Interview mit Torsten Scheib


Vincent-Preis: Lieber Torsten, nachdem deine Kurzgeschichte GUTE ANSÄTZE für dem Vincent Preis 2008 nominiert war, ist dieses Jahr GÖTTERDÄMMERUNG aus ZWIELICHT 1 nominiert. Herzlichen Glückwunsch dazu.
Viele Horror-Fans kennen deine Geschichten, doch wer ist der Mensch Torsten Scheib? Würdest du dich bitte kurz selbst vorstellen.

Torsten Scheib: Bevor ich loslege, möchte ich mich an dieser Stelle von ganzem Herzen bedanken. Zum einen bei den Machern des Vincent, die einem leider hierzulande noch immer sehr stiefmütterlich behandeltem Genre eine Plattform ermöglicht und dazu Unmengen an Zeit und oftmals sicherlich auch frustrierender Arbeit investiert hat. Ich verneige mein Haupt vor euch! Zum anderen ein aufrichtiges Dankeschön an all jene, welche meine KG gelesen, bewertet und/oder nominiert haben. Ich war ziemlich Baff, als ich meinen Namen unter den letzten Fünf wiederfand! Eine bessere Motivation kann es gar nicht geben. Ferner ist die Nominierung für mich zudem eine Bestätigung, dass ich mit meiner Art zu schreiben offenbar „angekommen bin.“ Und das freut mich mindestens genau so wie die Nominierung. Ich hoffe, den/die LeserIn weiterhin auf diesem Niveau unterhalten zu können und verspreche, stets das Maximum aus mir herauszukitzeln.

Nun aber ein wenig zu meiner Person: Ich bin Baujahr 1976 und erblickte das Licht der Welt in Ludwigshafen am Rhein, nur einen Steinwurf von Altbundeskanzler Kohls Domizil entfernt. Jetzt werden unter Garantie nicht wenige denken, dass solch eine Kombination förmlich den „Horrorinstinkt“ in einem menschlichen Wesen wecken kann – stimmt aber nicht. Ausschlaggebend waren andere Faktoren wie etwa die Konfrontation martialischer Heavy Metal-Albencover als kleiner Knirps, die Originalfassung von „Invasion vom Mars“, heimlich „Planet der Affen“ und „Poltergeist“ im Nachprogramm schauen, Superhelden- und vor allem Gespenstercomics, John Sinclair und Larry Brent und nicht zuletzt Stephen King, den ich bis heute bewundere. Womöglich war es auch ein Fehler meiner Mutter, ´76 und hochschwanger in ein Kino zu marschieren und sich den „Weißen Hai“ anzuschauen. Womöglich bin ich ja schon im Mutterleib mit dem Horrorvirus infiziert worden; wer weiß?
Knapp achtzehn Jahre später dann eine Mittlere Reife (es hätte vielleicht auch zum Abitur gereicht, wenn ich nicht so viel King im Unterricht gelesen hätte …) und schließlich kaufmännische Ausbildung gefolgt vom Einmarsch ins Berufsleben. Gegenwärtig verdiene ich mir meine Brötchen als Baustoffhändler; präzise heißt das, dass man bei mir den Unterschied zwischen einer sand- und kugelgestrahlten Oberfläche erfahren kann und wozu Quellmörtel gut ist. Was meine schriftstellerische „Karriere“ betrifft, so kam die Initialzündung irgendwann in den 90ern. Damals gab es einen ziemlich beschissenen Zeitabschnitt in meinem Leben, der mich letztlich – und dankbarerweise – in die tröstenden Arme eines guten Buches getrieben hat. Seitdem brauche ich Bücher wie ein Mensch die Luft zum Atmen (okay, die brauche ich auch). Der unvermeidliche Schritt, irgendwann mal selbst etwas zu schreiben, erfolgte Ende 2002 und war erstaunlicherweise eine Fantasystory; ein Genre, welches mir eigentlich kaum liegt. Tja, und seitdem schreibe ich – mal mehr, mal weniger erfolgreich.

VP: Welche Vorbilder oder Eindrücke nehmen bewusst Einfluss auf deine Geschichten?

