Interview mit Jörg Kleudgen

Vincent-Preis: Lieber Jörg. Zunächst herzlichen Glückwunsch zur Nominierung zum Vincent-Preis 2009, nicht nur für die Anthologie NECROLOGIO sondern irgendwie auch für deren Cover, auf dem du selbst – nach freierscher Bearbeitung - abgebildet bist.
Jörg Kleudgen: Vielen Dank! Ich hoffe, wir haben Chancen, damit einen Platz zu machen.
VP: Viele werden dich als Autor kennen, doch du bist in vielen Disziplinen unterwegs. Würdest du dich und deine Aktivitäten bitte für unsere Leser selbst beschreiben?
JK: Gerne. Ich habe mich für die Phantastik anfangs als Rollenspieler interessiert, wobei schon recht bald aus eigenen Rollenspielabenteuern, die so eine Art „Einwegartikel“ sind, kurze Geschichten wurden. Diese habe ich selber illustriert, meist mit Bleistift- oder Tuschezeichnungen. Mitte der Achtziger Jahre habe ich mich für die Herausgabe von Rollenspielmagazinen interessiert, und als ich die Musik als Betätigungsfeld entdeckte, lag es nahe, stattdessen ein Musikmagazin ins Leben zu rufen. Beinah gleichzeitig wurden das GOTHIC Musikmagazin und die Band THE HOUSE OF USHER ins Leben gerufen (1990/91). Ich habe mich nie auf eine bestimmte Disziplin festgelegt, sondern mich immer für alle künstlerischen Aspekte interessiert. Die CDs meiner Band enthalten daher fast immer eine Kurzgeschichte, die einen Handlungsrahmen zeichnet, und die ersten Alben habe ich auch noch ganz alleine gestaltet.
VP: Die Anthologie NECROLOGIO ist nur ein Teil der Jubiläumsveröffentlichungen zum 20jährigen Bestehen deiner Band THE HOUSE OF USHER. Wie ist es, auf eine so lange Zeit schöpferischer Tätigkeit zurück zu blicken?
JK: Ist es eine lange Zeit? Mir erscheint sie umso kürzer, als vieles, was in dieser Zeit entstanden ist, allmählich verlorenzugehen droht. Besonders die Texte, die in der Goblin-Press erschienen. Ich hatte das große Glück, dass 2005 dank Markus K. Korbs Hilfe und Jörg Kägelmanns verlegerischem Wagemut eine Neuauflage von „Cosmogenesis“ auf den Markt kam, sonst wäre diese schöne Sammlung von Erzählungen ja schon längst vergessen.
‚Schöpferische Tätigkeit’ klingt schön. Eigentlich habe ich immer nur das getan, was mir ein inneres Bedürfnis war. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ich damit jemals aufhören kann. Diese Arbeit ist zu einem großen Teil mein Leben, und ich denke, sie macht einen unverzichtbaren Teil meines Charakters aus.
VP: Ist die Goblin-Press wirklich Geschichte?
JK: Vom jetzigen Standpunkt aus sicherlich ja. Die Zeiten, in denen ich tagelang im Copyshop gestanden habe, sind für mich vorüber, so aufregend sie damals auch waren. Das macht ja heute teilweise den Reiz dieser alten Goblin-Press-Veröffentlichungen aus. Sie sind alles andere als handwerklich perfekt gemacht. Die „Druckvorlagen“ wurden noch mit Papier, Kleber und Schere am Schreibtisch hergestellt, im Copyshop vervielfältigt und dann in einer Buchbinderei in Mainz gebunden. Allerdings gab es in der Gestaltung eine gewisse Kontinuität, und auch hier machte sich die „Manufaktur“ bemerkbar. Diese Bücher waren halt individueller als gedruckte Massenware.
Ab und zu reizt mich der Gedanke ja schon, wieder verlegerisch tätig zu werden. Aber dann denke ich wieder, dass andere das besser können als ich. Mir fehlt jedwedes kaufmännische Interesse. Es reicht aber nicht, hübsch gestaltete Bücher mit tollen Geschichten zusammenzustellen, sondern sie wollen auch verkauft sein.
VP: Wie hast du die Geschichten bzw. deine Co-Autoren für NECROLOGIO ausgesucht?
JK: Ich würde gar nicht sagen, dass ich die Autoren ausgesucht habe. Im Laufe der Jahre kamen sie auf mich zu. Heiko Haas hat mich nach einem Konzert in Hamburg angesprochen und mir einige Kurzgeschichtenfragmente zugeschickt, von denen eines dann zu „Kein Gott auf Erden“ wurde. Dominic Flenner war mir für drei Monate als Schüler zugeteilt. Während unserer Dienstfahrten haben wir gemeinsam die Geschichte um „Die rote Maske des Todes“ entwickelt. Andere Autoren kannte ich zum Teil schon viele Jahre, und manche Beiträge haben lange gebraucht, um fertig zu werden. Umso erstaunlicher ist es, dass sich ein roter Faden durch die Anthologie zieht, der den Eindruck erweckt, all das sei so geplant gewesen. Allerdings muss ich zugeben, dass ich zur Steuerung einzelnen Autoren bereits vorhandene Texte geschickt habe, so dass sie wussten, in welchem Rahmen sie sich bewegen würden.
VP: Mit „Kein Gott auf Erden“ und „Transmutation II“ sind zwei neue Cathay-Geschichten in NECROLOGIO enthalten. Besteht Hoffnung auf COSMOGENESIS 2?
