Interview mit den VP-Gewinnern Bester Roman Kaiser, Karg, Lohwasser
Stell dir einen schlichten, schwarzen Raum vor, zwei sich gegenüberstehende blutrote Kanapees, einen schlichten, weiß lackierten Tisch, eine weiße Vase mit einer schwarzen Dahlie. Im Hintergrund hören wir ….
Tom Karg: Servus, bringst mir ein Weißbier. Und auf die Ohren
gibt’s „Niederbayern“ von Ringlstetter.
Tommy Lohwasser: Ich nehme ein 0,5 Glas Apfelwein. Vanessa kann
ich beim Long Player vielleicht noch für Nine Inch Nails gewinnen. Bei Tom weiß
ich es aber nicht so genau.
VV: Eurer Roman VERFALL aus der Reihe „Die Erben Abaddons“ ist für den Vincent Preis als bester deutschsprachiger Roman nominiert worden. Wie fühlt sich das an?
EDIT: Das Interview ist vor der Bekanntgabe geführt worden. DIE ERBEN ABADDONS haben den Vincent Preis gewonnen! Herzlichen Glückwunsch! Weiter geht es mit dem Interview ...
Tom Karg: Das ist natürlich eine große Ehre. Wir freuen uns sehr, dass auch Band vier bei unseren Lesern Anklang fand und es in die Endrunde geschafft hat, zumal jedes neue Buch der Reihe ein gewisses Experiment darstellt. Wir sind sehr froh, dass es viele treue Seelen zu geben scheint, die den Weg unserer Erben Abaddons mitverfolgen.
Tommy Lohwasser: Ich finde es toll und danke unseren Lesern wirklich sehr. Als
wir mit Band eins der Serie angefangen haben, war es noch absolut ungewiss, ob
das Konzept Anklang finden würde. Jetzt mit Verfall für den Vincent Preis
nominiert zu sein, ist für uns eine Bestätigung, dass Endzeit-Romane gepaart
mit ungewöhnlichen Ideen ihre Leserschaft finden. Und es gibt uns wirklich
Kraft weiter zu machen. Die Leser von „Die Erben Abaddons“ erwartet noch
einiges.
VV: Für all die Unkundigen … was ist Abaddon? Die Idee dahinter.
Tom Karg: Stell dir eine Welt in hundertdreißig Jahren vor. Die technologischen Fortschritte, soziale Entwicklungen, aber eben auch die Probleme, die diese mit sich bringen. Diese Welt fällt Ressourcenkriegen, der Klimakatastrophe und der globalen Pandemie zum Opfer (ja, wir haben nichts ausgelassen). Für unsere Erben Abaddons gehen wir aber weitere hundertfünfzig Jahre weiter. Die Welt hat sich verändert, in Teilen erholt. Manchen Völkern ist es gelungen, Hochtechnologie aus den 2100ern wieder zum Laufen zu bringen, andere Enklaven leben in eher mittelalterlichen Verhältnissen. In dieser Welt spielen unsere Geschichten. Sie sind unabhängig voneinander lesbar, aber für treue Leser entfaltet sich eine phantastische Welt mit wiederkehrenden Orten, sich weiterentwickelnden Charakteren und bandübergreifenden Rahmenhandlungen.
VV: Wie seid ihr auf die Idee gekommen?
V: Tommy (Lohwasser) hatte die Grundidee zu diesem Setting und zur Hauptgeschichte, die viel zu groß für ein einzelnes Buch war. Und als Torsten Low uns ansprach, ob wir nicht Lust hätten, eine Reihe für ihn zu schreiben, fügte sich beides zusammen. Wir stellten ihm unsere mittlerweile gemeinsam weiterentwickelte Idee vor, Torsten war begeistert, und los ging’s.
VV: VERFALL greift ein typisches Zombie-Sujet auf. Eine Krankheit,
die einen Großteil der Menschheit bedroht. Hattet ihr das Hinterkopf? Oder wie
ist es dazu gekommen?
V: Nein, bei uns kam die Idee ganz anders zustande und mit dem Zombie-Sujet hat die Krankheit tatsächlich nichts zu tun.
Der Verfall ist zwar, grob gesagt, noch auf Machenschaften der
Menschen in der „Alten Zeit“ (also die Zeit vor dem Untergang) zurückzuführen,
aber wir wollen an dieser Stelle nichts weiter spoilern, da wir die
Hauptgeschichte und die Hintergründe des Untergangs im Laufe der Reihe erst
nach und nach „entblättern“.
