Stell dir einen schlichten, schwarzen Raum vor, zwei sich gegenüberstehende
blutrote Kanapees, einen schlichten, weiß lackierten Tisch, eine weiße Vase mit
einer schwarzen Dahlie. Im
Hintergrund hören wir Octopus Diver: (1) Octopus Diver - The Last Trip Of A Lifetime (Full
Album) - YouTube
*nice*
VV:
Moin Faye, du bist diejenige Person, die ich am häufigsten interviewt habe.
Drei Mal bisher. Wow! Was ist denn heute
dein Getränk deiner Wahl?
FH: Das machst du doch nur, weil du mich so gern schnurren hörst.
*pfötchengeb*
Ich hätte gerne einen Gin. Ohne Eis, ohne Tonic. So wie ihn Thomas
Shelby servieren würde. Danke!
VV:
Es geht aktuell um deinen neuen Roman „Der letzte Traum“ im Verlag ohne Ohren. Erst
einmal Herzlichen Glückwunsch zum Verlag. Wie ist das zustande gekommen?
FH: Es fing damit an, dass ich die Verlegerin Ingrid Pointecker auf der
Leipziger Buchmesse – aber frag mich nicht, wann – getroffen habe. Ich sehe sie
und denke mir „Genial!“. Danach haben wir über die sozialen Medien Kontakt
aufgebaut und schnell eine gemeinsame Wellenlänge gefunden. Ingrid ist für mich
die ideale Anlaufstelle für eine durchdachte, feministische Horrorspielart mit
leicht künstlerischem Anspruch. Wir sind uns sehr schnell einig geworden und
die Zusammenarbeit ist so harmonisch, dass es ehrlich an kitschig grenzt.
VV: Du arbeitest mit Triggerwarnungen.
Finde ich spannend. Wie ist es dazu gekommen und wie seid ihr vorgegangen?
FH: Ich muss gestehen, dass ich bis zu DER LETZTE TRAUM gar keinen besonderen
Bezug zu Triggerwarnung gehabt habe und ich stehe der Thematik auch nicht so
uneingeschränkt positiv gegenüber, wie man meinen könnte. Es ist ein Balanceakt
zwischen Eigenverantwortung der Lesenden und der Verantwortung der
Literaturschaffenden. Aber sind wir mal realistisch: Zu sagen, die Lesenden
wissen doch, worauf sie sich bei Faye Hell einlassen, wäre äußerst anmaßend und
arrogant. Selbstverständlich gibt es viele Leute, die das nicht wissen und auf
die möchte ich zugehen. Die Liste hat Ingrid erstellt und ich bin ihr dafür
sehr dankbar.
VV: Für mich ist „Der letzte Traum“ eine
knallharte Dystopie. Dystopisch fand ich einige deiner Werke immer schon, aber
so deutlich noch nicht. Wie war das, hat sich das bei dir entwickelt?
FH: Erst mal danke für das Attribut knallhart. Das soll es auch durchaus sein. Die
Welt ist hart, wie könnte es die Fiktion dann nicht sein? Wie du sagst,
schwingt das Dystopische bei mir fast immer mit. Aber ich hatte einfach den
Drang, mich da mal voll reinzustürzen. Begonnen hat das mit DAS ZEITALTER DERKRÖTE. In DER LETZTE TRAUM setze ich das fort. Auch mein nächster Roman mit dem
Arbeitstitel DESTRUKTION wird in diese Richtung gehen. Ich spreche selbst gern
von postpostmoderner Trümmerliteratur. Ich finde einfach, dass die Zeit, in der
wir leben, eines Kommentars bedarf. Jetzt bin ich aber keine gesellschaftspolitische
Kolumnistin, sondern Horrorschriftstellerin. Dementsprechend wird der Kommentar
von mir literarisch, durch einen kompromisslosen Zerrspiegel überzeichnet,
getätigt.
VV: „Der letzte Traum“ ist gewissermaßen
auch ein literarisches Roadmovie. Du hast als Vehikel ein Fahrrad gewählt.
Motorrad, klar, Einkaufswagen, auch immer gerne gesehen, aber ein Fahrrad?
Warum?
FH: Die Frage kann ich nicht beantworten, ohne Mister Hell zu erwähnen. In
meinem Roman ist der Weg ja wahrhaftig das Ziel, deshalb kann dieser
vorgeschriebene Weg von Detroit nach Carlsbad nicht zu schnell zurückgelegt
werden, weil die Protagonisten ebenso Zeit braucht wie das Erzählte. Ich dachte
ursprünglich an ein Pferd, aber Mister Hell hat mich darauf gebracht, mich für
ein Fahrrad zu entscheiden, das ja den Namen Esel trägt. Ich habe schon einige
Rückmeldungen bekommen, dass sich Esel bei den Lesenden großer Beliebtheit
erfreut. Und das freut natürlich mich. Das Beleben eines Gebrauchsgegenstandes
ist für mich auch eine Spielart des magischen Realismus.