JK: Oh, darüber habe ich noch nie nachgedacht. „Cosmogenesis“ war an sich eine abgeschlossene Sache, aber es hat mir immer Spaß gemacht, Geschichten in Cathay anzusiedeln. Derzeit arbeite ich zusammen mit Arnold Reisner wieder an einem längeren Text, der als Fortsetzungsroman unter dem Titel „Drei Kapellen“ im zweimonatlich erscheinenden THE HOUSE OF USHER-Newsletter veröffentlicht wird. Ob es wohl ein zweites „Cosmogenesis“ bräuchte? Die Geschichten darin sind ja alle unter ganz bestimmten Umständen entstanden, die ich nicht willentlich wieder herbeiführen könnte. Vielleicht wird irgendwann eine Zeit für ein „Cosmogenesis 2“ kommen. Aber ich denke eher, es werden viele ganz andere Dinge folgen.
VP: Nach dem Ende von WOLFGANG HOHLBEINS SCHATTENCHRONIK, die du mit verfasst hast, geht es bei BLITZ mit der SCHATTENCHRONIK weiter, einer Art Spin-Off von WOLFGANG HOHLBEINS SCHATTENCHRONIK. Du schreibst Band 2 HARDROCK-VAMPIRE. Was erwartet die LeserInnen dort?
JK: Karo van Thu hatte in Band 1 („Das Erwachen“) einen messerscharfen Schnitt unter die bisherige SCHATTENCHRONIK gezogen und mit Mick Bondye einen auch charakterlich veränderten Helden dargestellt. Unter den gegebenen Umständen war es vernünftig, einen tiefgreifenden Neubeginn zu wagen. Das „SCHATTENCHRONIK 2013 A.D.“-Konzept hatte ich schon vor einiger Zeit bei einem Treffen zusammen mit Jörg Kägelmann entworfen. Die Umsetzung in „Das Erwachen“ nutzte viele Möglichkeiten nicht ganz so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Deshalb reizte es mich, einen weiteren Band zu schreiben, so dass ich nicht widerstehen konnte, als Jörg mich fragte, ob ich dafür zur Verfügung stünde.
„Hardrock-Vampire“ bringt wieder etwas mehr Hintergrund, mehr Atmosphäre, mehr schaurig-schöne Bilder, dafür mussten allerdings andere Dinge zurücktreten, die „Das Erwachen“ stärker betont hatte. Im Grunde genommen schlägt „Hardrock-Vampire“ stilistisch und auch inhaltlich die Brücke zwischen alter und der neuer SCHATTENCHRONIK.
VP: Kannst du uns etwas zu deinen zukünftigen Projekten verraten? Noch kann man Vorankündigungen zu „Drei Kapellen“ - mit Co-Autor Arnold Reisner - und „Batcave“ - in Zusammenarbeit mit dem leider verstorbenen Michael Knoke - lesen.
JK: Nun, es gibt vor allem auch noch unveröffentlichte Texte, die ich aber zum Teil erst noch überarbeiten müsste. Einen sehr schönen, an Lovecraft angelehnten Kurzroman mit maritimem Hintergrund namens „Stella Maris“ etwa, oder ein phantastischer Roman, der in der Eifel spielt, und den ich ebenfalls zusammen mit Michael Knoke geschrieben habe („Homunculus“). Das von Dir erwähnte „Batcave“ haben wir leider vor Michaels unerwartetem Tod nicht fertig stellen können, und ich bringe es im Moment nicht übers Herz daran zu arbeiten, ebenso wenig wie ich es noch vor mir herschiebe, mich mit den zahlreichen Texten zu befassen, die Michael hinterlassen hat, und deren Verwaltung nach dem Wunsch seiner Schwester in meinen Händen liegt.
Neben den „Drei Kapellen“, an denen ich mit Arnold Reisner bestimmt schon seit zehn Jahren arbeite, und die ab August nach und nach im NEKROLOG erscheinen werden, habe ich noch zwei – drei andere Projekte, die ich aber je nach der mir zur Verfügung stehenden Zeit bearbeite. Denn im Augenblick steht die Produktion eines neuen Albums für THE HOUSE OF USHER an und im Vordergrund.
VP: Du produzierst auch – in kleinem Rahmen – Hörbücher, bisher HALLIGSPUK und ARCHIVE ONE (enthält Erzählungen aus COSMOGENESIS). Sind in Zukunft hier weitere Veröffentlichungen zu erwarten? Die Goblin-Press sollte doch genug Material bieten.
JK: Ich habe eigentlich schon in den Achtzigern das HörSPIEL für mich entdeckt, aber nie als Sprecher, sondern mehr als Autor und Produzent. Anfangs habe ich mit dem Kölner Autor Alexander Bach zusammengearbeitet, der mit einfachen Mitteln recht beachtliche Hörspiele geschaffen hat. Mit Christian von Aster entstand dann später eine Vertonung seines „Letzten Vampyr von Kradov“ und mit Hilfe von Boris Koch ein Hörspiel mit dem Titel „Die Hoelle“ zu unserem Album „Inferno/l’enfer“. HörBÜCHER an sich reizen mich aber eher weniger, wenn sie nicht mit Geräuschen und Musik untermalt sind.
VP: Herzlichen Dank für das Interview und viel Glück beim Vincent 2009.

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