Iver Niklas Schwarz (Interview)

 


Michael Schmidt: Hallo Iver, ich weiß nicht, ob die Vincent Preis Gemeinde dich schon kennt. Daher stell dich doch mal vor. Wer ist Iver Niklas Schwarz?

Iver Niklas Schwarz: Hallo, liebe Vincent-Preis-Gemeinde! Als Autor bin ich im Grenzgebiet von düsterem Thriller, Mystery und Horror unterwegs. Mein Herz schlägt für Figuren, die so sind wie du und ich, und für spannende Geschichten, die direkt vor unserer Nase spielen. Im Januar erscheint mit „Kummersee“ mein Debütroman im Ullsteinverlag, aktuell findet man mich als Herausgeber der Horroranthologie „Das Böse vor der Tür“ (dtv) im Buchladen.

Michael Schmidt: Beim Vincent Preis 2024 steht die Anthologie und die dort enthaltenen Geschichten „Das Böse vor der Tür“ zur Wahl. Du bist, zusammen mit Wulf Dorn der Herausgeber. Ist das deine erste Herausgabe?



Iver Niklas Schwarz: „Das Böse vor der Tür“ ist nicht nur meine Premiere als Herausgeber, es ist sogar das erste Buch mit meinem Namen auf dem Cover. Insofern ist die Anthologie für mich sehr besonders, zumal es sich um Herzensprojekt handelt. Die Idee dazu hatte ich schon länger mit mir herumgetragen und ich bin überglücklich, dass all die tollen Autorinnen und Autoren, der Verlag und mein Mitherausgeber Wulf Dorn diese Idee zusammen mit mir haben Wirklichkeit werden lassen.

Michael Schmidt: Das Buch erscheint bei dtv. Kai Meyer meinte auf Facebook, die erste Anthologie in einem Großverlag, weil diese Art von Büchern normalerweise in Kleinverlagen erscheinen. Das stimmt zwar nicht ganz, aber „Das Böse vor der Tür“ ist trotzdem ein sehr seltenes Ereignis. Wie kam es dazu, dass das Buch bei dtv erscheint und Wulf Dorn und du die Herausgeberschaft übernommen habt?

Iver Niklas Schwarz: Ich liebe Kurzgeschichten, besonders Horror. Ich habe schon bei vielen „kleinen“ Anthologien mitgemacht. Da steckt so viel Herzblut und Hingabe drin. Seit Jahren liege ich Menschen damit in den Ohren, dass es bei Horror in einheimischen Szenarien eine Lücke bei den Publikumsverlagen gibt. Auf einer Party von Buchmenschen habe ich genau das auch dem Programmleiter des Taschenbuchsegments von dtv erzählt und vorgeschlagen, mit einer Kurzgeschichtensammlung zu testen, ob es dafür eine Leserschaft gibt. Er hat in Aussicht gestellt, dem Projekt eine Chance zu geben, wenn ich Autorinnen und Autoren mitbringe, die eine solche Anthologie für den Verlag wirtschaftlich machen könnten. Also habe ich auf besagter Party als absoluter Nobody, den niemand kannte, Autorinnen und Autoren aus dem Spannungsbereich angequatscht. Die Resonanz war überwältigend. Fast alle hatten Lust auf unheimliche Geschichten und noch an diesem Abend hatte ich neben meinem Mitherausgeber Wulf Dorn auch Sarah Bestgen, Andreas Gruber und Uwe Laub mit im Boot. Der Rest ist Geschichte, wie man so schön sagt.

Michael Schmidt: Was erwartet den Leser thematisch bei „Das Böse vor der Tür“?

Iver Niklas Schwarz: Geschichten, ohne die Sicherheit des großen Teichs zwischen Geschehen und Lesendem, quasi Horror vor der eigenen Haustür. Wir alle wissen beim Lesen instinktiv, dass sich Pennywise, der Killerclown, nicht ins Flugzeug setzen wird, um uns heimzusuchen. Wenn aber eine unheimliche Story plötzlich in deiner Nachbarschaft spielt, nimmt dir das dieses Gefühl von Sicherheit. Thematischen haben wir den Beteiligten keinen Rahmen vorgegeben, sondern lediglich darum gebeten, dass ihre jeweilige Geschichte an einem Ort spielen soll, zu dem die Beitragenden einen persönlichen Bezug haben. Herausgekommen ist eine Rundreise durch den gesamten deutschsprachigen Raum. Entsprechend ist die Anthologie auch wie ein Reiseführer aufgebaut.