Es sei allerdings noch ergänzend gesagt, dass in der Zeit, in der unsere Geschichten spielen, der Verfall nicht den Großteil der Menschheit bedroht. Diese Krankheit, über die es viele Gerüchte gibt, flammt nur hier und dort immer mal wieder auf. Aber im Band „Verfall“ nimmt das Ganze noch einmal auf eine Weise Fahrt auf, die … wir wiederum nicht spoilern möchten. *grinst*
VV: Thomas Karg und Vanessa sind ja noch als Herausgebende der Anthologie „Mysterien der See“ ebenfalls nominiert. Inwiefern unterscheidet sich in euren Augen der „Horror“ in beiden Werken?
Tom Karg: „Die Erben Abaddons“ ist eine dystopische Reihe, die Motive und Ängste unserer aktuellen Zeit aufgreift (Umweltveränderungen, Kriege, Krankheiten …). Dadurch entsteht bei dieser Reihe der Horror. Die „Mysterien des See“ sind hingegen in der düsteren Phantastik einzuordnen. Hier werden vielfältige Motive aus Legenden und Sagen rund um das Meer aufgegriffen, wie zum Beispiel eine angreifende Riesenkrabbe, Seeungeheuer oder auch quietschgelbe Badeenten (und ja, die sind verdammt gruselig!).
VV: Ja, die Enten sind krass! Was ist aufwändiger, Romane konzipieren, Kurzgeschichtenbände schreiben oder Anthologien herausgeben? Woran liegt das?
V: Ich persönlich finde, dass Romane mit ihren Planungen, den Ausarbeitungen des Plots, der Figuren inkl. ihrer Konflikte, der Spannungsbögen usw. unglaublich viel Arbeit erfordern und es – zumindest für mich – immer ab einem gewissen Grad an Planungsarbeit schwierig wird, den Überblick zu behalten. Und dann kommt ja noch das Schreiben selbst, gefolgt von zig Überarbeitungen, inkl. Testleserphase. Dagegen kommen Kurzgeschichten nicht an, auch wenn wir selbst in diese immer viel Arbeit und Leidenschaft stecken.
VV: Zum Schreiben zu dritt seid ihr bestimmt schon oft gefragt worden. Nutzt ja nichts. Wie habt ihr euch denn kennengelernt? Und gemerkt, dass die Chemie passt?
V: Kennengelernt haben wir uns ursprünglich schon in 2013, als Tom (Karg) mir und Tommy (Lohwasser) eine hammerharte und hammergeile Story zu unserer „Dunkle Stunden“-Ausschreibung einsendete. Wir konnten nicht anders, als sie vom Fleck weg anzunehmen. Schon da war klar, dass wir drei einen ausgeprägten Hang zum Düsteren haben, der z.T. wunderbar „in einen Topf“ passt.
VV: Und wie läuft das bei euch ab? Eine Aufteilung wie bei den drei ??? oder übernimmt jede/r von euch einzelne Parts?
V: Grundsätzlich plotten wir gemeinsam, besprechen die Figuren und Locations gemeinsam – wobei natürlich jeder eigene Ideen und Vorschläge einbringt. Diese entwickeln wir entweder gemeinsam im Gespräch weiter oder übernehmen jeweils Schwerpunkte zum allein Weiterentwickeln. Beim Schreiben ist es ähnlich: Jeder schreibt das, was er will, und gibt den Text weiter zu dem, der gerade Zeit/Lust hat. Von da ab arbeitet sich der Nächste mit in den Text hinein, bis schließlich und endlich was Fertiges dabei herauskommt. Wer wie oft und wie viel der Texte mitschreibt, kann von Band zu Band variieren. Wir sind da nicht festgelegt, weil wir uns im Vorfeld schon intensiv verständigt haben und uns auch während der Textentstehung eng beraten. Die Storys sind also immer von uns allen.
VV: Und die Figurenentwicklung? Wie habt ihr zum Beispiel Nele oder Palef ersonnen und zum Leben erweckt?
V: Die beiden Figuren gehen in der Grundidee auf Tom Karg zurück und wurden dann von uns allen mit aufgegriffen.
Tom Karg: Meist werfen wir uns gegenseitig die Bälle zu. Auf eine grob geäußerte Grundidee sagt jemand von den anderen beiden was Kluges, dann sagt der Dritte was noch Klügeres und so formt sich dann nach und nach das fertige Bild.
VV: Was macht ihr, wenn jemand sterben soll? Stimmt ihr euch ab? Tut das manchmal weh?
V: Wenn jemand den Vorschlag macht, dass eine Figur sterben soll, muss es zum Plot passen. Passt es, sind wir schnell einig. Mir tut es dennoch häufig richtig weh, wenn Figuren bei uns sterben. Über den einen oder anderen Tod bin ich nach wie vor nicht hinweg.
