Interview mit Thomas Finn

 

Stell dir einen schlichten, schwarzen Raum vor, zwei sich gegenüberstehende blutrote Kanapees, einen schlichten, weiß lackierten Tisch, eine weiße Vase mit einer schwarzen Dahlie. Im Hintergrund hören wir Mark Lanegan – Field songs




 

VV: Moin Tom, schön, dass du heute hier bist. Nimm bitte Platz. Was magst du trinken?

TF: Grünen Tee. Ich stehe einfach auf grünen Tee.

 VV: Mit „Whispering Fields – Blutige Ernte“ hältst du als Autor eines Publikumsverlag weiterhin die Fahne des Horrors hoch. Er wird sogar auf dem Umschlag mit Horror-Thriller beworben. Wahnsinn! Wie hast du das geschafft?

TF: Mal ab davon, dass ich Horror grundsätzlich als Teil der Phantastik betrachte, war ich als einstiger John Sinclair-Leser schon immer ein Horrorfreund. Dabei habe ich es jedoch tatsächlich geschafft, Meister des Genres wie Stephen King komplett auszulassen. Geprägt wurde ich vielmehr durch H.P. Lovecrafts Cthulhu-Mythos und nicht zuletzt durch das gleichnamige Horror-Rollenspiel, für das ich einige Abenteuer beigesteuert habe. Als ich 2010 mit „Weißer Schrecken“ erstmals Piper einen Horrorstoff anbot – der Roman kam ja erst letztes Jahr beim Buchheim Verlag in einer Luxusausgabe mit vielen Extras neu heraus –, hatte ich zwar die Hoffnung, dass die Story gut ankommt. Sicher waren wir uns da aber nicht. Horror galt damals eher als No Go. Zu meiner großen Freude kam die Story aber sogar außerordentlich gut an. Und so folgten dann zunächst bei Piper und dann vor allem bei Knaur fünf weitere Horror-Romane. „Whispering Fields“ ist der derzeit Aktuellste.

VV: Ich habe ja auf einer gemeinsamen Lesung noch vor Veröffentlichung dem Beginn lauschen dürfen. Hammer! Das war wirklich stimmungsvoll gruselig! Worum geht es denn in „Whispering Fields“?

TF: Kurz gesagt um Kornfeld-Horror. Kornkreise, Korndämonen, sengende Hitze und natürlich … einige Tote und Vermisste. 

 


VV: Wieder greifst du eine alte heimische Sage auf. Erzähl mal, wie bist du darauf gekommen?

TF: Durch die Idee für eine private Pen& Paper-Horror-Rollenspielrunde. Der Auslöser war ein ganz bestimmtes Horrorwesen im Umfeld von Getreidefeldern, was mir endlich die Gelegenheit bot, eine Horrorstory im Sommer anzusiedeln. Du weißt ja selbst, dass es gute Gründe hat, warum die meisten Horrorstoffe jahreszeitlich eher in Herbst und Winter spielen. Da ist es hübsch dunkel und das Wetter ist schlecht, was der allgemeinen Stimmung stets zuträglich ist. Mein Ursprungsidee spielte jedoch in Kansas – bekannt für seine weiten Getreidefelder.

Wie bei vielen meiner Geschichten packte mich dann jedoch der Ehrgeiz zu ergründen, ob es nicht möglich wäre, die Geschichte in Deutschland anzusiedeln. Und das war ein Volltreffer. Denn die mythische Figur, die im Mittelpunkt der Handlung steht, stammt aus dem slawischen Sagenkreis. Und als Kornkammer Deutschlands gilt die Lausitz. Und da war ich plötzlich bei den slawisch stämmigen Sorben, also einer von vier in Deutschland anerkannten nationalen Minderheiten … und damit auch bei der bekannten Sage um den zaubernden Müllerjungen Krabat, die ebenfalls sorbischen Ursprungs ist. Kurz: Da rastete thematisch plötzlich ein Zahnrad nach dem anderen ein, und die inzwischen völlig neu aufgebaute Story wollte einfach geschrieben werden.