Michael Schmidt: Die Autorenriege ist so eine Art „Who is Who“ der deutschsprachigen Phantastik und versammelt viele große Namen, aber auch ein paar zumindest mir unbekannte. Wie kam es zur Autorenauswahl und auf wen seid ihr besonders stolz?

Iver Niklas Schwarz: Wir haben eine Wunschliste aufgestellt. Uns war wichtig, eine gute Mischung hinzubekommen: Autorinnen und Autoren mit Bestsellerstatus, aber auch neue Talente. Beiträge von Schreibenden sowohl aus dem Thriller- als auch dem Phantastikbereich. Und besonders wichtig war uns auch, Leute in der Anthologie unterzubringen, die man getrost als Veteranen des deutschen Horrors betrachten kann. Einzelne Namen möchte ich aber gar nicht hervorheben. Stolz bin ich auf jede einzelne Geschichte in der Anthologie!

Michael Schmidt: Es sind auch Autoren wie Andreas Eschbach vertreten, da denkt man nicht unbedingt an Gruselgeschichten. Wie kam es dazu und was ist z.B. von seiner Geschichte zu erwarten?

Iver Niklas Schwarz: Wir fanden die Idee reizvoll, dass sich auch solche Autoren und Autorinnen am Genre versuchen, die sonst in einem ganz anderen Bereich der Spannungsliteratur zu Hause sind. So hat Andreas Eschbach beispielweise seine unnachahmliche Herangehensweise an eine neue Story, bei der er Recherchefleiß, immensen Detailreichtum und wissenschaftliche Fakten mit einer Was-wäre-wenn-Frage verknüpft, dazu genutzt, die „Kalkmänner“ zu erschaffen – die so beängstigend wie originell sind! Der konkrete Kontakt zu Andreas Eschbach kam über Wulf Dorn zustande.

Michael Schmidt: Wird es im Erfolgsfall einen weiteren Band mit Kurzgeschichten bei dtv geben?

Iver Niklas Schwarz: Diese Frage sollte ich dem Verlag wohl stellen. Ich habe hier noch ein paar hochkarätige Kolleginnen und Kollegen, die bei „Das Böse vor der Tür“ aus Zeitgründen nicht dabei sein konnten. Und dazu kenne ich noch so viele Perlen des deutschen Horror-Undergrounds, die ein viel größeres Publikum verdienen würden. Wenn nach mir geht, darf es also gern einen zweiten Teil geben. Aber die Verkaufszahlen müssen natürlich stimmen. Ganz allgemein hoffe ich, dass die Anthologie dazu beiträgt, bei dtv und auch den Publikumsverlagen den Weg für weitere tolle Horrorstorys und auch Horrorromane zu ebnen, die hier spielen, vor unserer Haustür!

Michael Schmidt: Habt ihr als Herausgeber Vorbilder gehabt, an denen ihr euch orientiert habt oder seid ihr völlig unbelastet an das Projekt gegangen?

Iver Niklas Schwarz: Im ersten Moment wusste ich ehrlich gesagt gar nicht, wie umfangreich das Aufgabenspektrum ist, das mich als Herausgeber erwartet. Da habe ich über Stilfragen nicht groß nachgedacht. Vieles hat sich organisch gefügt, wie zum Beispiel die Sortierung der Geschichten nach Themen wie in einem Reiseführer (Meer, Berge, Auf dem Land usw.) Dass ich dieses Buch zusammen mit sehr erfahrenen Leuten wie Wulf Dorn, Oskar Rauch bei dtv und auch meinem Agenten Markus Michalek von der AVA machen konnte, hat viel Sicherheit gegeben. Auf der anderen Seite haben es mir die Beitragenden aber auch leicht gemacht: Die Qualität der Storys hat durch die Bank weg sofort gestimmt, alles Deadlines wurden eingehalten und auch das Vertragliche lief reibungslos. Ich glaube, da hatte ich als Herausgeber einen vergleichsweise entspannten Job.