VV: Und wie koordiniert ihr
das Ganze? Ich meine, was arbeitet ihr eigentlich und wo bleibt da die Zeit für
Gruppenprojekte?
VV: Okay, erkennbar ist auf jeden Fall, dass ihr alle Bock auf das Genre „Horror“ habt. Wie ist es dazu gekommen? Eine Schlüsselerlebnis in der frühen Jugend?
Tom Karg: Ich mochte das Düstere und das Gruselige schon immer. Mein Einstieg waren da die Simpsons, denke ich. Ich mochte die Horrorcomics und auch die „Tree-House-of-Horror“-Folgen schon immer am liebsten.
VV: Ah, cool. Findet ihr, dass Horror in eine Nische gezogen ist? Muss das sein? Oder besser, warum ist das so?
Tom Karg: Wäre natürlich schön, wenn Horror massentauglicher wäre und man in dem Genre ein breiteres Publikum ansprechen könnte. Aber nicht jedem kann alles gefallen, das muss man akzeptieren.
VV: Hoffen wir darauf. Vielleicht auch, weil uns das Unerklärliche verunsichert? Habt ihr unerklärbare Dinge erlebt? Wenn ja, welche?
Tom Karg: Mir ist oft unerklärlich, wie ich in einem Umkreis von
drei Metern schon wieder die Fernbedienung verlegen kann. Noch unerklärlicher
ist dann, dass sie plötzlich mitten auf dem Tisch liegt.
V: Unerklärbar ist für mich das gesamte Leben, genauso wie der Tod. Und ja, diese Unerklärlichkeit empfinde ich als verunsichernd.
VV: Verfall bildet eine zu Teilen dystopische Welt ab. Klassismus wird offenbar. Sollte Phantastik kritisch sein?
V: Ich persönlich finde nicht, dass Phantastik irgendetwas „sollte“. Aber ich finde, Phantastik „darf“. Phantastik ist eines von vielen Genres, die man wählen kann, um sich auszudrücken, um Gedanken und Ideen zu transportieren, und wenn man das Bedürfnis hat, Kritik zu transportieren, eignet sich Phantastik durchaus sehr gut. Ich halte die Phantastik für ein wundervolles Genre, das alles andere als oberflächlich sein kann.
VV: Toll gesagt. Und wie ließe sich das Genre Horror stärken?
Tom Karg: Wenn wir das wüssten, wär’s geil ;)
VV: Okay, mögt ihr verraten, was von euch in Planung ist?
V: Einige weitere Abaddonbände auf jeden Fall, auch mit
Unterstützung verschiedener Gastautoren. Außerdem werden wir Ausflüge in andere
Genres unternehmen, z.B. in die Spannungsliteratur.
Tom Karg: Aktuell ist mein zweiter eigener Kurzgeschichtenband „Das Böse – Horrorstorys“ erschienen. In dieser Richtung habe ich noch mehr in Planung. Aber ich probiere mich auch gern in anderen Genres aus und auch da gibt es konkrete Pläne.
Tommy Lohwasser: So viel sei verraten, sowohl sehr interessante Projekte mit
Vanessa und Tom und auch anderen Beteiligten sind in der Pipeline, als auch
mehrere Projekte mit Vanessa im Zweiergespann, in denen wir beide uns auf
unsere Kerntugenden besinnen.
VV: Wir dürfen also gespannt sein! Vielen Dank, dass ihr da wart!
Bullets (Wie aus der Pistole geschossen …)
VV: Pearl Jam oder Nirvana?
V: Rammstein. *lacht*
Tom Karg: Da halt ich mich raus.
Tommy Lohwasser: Beide Bands sind zu genial, um sich entscheiden zu können. Ernsthaft!
VV: Jede/r von euch darf sich eine Superkraft wählen. Welche wäre das?
V: Fliegen.
Tom Karg: Schneller schreiben ;)
Tommy Lohwasser: Riesige Intelligenz gepaart mit echter Weisheit des Herzens.
VV: Meer oder Berge?
V: Meer.
Tom Karg: Berge.
Tommy Lohwasser: Berge
VV: Ein völlig unterschätztes Monster?
V: Sucht.
Tom Karg: Mensch.
Tommy Lohwasser: Die Untiefen der Psyche
VV: Warum?
V: Weil dieses Monster unfassbar grausam und mächtig ist, und
alles, was einen Menschen ausmacht, verschlingen kann.
Tom Karg: Das wird philosophisch, aber ich denke, jeder kann sich etwas darunter vorstellen.
Tommy Lohwasser: Die oben besprochene Angst, das unsägliche, manchmal nie
endende Leid, die nicht ertragbare Leere, die Ahnungen vom Nichts und nicht
zuletzt unsere geschriebenen Geschichten entspringen der Psyche.