VV: Auch für mich das erste Mal in einem Roman gelesen: Sorben, eine slawisch sprechende Ethnie, die in der Niederlausitz lebt. Warst du vor Ort und hast recherchiert?

TF: Nein, ich habe ich es zum Zeitpunkt des Schreibens leider nicht in die Lausitz geschafft. Aber da einer meiner Protagonisten Sorbe ist, habe ich mir zum Zwecke der Recherche zunächst sehr viel über die Sorben und ihre spannende Historie angelesen. Außerdem habe ich Freunde in Cottbus, die ich ausgequetscht habe. Und zum Glück einen weitverzweigten Freundeskreis, der mir dann sogar den Kontakt zu einem sorbischen Übersetzer herstellen konnte.

VV: Deine Protagonisten sind unter anderem Jugendliche, wie damals in „Weißer Schrecken“. War das sonderbar?

TF: Nein, ganz im Gegenteil. Schon deswegen, weil Jugendliche ganz andere, sagen wir mal, unbedarftere Wege beschreiten als Erwachsene. Außerdem können sich Jugendliche nicht wehren wie Erwachsene. Da ist die Begegnung mit dem Horror viel unmittelbarer. Der wichtigste Punkt war hier jedoch ein Handlungstechnischer, denn in „Whispering Fields” geht es um Kornfeldhorror. Und dazu gehörte unbedingt mindestens eine Szene, in der sich die Protagonisten in einem Kornfeld verirren. Nur ist ein Kornfeld kein hohes Maisfeld, es bedurfte also einiger Figuren mit reduzierter Körpergröße ...

VV: Ich frage deshalb nach, weil, zumindest bei mir, Coming-of-Age- Stoffe ja auch immer ein eigenes „Nachhausekommen“ kommen ist. Mit dem Rad und Freunden durch hochstehende Getreidefelder fahren … kommt mir bekannt vor und macht Wehmut. Ist das ähnlich bei dir?  

TF: Ja, unbedingt. Ich selbst musste beim Schreiben ständig an die Stimmung von ‚Stand by me‘ denken.

 VV: Bist du eigentlich eher auf dem Land oder in der Stadt groß geworden? Wie hat dich das geprägt?

 

TF: Als Kind tatsächlich in einem Dorf mit hohen Maisfeldern direkt vor dem Haus. Ich weiß also durch eigenes Erleben, wie es ist, sich in einem solchen Feld zu verirren.

 

VV: Ebenfalls 2022 ist ja einer der m.A.n. unterschätztesten deutschsprachigen Horrorromane aus deiner Feder – „Weißer Schrecken“ – in einer limitierten Prachtausgabe im Buchheim-Verlag erschienen. Wie ist es dazu gekommen? Magst du darüber erzählen?



 TF: Klar. Denn wenn „Whispering Fields“ echter Sommer-Horror ist, ist „Weißer Schrecken“ mein ausdrücklicher Winter-Horror. In ihm geht es um fünf problembeladene Teenager aus Berchtesgaden, die sich zur Weihnachtszeit einem eisigen Grauen um Krampus, Knecht Ruprecht und der Wilden Jagd stellen müssen. Wie ich oben schon erwähnte, erschien der Roman ursprünglich 2010 im Taschenbuch. Zehn Jahre später waren jedoch die Rechte bei Piper ausgelaufen. Und da es immer unschön ist, wenn ein Roman nur noch antiquarisch erhältlich ist, wandte ich mich zunächst an Inge Festa vom Festa Verlag, ob sie und ihr Mann Frank evtl. Interesse an einem Reprint hätten. Von Inge wusste ich nämlich, dass sie ein großer Fan des Romans ist. Frank Festa fiel jedoch etwas weitaus Besseres ein und stellte mich dann Olaf Buchheim vor, dessen Verlag bekannt für seine unfassbar schönen Hardcover-Vorzugsausgaben ist. 

VV: In dem Buch finden sich zahlreiche Zeitzeugnisse, Poesiealben, Briefe aus der Vergangenheit, usw.. Außerdem liegt dem Buchschuber ein Rollenspielsetting des Romans mit ausgearbeiteten Charakteren, nämlich deinen Figuren aus dem Roman vor. Wahnsinn! Wie ist es denn dazu gekommen? Wie weit warst du an den ganzen liebevollen Beilagen beteiligt? Hattest du die Ideen dazu?