VV: Im letzten Interview sagtest du so
schön no love no horror. Gilt das auch für deinen aktuellen Roman?
FH: Es geht immer um Liebe. Auch in DER LETZTE TRAUM ist die Liebe die
treibende Kraft hinter den Episoden und auch dem großen Ganzen. Ich muss es
außerdem spüren, um es zu schreiben und ich muss es lieben, um es die Lesenden
spüren zu lassen.
VV: Ich sehe es so, dass die Reise durch
Liebe angetreten wird, na ja, und ihre Begegnungen sind auf den ersten Blick
auch oft Liebesgeschichten mit Brüchen. Oft tragisch. Wie kamen dir die Ideen
zu den einzelnen Episoden? War erst die gesamte Idee vorhanden und dann wurden
die Figuren entwickelt oder waren erst die Biographien der Figuren da?
FH: Ja, no love no horror. Das war es. Das ist es auch hier. Tatsächlich war zuerst die Grundidee
da. Zu dieser Grundidee gibt es auch eine Kurzgeschichte. WENN MÖGLICH BITTE
WENDEN ist in den Basement Tales von THE DANDY IS DEAD erschienen. Sehr bald
hat sich in mir die Sehnsucht geregt, aus dieser Geschichte mehr zu machen. Das
Spannende ist, dass Ingrid bereits ein Exposé zu einem anderen Roman vorliegen
hatte. Doch dann war mir plötzlich klar, ich muss den Roman schreiben, der auf
dem Universum dieser Kurzgeschichte aufbaut. Aus diesem Gedanken heraus habe
ich zuerst die Protagonistin und dann Schritt für Schritt die einzelnen
Episoden entwickelt.
VV:
Dieses Mal will ich nicht so sehr deine in meinen Augen absoluten Stärke des
psychologischen Horror eingehen, auch wenn ich es hier meisterhaft inszeniert
sehe. Im Grunde genommen als Reise zu sich selbst, als Heilung. Wir sehen, wie
sehr Menschen unter ihrer Biografie leiden können. Wenn du reist, begegnest du
dir dann auch ein Stück weit selbst? Und damit deinen Themen, deinen
Romanstoffen? Ich frage deshalb, weil ich weiß, dass du gerne verreist.
FH: Herzlichen Dank, das
bedeutet mir sehr viel.
Wir leben. Und mit jedem Jahr, das wir leben dürfen, werden wir ausdefinierter.
Und niemandem fehlt hier die Schärfe der Definition, wir haben alle unser
Unglück zu (er)tragen, um unser Glück zu erkennen.
Ich liebe es zu verreisen. Und je mehr Zeit ich habe, desto mehr liebe ich es. Gib
mir Wochen! Außerdem bin ich auf meinen Reisen gerne in Bewegung. Ich bin nicht
der Mensch, der sich irgendwo drei Wochen an den Strand knallt und aufs Meer
hinausschaut. Ich bin eine Reisende, eine Entdeckende, eine Umherziehende mit
Augen, die weit geöffnet sind für die Welt und die Menschen. Das letzte Mal
habe ich über 7000 Kilometer zurückgelegt. Und auf dieser Reise bin ich einem
Menschen begegnet, der jetzt als Anuk Teil des Romans ist.
VV:
Mal ein anderes Thema. Spielt es für dich eine Rolle, dass du eine Frau bist,
die Horror schreibt?
FH: Es spielt für mich
immer eine Rolle, dass ich eine Frau bin. Ganz egal in welchem Bereich. Als
Person werde ich von vielen Leuten als „burschikos“ rezipiert, ich wage mich
weit hinein in „Männerdomänen“ und ich fühle mich dort sehr wohl. Aber ich bin
mir meiner Weiblichkeit bewusst und ich lebe diese Weiblichkeit mit jeder
Faser. Man sagt mir immer wieder, dass meine Romane einen stark weiblichen, oft
sogar feministischen Anstrich aufweisen. Ich nenne das jetzt mal meine „eigene
Stimme“ und es ist verdammt wichtig, dass wir die eigene Stimme nutzen, um mit
den fremden Worten unserer fremden Figuren zu sprechen. Und außerdem: Brutal
gesagt, denke ich, dass ich als Mann anders und vielleicht breitenwirksamer
wahrgenommen werden würde.
VV: Meinst du die Horrorszene ist eher
offen für Vielfalt oder begegnen dir dort vermehrt Vorurteile?
FH: Das zentrale Vorurteil, das mir hierzu einfällt, ist jenes Vorurteil, das
immer wieder verbreitet, dass die Horrorszene voller Vorurteile wäre. Ich bin
auf vielen, teilweise sehr horrorextremen Filmfestivals. Bei den FRIGHT NIGHTS
sitze ich auch das zweite Mal in der Jury. Ich treffe auf Filmschaffende aus
nahezu jeder Ecke unseres schönen Erdenrundes. Und was uns alle verbindet sind
zwei Dinge: die Liebe zum Horror und der Blick, der weit über den Tellerrand
hinausgeht.