Michael Schmidt: Du bist selbst mit einer Geschichte vertreten. Für welche Art von Geschichten stehst du und wo findet der Leser weitere Stories aus deiner Feder?

Iver Niklas Schwarz: Da möchte ich sofort meinen Debütroman „Kummersee“ ins Spiel bringen, der am 30.01.2025 im Ullsteinverlag erscheint. Darin begleiten wir Polizistin Lena, die mehr als dreißig Jahre nach dem rätselhaften Tod ihres Bruders im Kummersee an den Ort ihrer Kindheit und ihres Traumas zurückkehrt. Als Polizistin ist sie für den Schutz eines hochumstrittenen Bauprojekts zuständig. Sie trifft auf militante Umweltaktivisten, eine verflossene Jugendliebe und düstere Familiengeheimnisse. Als plötzlich bizarre Morde geschehen, deutet alles darauf hin, dass in den Tiefen des Kummersees etwas erwacht ist. Doch wo enden die Gruselgeschichten, und wo beginnen die wirklichen Schrecken? Lena stürzt sich in die Ermittlungen und kommt einem ungeheuerlichen Geheimnis auf die Spur, das bis in die Zeit der Wende zurückreicht: Das Böse, das vor so vielen Jahren ihren Bruder das Leben gekostet hat, lauert immer noch unter der Wasseroberfläche – und es darf auf keinen Fall hinaus in die Welt gelangen. 

Meine Story in „Das Böse vor deiner Tür“ heißt „Kilometer 267“ und spielt mitten auf der A7 bei Göttingen, wo jemand einen schweren Autounfall hat. Als er nach dem Crash wieder zu sich kommt, muss er feststellen, dass sich die Welt sehr verändert hat. Und das nicht zum Guten …

„Kummersee“ und „Kilometer 267“ sind eigentlich typisch für Geschichten aus meiner Feder: Ich mag es atmosphärisch mit viel Raum für die Figuren. Außerdem baue ich gern unerwartete Wendungen ein und liebe einen ordentlichen Twist am Schluss. Da ist es egal, ob ich Kurzgeschichten schreibe oder in Langformaten unterwegs bin.

Michael Schmidt: Woran schreibst du gerade?

Iver Niklas Schwarz: Am Plot für den nächsten Roman, der 2026 bei Ullstein erscheint. Da darf ich aber noch nichts verraten. Nur so viel: Ich glaube, es wird ein verdammt cooles Buch!

Michael Schmidt: Und was liest du selbst so privat?



Iver Niklas Schwarz: Querbeet. Aber auch hier: gern düster und überraschend. Ganz aktuell würde ich zwei großartige Thriller von zwei ebenso großartigen neuen Autorinnen empfehlen wollen: „Nachtfahrt“ von Annika Strauss (ja, genau, die Horrorschauspielerin und German Scream Queen!) und „Happy End“ von Sarah Bestgen. Was deutschen Horror angeht, warte ich gebannt auf neues Futter von Tom Finn und Vincent Voss. International haben mich im Horrorbereich zuletzt Thomas Olde Heuvelt („November“) und John Ajvide Lindqvist („Unwesen“) überzeugen können. Für Buchtipps bin ich jederzeit dankbar!

Michael Schmidt: Wie würdest du die deutschsprachige Horror- und Phantastikszene charakterisieren?

Iver Niklas Schwarz: Ich würde mir weder zutrauen noch anmaßen wollen, dass ich die deutschsprachige Horror- und Phantastikszene als Ganzes überblicken, geschweige denn charakterisieren könnte. Wir haben in Deutschland auf jeden Fall eine sehr lebendige, engagierte und vielfältige Szene mit langer Tradition. Ich würde mir wünschen, dass sie im Buchmarkt ein bisschen mehr auf der großen Bühne mitspielen dürfte, und dass das Licht der Scheinwerfer auch mal auf die wirklich talentierten AutorInnen in der zweiten Reihe fällt.

Michael Schmidt: Noch ein Wort an die Meute dort draußen!

Iver Niklas Schwarz: Sprecht über Bücher, die euch gefallen und unterstützt Autorinnen und Autoren, deren Arbeit euch gefällt. Nur so verschafft ihr euch und unserem Genre Gehör. Make German Horror great (again)!

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