 TF: Ja, die Idee all der Extras stammt von mir. Aber als wir erstmals darüber sprachen, wie wir dieses Werk zu etwas ganz Besonderem machen könnten, hat Olaf Buchheim sie sofort aufgegriffen. Neben einem Dutzend Illustrationen, einem Daumenkino und manch anderen Extras enthält das Buch jetzt praktisch alle Funde der fünf Protagonisten als liebevoll gestaltete Beileger. Das steigert die Immersion beim Lesen natürlich immens. Der eigentliche Clou ist jedoch das 24seitiges Supplement, das die Story von „Weißer Schrecken“ als am Spieltisch erlebbares Horror-Rollenspiel-Abenteuer aufbereitet. Und da kannst du jeden einzelnen der Beileger auch als Spieler-Handout verwenden. Und ja, natürlich musste ich – wo es notwendig war – alle diese Texte neu verfassen und unserem Illustrator Per Dittmann bereitstellen, der sie dann grandios als Beileger umgesetzt hat. Mein persönlicher Liebling ist ein Schulheft aus den Siebzigern mit Pril-Blumen auf dem Rückumschlag. Was die Erstellung angeht: Blöderweise macht es einen Unterschied, ob eine Figur im Roman ein Buch vorlegt und berichtet, welche Erkenntnisse er daraus gewonnen hat, oder ob du dem Leser die entsprechenden Seiten tatsächlich zur Verfügung stellst. Das alles musste, neben dem Rollenspiel-Supplement, alles komplett neu verfasst werden. Und dafür war natürlich ich verantwortlich.

VV: Es blitzte ja schon bei deiner Antwort zu „Whispering Fields“ durch: Du bist noch immer begeisterter Rollenspieler. Welche Systeme spielst du? Und basierte „Weißer Schrecken“ ursprünglich auch auf einem Spielentwurf?

TF: Ja, ich bin nicht nur begeisterter Romanautor, sondern auch begeisterter Fantasy-Rollenspieler. Ich habe mir meine schreiberischen Meriten ja ursprünglich für Spielsysteme wie ‚Das Schwarze Auge‘ oder ‚H.P. Lovecrafts Cthulhu‘ verdient. Auch wenn ich heute vorwiegend phantastische Romane schreibe, ist meine Begeisterung fürs Pen&Paper-Rollenspiel – und auch Live-Rollenspiel - ungebrochen. Beim Pen&Paper spielen wir praktisches alles Querbeet. Neben vielen bekannten Systemen auch regeltechnischen Eigenbauten in Welten wie Supernatural oder Harry Potter. Auf diese Weise sind übrigens nicht nur die Blaupausen zu „Weißer Schrecken“ und „Whispering Fields“ entstanden, sondern auch die Grundlage zu „Dark Wood“. Kurz gesagt: Rollenspielrunden eigenen sich ganz hervorragend als erstes Testfeld für manche Romanstoffe.

VV: Ein paar Fragen zum Schreiben … wie und wo schreibst du genau?

TF: Ganz klassisch am Rechner in meinem Arbeitszimmer. Mich so Bohème-mäßig mit nem Laptop in ein Café zu setzen, ist nichts meins. Schreiben ist harte Arbeit. Da kann ich Ablenkung nicht gebrauchen.

VV: Und die Ideen? Klassikerfrage, ich weiß, aber dennoch immer wieder spannend. Wie ist es bei dir?

 TF: Klassikerantwort: Kann ich gar nicht so genau sagen. Ich scanne eigentlich alles nach potentiellen interessanten Stoffen ab. Ob beim Lesen, beim Fernsehen oder bei einer Unterhaltung. Für gewöhnlich springt sofort mein Alarm an, wenn ich auf irgendetwas aufmerksam werde, von dem ich mir denke: ‚Cool! Dazu müsste man doch eigentlich etwas schreiben.‘

 VV: Glaubst du, es gibt noch etwas Übersinnliches? Heute? Hier auf dieser Welt? Ist dir vielleicht sogar mal etwas passiert, das du dir nicht erklären kannst? Eine echte spooky Geschichte?

