Überflutungen führt, dessen Schweif entweder der Erde den Sauerstoff entzieht, mit seinen giftigen Gasen alles Leben tötet oder durchaus origineller den Menschen neuroaktiv durch die Erhöhung seines Agressionspotentials beeinflusst und auch ohne Kometenaufprall die Welt ins Chaos stürzt. Dass der Komet zum Heilsbringer wird und der erkaltenden Erde eine neue Sonne bringt, war eher eine literarische Ausnahme.

Höchst originell waren auch die Visionen zu den nach einer weitgeheden Zerstörung der Erde sich evolutionär zurück- oder auch weiterentwickelnden "Nachmenschen". 

Eine Sonderstellung nimmt der innovative Apokalyptiker Paul Scheerbart ein, der nicht nur den Weltuntergang mehrfach dramatisierte, sondern auch eine postapokalyptische Erde beschreibt, in der nur die guten Menschen weiterleben dürfen, ansonsten die Menschheit in den vielfältigsten Szenarien untergehen lässt, so durch ein körperlähmendes Kometensalz und durch eine kometeninduzierte Verglasung.

Schon früh wurde angesichts einer möglichen Vereisung oder Zerstörung der Erde entweder das Überleben der Menschen in hochtechnisierten unterirdischen Städten, durch die Ausnutzung der Erdwärme oder die Erwärmung durch Elektrizität antizipiert oder die Evakuierung der Menschen mit technischen Mitteln im Luftschiff auf andere Planeten belletristisch vollzogen, womit die heute vergessenen Autoren aktuell state of the art sind. Mars und Weltuntergang wurden in der frühen deutschen SF oft im Zusammenhang dargestellt, sodass die Marsbewohner häufiger die Erde warnen oder der Weltuntergang auf den Mars verlegt wird.

Die „herstellbare Katastrophe“ durch die Technik ist mit Beinahe-Weltuntergängen durch futuristische Massenvernichtungswaffen vor 1900 noch die Ausnahme. Später werden dann technisch induzierte Apokalypsen durch eine akustische Umwandlung der Menschen in violette Schleimkegel und die erste weltweite, vorsätzlich durch einen Chemiker verursachte Ölpest antizipiert. Auch sonst sind es oft Chemiker, die beispielsweise den „Grünen Tod“ aus der Retorte auf die Menschheit loslassen, den Planeten durch ein neues Element zur Explosion bringen oder Maschinen die Macht übernehmen lassen.

Der heutige Leser wird deshalb erstaunt in dieser Anthologie feststellen, dass apokalyptischen Ideen schon vor mehr als 100 Jahren in der deutschen Science Fiction präsent waren, die oft erst in den 1950er Jahren von der bis heute führenden anglo-amerikanischen SF wieder aufgenommen wurden.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Die Nominierungsliste des Vincent Preis und Rein A. Zondergeldpreis 2023

Vincent Preis und Rein A. Zondergeld Preis 2023

Anthologien/Storysammlungen/Magazine 2011