TS: Jeder Genreautor, der behauptet NICHT von Stephen King auf die eine oder andere Art und Weise beeinflusst worden zu sein, sagt nicht die Wahrheit. Also lüge ich jetzt und frage: Stephen wer? Ist natürlich völliger Quatsch. Auch wenn mir seine eher schwache Phase in den 90ern alles andere als behagt hat, vergöttere ich diesen Mann. Er kann unterhalten, dem Leser eine Scheißangst einjagen und lässt sich auch nach 12 Milliarden verkaufter Bücher und 3298 Filmadaptionen nicht verbiegen. Weitere Autoren, die ich sehr schätze sind unter anderem Clive Barker (besonders seine frühen Werke), Richard Laymon, Brian Keene, Robert R. McCammon, James Herbert, Dean Koontz, F. Paul Wilson und noch viele andere. Ferner lese ich regelmäßig die unterschiedlichsten Magazine und Zeitungen; das Spektrum geht von „P.M“ hin zur „Bild“, dem „Metal-Hammer“ und „National Geographic“ und kommt bei „SFX“ (einem kongenialen Phantastikmagazin aus Großbritannien) zum Erliegen. Daneben sauge ich aber auch die unterschiedlichsten Eindrücke auf. Das kann eine weggeworfene Coladose am Straßenrand ebenso sein wie ein nervöser Schlipsträger, der auf die nächste Straßenbahn wartet. Außerdem liebe ich es, wenn mir andere Menschen etwas aus deren Leben erzählen!

VP: Kannst du uns kurz beschreiben, worum es in der Geschichte GÖTTERDÄMMERUNG geht?

TS: Das „McGuffin“ ist Ragnarök, also die nordische Sage vom Weltuntergang. Kein besonders schöner Zeitpunkt für meine Protagonistin, die allein erziehende Maria, erfahren zu müssen, dass ihr krimineller und mit reichlich psychopathischen Tendenzen gesegneter Ex unlängst aus dem Knast entlassen worden ist und gleich mal seinen Sohn entführt hat. Und trotz aller besorgniserregenden Veränderungen rings um sie herum beschließt Maria, die Verfolgung aufzunehmen …

VP: Wie kamst du auf die Idee, diese menschliche Tragödie vor dem Hintergrund eines Götterkrieges zu erzählen?

TS: Ich wollte ein starkes, unbändiges Element als Gegenpart zur herandämmernden Katastrophe. Da erschien mir Maria, eine mehr als einmal vom Leben betrogene, aber dennoch starke Frau und inständig ihr Kind liebende Mutter perfekt. Während des Schreibvorgangs bemerkte ich zudem, wie Ragnarök immer weiter in den Hintergrund trat und durch die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind kontinuierlich ersetzt wurde. Und das gefiel mir. Ein starkes, menschliches Element, mit dem ich mich – und hoffentlich auch die meisten anderen – gut identifizieren konnte. Letztlich fieberte ich sogar beim Schreiben mit, was die Schicksale von Maria und ihrem Sohn Malte betraf. Gute Sache, wie ich finde.

VP: Wie Stephen King entwickelst du das Phantastische aus Alltagssituationen heraus (zumindest bei den Geschichten, die ich kenne). Ist es deine Überzeugung, dass der Horror im Alltag umso überraschender und schrecklicher wirkt als in einer ungewöhnlichen Situation?

TS: Und schon wieder Stephen King! *Grins* Aber um die Frage zu beantworten: Ich denke sogar, dass der Horror oftmals das Resultat des Alltäglichen ist; der ungenießbare Kern unter der ansehnlichen Schale! Was ist denn mit dem pädophilien Geistlichen oder dem Vater, der seine eigene Tochter jahrzehntelang in den Keller sperrt? Im Grunde braucht man eigentlich keine übernatürlichen Monster mehr. Blicke in die Gesichter von Typen wie Ted Kaczynski, Jeffrey Dahmer oder meinetwegen auch Adolf Hitler und du wirst sehen, dass die Gräuel aus den dunklen Schluchten der Imagination längst starke Konkurrenz aus dem wahren Leben bekommen haben. Es gibt einen wunderbaren Ausspruch von Clive Barker, mit dem im Grunde alles gesagt wäre: „Horror ist dass, womit wir uns nicht abgefunden haben.“ Und zumindest bei mir ist das nicht gerade wenig – und findet auch regelmäßig Verwendung beim Schreiben. Und vielleicht fühlt sich ja der eine oder andere dadurch auch mehr oder weniger angesprochen. Hab ich das erreicht, bin ich zufrieden.