TF: Hm. Schwierig. Ich bin ja nicht ohne Grund Atheist. Andererseits muss ich bis heute an einen Unfall in meiner Kindheit zurückdenken. Da muss ich etwa acht Jahre gewesen sein. Kennst du diese hölzernen Rutschtürme, die zumindest früher auf jedem Spielplatz standen? Ich bin damals beim Versuch auf das regennasse Schrägdach unseres Turms zu klettern, abgeglitten und rücklings in die Tiefe gestürzt. Ich war dann nach dem Aufschlag für einige Stunden bewusstlos und hatte eine Gehirnerschütterung. Und doch erinnere ich mich daran, wie eine Spielkameradin von ihrer Schaukel aufsprang und bestürzt auf mich zulief. Allerdings sehe ich diese Szene in meinem Geiste von schräg oben – was eigentlich nicht sein kann …

 VV: Okay. Wir sind jetzt fast am Ende. Magst du verraten, was wir bald von dir erwarten dürfen?

 TF: Vor einem Monat ist bei Lübbe der zweite Teil meiner Agentenpersiflage um die ultranationale Agentenorganisation A.R.G.O.S. erschienen, bei der es eine etwas eigenwillige Sekretärin in die Welt der Schlapphüte und durchgeknallten Superschurken verschlägt. Der Titel des Romans lautet: „A.R.G.O.S. – Lizenz zum Sterben“. Das ist aber eindeutig Action gepaart mit Humor! Kurz vor Weihnachten kommt dann bei Knaur eine Krimi-Anthologie heraus, der ich eine Kurzgeschichte beigesteuert habe. Außerdem hoffe ich in Bälde eine größere Ankündigung machen zu können, die eher die High Fantasy betrifft. Und natürlich tüftle ich an weiteren Horror-Stoffen. Leider hatte ich im Dezember einen Bandscheibenvorfall, der Ende März in einer OP mündete. Arbeitstechnisch war ich in den Monaten dazwischen etwas eingeschränkt. Aber … jetzt geht es mit Volldampf weiter.

VV: Tom, schön, dass du da warst, vielen Dank!

TF: Herzlichen Dank auch dir!


Bullets (Wie aus der Pistole geschossen …)

VV: Glühwein oder Bier?

TF: Glühwein.

VV: Wenn du eine Superkraft wählen dürftest, welche wäre das?

TF: AfD-Anhängern mehr Hirn zu schenken.

VV: Ein Ort, den du unbedingt noch einmal besuchen wollen würdest?

TF: Das wäre eine Burg, die mit vielen schönen Larp-Erinnerungen verbunden ist.

VV: King oder Lovecraft?

TF: Lovecraft.

VV: Warum?

TF: Mal ab davon, dass ich von King allenfalls eine KG gelesen und einige Filme gesehen habe? Ich mag die Idee eines kosmischen Schreckens einfach lieber.

VV: Was findest du wirklich gruselig?

TF: Kindererzählungen aus Leben, die sie eigentlich nicht kennen dürften.

VV: Dein bester kurzer Witz?

TF: Oh shit, du erwischt mich auf dem falschen Fuß. Spontan fällt mir gar keiner ein. Dank dir halten mich die Leute jetzt vermutlich für völlig humorlos. Danke Vincent. DANKE!

VV: Vampir, Zombie oder Werwolf?

TF: Vampir

VV: Warum?

TF: Muss daran liegen, dass meine Steuererklärung oben auf meiner To do-Liste steht …

VV: Ein Buch von dir soll verfilmt werden. Welches wäre das?

TF: Alle?
J Nee, als Nostalgiker würde ich vermutlich Weißer Schrecken wählen.

VV: Du wirst nach weiblicher und männlicher Wunschbesetzung gefragt. Und wer Regie führen soll. Wie antwortest du?

 TF: Leider nicht wirklich zu meinen Romanen passend: Kostja Ullmann. Vivien Lyra Blair. Und Dave Filoni.

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