Lennox Lethe (Interview)
Michael Schmidt: Hallo Lennox! Conbesucher dürften dich kennen. Du bist die geheimnisvolle Gestalt mit der Maske! Woher rührt dieser Auftritt?
Lennox Lethe: Das fing als Instagram Gag an. Ich wollte den
obligatorischen „Guten Morgen, ihr Lieben“-Post mit dem Latte macchiato in der
Hand ein bisschen aufpeppen. Also habe ich mir eine Halloweenmaske zugelegt.
Die kam so gut an, dass ich sie nie wieder abgelegt habe. Jetzt bin ich sowas
wie das „Phantom der Oper“ der Horrorautoren, was eigentlich nie geplant war.
Michael Schmidt: Dann erzähl mal der interessierten Meute: Wer ist die Person hinter der Maske?
Lennox Lethe: Ich liebe das Horrorgenre und bin in den 80ern
mit Stephen King, Clive Barker und James Herbert aufgewachsen. Mein erster Horrorroman
war „Christine“ und ich habe ihn geliebt.
Meine Eltern besaßen aus pädagogischer Überzeugung keinen
Fernseher, was dazu führte, dass ich ganz verrückt nach Filmen war. Ich habe
durchgenudelte VHS-Kopien von verbotenen Horrorstreifen wie „Tanz der Teufel“,
„Der New York Ripper“ oder „Maniac“ organisiert und meine Freunde dazu gebracht,
sie bei ihnen zu gucken und möglichst auch zu kopieren. Ich habe die Streifen
in den schillerndsten Farben angepriesen, obwohl ich sie gar nicht kannte, und
richtig Druck gemacht, bis ich meinen Fernseher und zwei Videorecorder zum
Kopieren bekam. Für einen Kultfilm bin ich über Leichen gegangen.
Michael Schmidt: Dein Roman „Babywitch“ ist erschienen. Ich erinnere mich, du hast davon berichtet, der Begriff „Babywitch“ kommt aus den sozialen Medien.
Lennox Lethe: Genau. Wir Autoren nennen die Sozialen
Netzwerke liebevoll BookTok, Bookstagram und BookTube. Moderne Hexen nennen sie
WitchTok, Witchtagram und WitchTube. Sie filmen ihre Rituale mit dem Smartphone,
unterlegen sie mit Musik und blenden die verwendeten Zauberzutaten und Spells
ein. Das ist meist sehr hübsch gemacht und wirkt schon mal wie ein esoterisches
Kochvideo. Ich finde diese Welt total spannend, weil sie mir völlig fremd ist. Anfängerhexen
werden in der Szene als „Babywitches“ bezeichnet. Daher kommt der Titel.
Michael Schmidt: Worum geht es in dem Roman?
Lennox Lethe: Um eine junge attraktive Frau mit roten
Haaren, die ihren ersten Arbeitstag in einem IT-Konzern antritt. Schon bei
ihrer Ankunft stirbt der Taxifahrer und bald gibt es weitere Opfer. Kaspar, ihr
Chef, ist sich ziemlich sicher, dass er die Frau nie eingestellt hat, auch wenn
alle das Gegenteil behaupten. Nur Jasmin aus dem Marketing, eine esoterische
Hexe im Gothic-Look, glaubt ihm. Sie hält die Neue für eine Babywitch, die im Internet
mit bösen Mächten in Berührung gekommen sein muss, ohne es zu wollen. Die
beiden tun sich zusammen, um Schlimmeres zu verhindern. Aber die Zeit läuft
ihnen davon, denn um Mitternacht geht ein Blutmond auf, der sich perfekt für
dunkle Rituale eignet.
Michael
Schmidt: Wie würdest du deinen Stil und den Roman
generell charakterisieren?
Lennox Lethe: Mir war es wichtig, die Hexengeschichte modern
aufzuziehen. Eine Babywitch interessiert sich nicht für einen Zauberstab,
sondern für ihr Smartphone. Klassische Elemente wie Rituale, Flüche und
Zaubersprüche habe ich in ein frisches Setting gesetzt. Ich liebe schwarzen
Humor und erzähle das alles mit einem Augenzwinkern. Der IT-Konzern besitzt z.
B. eine voke Unternehmenskultur und alle reden dieses affige Business-Englisch.
Da wird performt und connectet, bis der Doc kommt. Jasmin und Kaspar sind ein
bisschen wie Skully und Mulder. Es macht einfach Spaß, den Skeptiker und die
Esoterikerin auf Hexenjagd zu schicken.
Michael Schmidt: Das Buch gibt es natürlich als E-Book,
aber auch als Taschenbuch und Hardcover. Wie kann man die erwerben und sind die
beiden gedruckten Bücher unterschiedlich?
Lennox Lethe: Das E-Book gibt es aktuell exklusiv beiAmazon. Kindle Unlimited Abonnenten können es kostenlos lesen. Das Taschenbuch kriegt
man überall, also im Buchhandel und in den gängigen Shops. Das Hardcover habe
ich in kleiner Auflage drucken lassen. Es hat einen Farbschnitt und der Titel
ist glänzend lackiert. Man bekommt es auf lennoxlethe.de, auf Buchmessen und
bei Lesungen. Gerne signiert und mit Widmung.