VP: Der Vinecnt-Preis wird 2010 zum dritten Mal verliehen. Kennst du einiger der nominierten Werke und KollegInnen?

TS: Spontan fallen mir Andreas Gruber, Sebastian Fitzek und Stefan Melneczuk ein. Großartige Autoren und Erzähler, die es l-o-c-k-e-r mit der internationalen Konkurrenz aufnehmen können – was, im Übrigen, auch die deutschsprachige Horrorszene von sich behaupten kann. Um jetzt mal aus der Sicht eines Fans und Lesers zu sprechen: In den vergangenen 12 Monaten ist mir kein schlechter deutschsprachiger Horrorroman beziehungsweise keine schlechte deutschsprachige Anthologie in die Finger gekommen; im Grunde sogar nicht mal Mittelmaß. Die hiesige Horrorszene mag klein und überschaubar sein, aber was hier regelmäßig produziert wird, haut mich stets von neuem aus den Latschen!

VP: Demnächst erscheint deine Anthologie CASUS BELLI. Was dürfen die LererInnen dort erwarten?

TS: Zunächst einmal ein Geständnis: Die Idee stammt im Grunde nicht von mir. Es gibt eine US-Anthologie namens „A Dark and Deadly Valley“ die ausnahmslos Horrorstorys in sich vereinigt, welche zur Zeit der großen Weltkriege spielen. Ich fand das Konzept genial und ärgerte mich, dass es so etwas nicht in Deutsch gibt – zumal es sicherlich sehr interessant und spannend wäre, wenn sich deutsche Autoren mit der, im Grunde eigenen, Vergangenheit auseinandersetzen würden. Walter Diociaiuti war der gleichen Meinung und gab mir schließlich grünes Licht in Sachen Veröffentlichung bei Eloy Edictions. Und neben zwei renommierten Autoren aus den USA und England konnte ich praktisch alle Schriftsteller gewinnen, die mir persönlich sehr am Herzen lagen. Und keiner enttäuschte. Vielmehr werden in CASUS BELLI ausnahmslos großartige Beiträge vertreten sein, die nahezu jedes Spektrum abdecken: Von absolutem Grauen hin zu bitterböser Satire und zu Herzen gehendem Drama. Abgerundet wird das Buch von einem kongenialen Cover für das sich Björn Ian Craig verantwortlich zeichnet. Ich bin sehr stolz, eine ebenso illustre wie talentierte Riege gewonnen zu haben – und das sage ich nicht, weil ich der Herausgeber bin, sondern vielmehr als Fan und Leser. Ferner prophezeie ich: Die eine oder andere Story aus CASUS BELLI wird mit Sicherheit beim nächsten Vincent Preis auftauchen …

VP: Außer Horror schreibst du auch Science-Fiction, Krimis und Alltagsgeschichten. Gibt es ein Genre, das dir besonders liegt?

TS: Neben dem Horror schreibe ich seit kurzem wahnsinnig gerne Krimis im Stile der alten Hardboiled-Romane; soll heißen: Böse Buben als Helden, Tempo, Geradlinigkeit, vorschnell gezückte Handfeuerwaffen und jede Menge böse Worte. In Kürze darf man übrigens ein solches Elaborat aus meiner Feder in einer Krimi-Anthologie „bewundern“ und für den Titelhelden – einen namenlosen Killer – habe ich mir für die Zukunft auch schon was Hübsches ausgedacht.

VP: Würde es dich reizen, einem Roman zu schreiben?

TS: Definitiv. Und eines schönen Tages werde ich ihn auch schreiben (ich recke übrigens gerade die geballte Faust in die Luft). Vielleicht wird es ein Horrorroman sein, vielleicht aber auch ein weiterer Auftritt von Mister X, dem Killer … man wird sehen. Ideen und grobe Konzepte sind jedenfalls vorhanden. Jetzt muss ich sie halt nur noch in die Tat umsetzen. Aber gleich nach „Weltbeherrschung“ und „Frontmann einer Metal-Band“ kommt das Verfassen eines Romans an dritter Stelle.

VP: Herzlichen Dank für das Interview und alles Gute für den Vincent 2009.

TS: Ich habe zu danken!

GÖTTERDÄMMERUNG ist übrigens hier zu lesen.
Torsten Scheibs Homepage findet sich hier.

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