Klar gibt es auch in der Horrorszene Intoleranz, so naiv kann und will ich
nicht sein, das nicht zu bemerken. Aber zeig mir eine Gruppe, in der das nicht
der Fall ist. Und ich kann getrost von mir behaupten, dass ich eine Vorreiterin
für einen diversen und offenen Horror bin.
VV: Zweifelst du manchmal an allem? Also
gerade was die Vereinbarkeit des Schreibens und Geld verdienen anbelangt?
FH: Du meinst, ob ich täglich zweifle? Denn ja, das tue ich. Ich zweifle. Ich
zweifle täglich. Und würde ich es nicht so lieben, hätte ich es vor vielen
Jahren aufgegeben. Denn diese Zweifel sind echte Biester, die mit Vorliebe tief
in der Nacht an einem nagen, und das so lange, bis man schließlich nicht nur am
Schaffen, sondern an der eigenen Person zweifelt.
Ich bin froh, dass Faye Hell nicht nur aus Horrorliteratur, sondern auch aus
Horrorfilm besteht. Ich möchte meine filmische Arbeit keinesfalls missen, denn
oft ist diese erfüllender als das Schreiben. Das muss ich leider zugeben.
Ich weiß, die Lesenden und die anderen (vor allem jungen) Schreibenden wollen
immer hören, wie ausschließlich erfüllend das Schreiben ist. Aber das ist eine
Lüge. Oft sind es Zweifel. Selbstzweifel … die einen auch antreiben. Aber
meistens ist es das Schönste, was man machen kann.
VV: Faye, für mich entwickelst du den deutschsprachigen
Horror enorm weiter. Weil du krass bist mit dem, was du schreibst und vor allem
auch einzigartig. Ohne, dass es künstlich wirkt. Birgt das auch manchmal die
Gefahr eines … ich sag mal Ausbrennens oder Leer-Seins? Brauchts du einen
Ausgleich, um Ideen zu bekommen?
FH: Ich danke dir von ganzem Herzen.
Und ja, ich brauche den Ausgleich. Es mag bizarr sein, dass mein Ausgleich
ebenfalls im Genre Horror verankert ist, aber so ist es halt mal. Die
Horrorfilme und meine journalistische Arbeit ergänzen das Schreiben perfekt.
Ich möchte beides nicht missen und ich weiß, dass das eine ohne das andere
ausbrennen würde. Ich lebe, ich atme, ich bin Horror. Und glaube mir, ich habe
bereits versucht, es nicht zu sein. Das war ein verdammt unglückliches halbes
Jahr.
VV:
Wo wir schon bei Ideen sind … was kommt als nächstes? Woran arbeitest du
gerade?
FH: Aktuell arbeite ich
an DESTRUKTION. Ein Roman, der ebenfalls eine Dystopie ist, aber vor allem auch
ein Rundumschlag. Eine (ich nenne es mal) Abrechnung mit literarischer
Breitenwirksamkeit. Danach möchte ich die postpostmoderne Trümmerliteratur aber
mal ruhen lassen und mich wieder deutlicher dem Grundgenre Horror zuwenden. Ich
habe da schon eine Idee. Einen Gedanken, der verdammt gut schmeckt. Mehr kann
ich dazu aber noch nicht sagen.
VV: Faye, ich danke dir von Herzen für
das Interview und wünsche dir viel Erfolg für die Endrunde. Und ich wünsche mir
auch, noch viel mehr von Dir lesen zu können. Rock on!
Ich danke dir für das Gespräch und das Getränk.
Es war mir (wie immer) eine große Freude und eine noch größere Ehre.
Und danke, dass ihr diesen wundervollen Preis am Leben erhaltet. Das ist ein unentbehrlicher
Dienst an der Szene, die mein Leben ist.
Bullets (Wie aus der Pistole geschossen
…)
VV: Eine Romanfigur, die du gerne treffen möchtest?
FH: Randall Flagg aus THE STAND.
VV: Kettensäge oder Flammenwerfer?
FH: Natürlich Kettensäge.
VV: Wenn du Herbst gerne magst: Sturm oder Nebel?
FH: Ja, ich liebe den Herbst. Nebel!
VV: Auf welches Getränk
kannst du nicht verzichten?
FH: Wasser.
VV: Bester Horrorfilm?
FH: MARTYRS
VV: Grusligstes Tier?
FH: Seeleopard
VV: Du landest in einem Horrorfilmsetting. Welches würdest du wählen?
FH: A QUIET PLACE
VV: Warum?
FH: Weil ich verdammt gut die Klappe halten kann.
VV: Welche Band willst du mal auf einem Konzert erleben?
FH: Immer wieder IRON F*CKING MAIDEN.
VV: Drei Städte, die unbedingt bereisen willst?
FH: Detroit, Anchorage, Johannesburg
VV: Eine Fremdsprache, die du gerne sprechen könntest?
FH: Japanisch
Guten Tag, das Interview war sehr interessant;)
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