VV: Lieblingsgetränk?
V: Espresso mit Mandelmilch.
Tom Karg: Weißbier (was anderes darf ich als Bayer gar nicht sagen *lacht*)
Tommy Lohwasser: Apfelwein. Ich hätte bitte noch ein Glas!
VV: Kannst du immer essen?
V: Fast immer.
Tom Karg: Nö.
Tommy Lohwasser: Früher ja, mittlerweile nein.
VV: Was würdest du als Geist machen?
V: Zusehen, dass ich entweder meine Ruhe finde oder in die nächste Ebene des
Seins aufbreche (falls dies für uns vorgesehen sein sollte). Herumspuken wäre
nicht mein Ding.
Tom Karg: Boah, doch, ja! Herumspuken!
Tommy Lohwasser: Ich glaube ja, dass wir beim Sterben in eine andere Ebene
übergehen. Den viel beschriebenen Lichttunnel beim Sterben vergleichen ja
einige Astrophysiker mit dem Reisen mit Lichtgeschwindigkeit, das das gleiche
„visuelle“ Phänomen hervorrufen würde. Wenn ich hier auf der Erde gefangen sein
würde und irgendwie Einfluss auf die materielle Welt oder die Menschen hätte,
würde ich versuchen, gequälten Menschen zu helfen.
VV: Du könntest noch einmal so alt sein, wie du möchtest. Wie alt
wärst du dann?
V: Nicht einen Tag jünger als jetzt – es sei denn, es wäre rein das Alter
meiner Körperzellen, dann wäre 24 super.
Tom Karg: Ich glaub, bei mir passt alles, wie es ist.
Tommy Lohwasser: Da schließe ich mich Vanessa voll an.
VV: Und warum?
V: Auf meine Erfahrungen und meine inneren Errungenschaften will
ich nicht mehr verzichten, aber einen jüngeren Körper kann man immer brauchen,
oder nicht? *grinst*
Tom Karg: Ich will der Natur der Dinge keinen Strich durch die Rechnung machen.
Tommy Lohwasser: Ich sehe das ganz genauso wie Vanessa.
VV: Wie sieht dein perfekter Schreibort aus? Alles ist erlaubt!
V: Mein stilles Kämmerlein mit Blick übers Feld und die Wiesen bis zum Waldrand.
Tom Karg: Ich würd gern mal in einem Unterwasserhaus mit Blick auf Delfine und Haie schreiben. Stell ich mir gerade cool vor.
Tommy Lohwasser: Ich kann am besten Schreibort sitzen und trotzdem eine
Blockade haben. Viel wichtiger ist mir, dass der innere Ort, mein seelischer
Zustand, stimmt, um kreativ zu sein.
VV: Wofür bewundert ihr die jeweils anderen?
V: Für ihr inneres Potenzial und ihr schriftstellerisches und erzählerisches Talent.
Tom Karg: Tommy Lohwasser für seinen Reichtum an visionären und komplexen
Ideen. Vanessa für ihren Willen und ihren poetischen Schreibstil.
Tommy Lohwasser: Ich halte meine zwei geliebten Schreibkollegen wirklich für
genial. Vanessa hat ein unendlich tiefes Gespür für Figuren und Geschichten und
für Sprache und Logikbugs. Wenn ich da an unsere gemeinsamen Kurzgeschichten
oder auch Abaddon denke, kann ich manchmal nur „Wow!“ sagen. Tom bewundere ich
ebenso für seinen Ideenreichtum. Ich weiß gar nicht, wo er das hernimmt? Ich
vermute mal, er ist ein Zeitreisender. *grinst* Noch beeindruckender ist sein
wirklich messerscharfer Verstand beim Telefonplotting und den anderen
Gesprächen. Er bringt die Sachen auf den Punkt und hat noch nie etwas gesagt,
was nicht Hand und Fuß hätte. In solch einem Umfeld kann man als Autor wirklich
gedeihen.
VV: Und was ist eine echte Macke/Marotte von dir?
V: Mich abends nur schlecht vom Wachsein verabschieden zu können.
Tom Karg: Ich bin perfekt *grinst* ne, keine Ahnung, sollen andere beurteilen.
Tommy Lohwasser: Das kann ich nicht öffentlich sagen. *grinst*
VV: Ein letztes Wort …
V: Vielen Dank an alle, die sich für unsere Geschichten
interessieren, und an alle, die uns in die Endrunde gewählt haben – und
natürlich vielen Dank an euch, die ihr den Vincent Preis überhaupt ermöglicht.
Tom Karg: Vielen Dank an dich für das Interview und vielen Dank an jeden, der es gelesen hat!
VV: Vielen Dank!
V: Dir auch.
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