Michael Schmidt: „Babywitch“ ist dein zweites Buch, das
erste war „Nekrolog. Chronik des Grauens“. Worum geht es in „Nekrolog“?
Lennox Lethe: Eine erfolgreiche Schauspielerin stolpert in
der Zeitung über ihren eigenen Nachruf, weil die Redaktion Mist gebaut hat.
Sowas ist tatsächlich schon vorgekommen. Eine Schweizer Zeitung hat mal
versehentlich den Papst für tot erklärt. Von dem Moment an wird Livia, die
Schauspielerin, von einer inneren Stimme heimgesucht, die sie in den Wahnsinn
treibt. Irgendetwas ist in ihr aufgewacht und beginnt, ihren Körper zu
übernehmen.
Michael Schmidt: Wenn du die beiden Bücher miteinander
vergleichen müsstest…
Lennox Lethe: Der Videothekar in mir würde sagen, dass
„Nekrolog“ frei ab 18 ist und „Babywitch“ ab 16. Mein Debütroman ist recht kurz
und praktisch vollständig aus der Perspektive der Schauspielerin Livia erzählt.
Er beginnt als Mystery und endet als blutiger Body-Horror. „Babywitch“ lebt von
seinen wechselnden Perspektiven. Der Realist Kaspar nimmt die Welt völlig
anders wahr als Jasmin. Die Antagonisten sehen alles noch mal anders. Schwarzen
Humor findet man in beiden Büchern.
Michael Schmidt: Ist ein neuer Roman in Arbeit?
Lennox Lethe: Einige Leser würden gerne wissen, wie es mit
Jasmin und Kaspar weitergeht. „Babywitch“ ist abgeschlossen, aber ich denke
gerade darüber nach, wie ich die beiden in ein weiteres Abenteuer schicke.
Michael Schmidt: Du schreibst auch Kurzgeschichten. Wo
sind die erschienen und hast du einen Favoriten?
Lennox Lethe: Bisher sind Geschichten in „Zwielicht 18“, „13Urbane Legenden“ und „Glutnacht“ erschienen. Im nächsten Jahr kommt ein Beitrag
in „Mysteriöse Gewässer“ (Shadodex – Verlag der Schatten) dazu. Dieses Jahr
habe ich mit einer Story den 3. Platz beim Marburg-Award gewonnen, letztes Jahr
den 4. Beide Geschichten wurden jeweils in Sammelbänden des Marburger Vereins
für Phantastik veröffentlicht.
Meine persönliche Lieblingsgeschichte ist „Ausgebrannt“ in
„Glutnacht“. In der muss ein New Yorker Detective einen Fall von Spontaner Menschlicher
Selbstentzündung in einem abgeranzten Hotel lösen. Die Atmosphäre erinnert ein
wenig an Stephen Kings „Zimmer 1408“. Auf diese Geschichte bin ich wirklich
sehr stolz, weil alles super zusammenpasst, was nicht immer gelingt.
Michael Schmidt: Horror ist ein Label, aber zwischen Film und Buch gibt es starke Unterschiede. Wie würdest du die bewerten und wie kann das Buch den Erfolg des Films nutzen?
Lennox Lethe: Die beiden Medien sind grundverschieden. Im
Film spielt der Ton eine herausragende Rolle. Musik und Geräusche sind die
halbe Miete. Der Klassiker „The Texas Chainsaw Massacre“ ist auch deshalb so
verstörend, weil die Killer ständig Unsinn brabbeln und Sally die letzte
Viertelstunde des Films nur schreit. Das hat schon eine starke Wirkung, die man
im Roman so nie erzielen könnte.
Ein anderes Beispiel sind Jumpscares. Im Film lass ich einfach
ein Monster ins Bild springen und bringe einen Soundeffekt. Buh!
Andererseits kann ich im Roman in die Köpfe der Figuren
hineinschauen, kann ihre panischen Gedankengänge verfolgen. Horror hat ja viel
damit zu tun, sich vorzustellen, was Schlimmes passieren könnte. Das
Gedankenkarussell, das sich immer schneller dreht, lässt sich im Buch super
darstellen. Filme haben da nur Gesichter und Dialoge zu bieten. Ich glaube,
dass man im Roman viel näher an die Figur herankommt, als ein Film das jemals
könnte. Außerdem werden die Bilder im Kopf nicht von schlechten Digitaleffekten
und trashigen Darstellern getrübt.
Filme sind so beliebt, weil der Konsum so mühelos ist. Lesen
ist ein bisschen anspruchsvoller. Deshalb schreibe ich kurze Kapitel, damit man
denkt: Ach, eins lese ich noch.
Michael Schmidt: Nimmst du dir bei deinen Romanen Filmstoffe als Vorbilder bzw. Inspiration?
Lennox Lethe: Eigentlich nicht. Ich suche eher einen
frischen Ansatz, der so noch nicht gemacht wurde. Bei „Babywitch“ sind es die
TikTok-Hexen. Bei „Nekrolog“ waren es vorgeschriebene Nachrufe. Die New York
Times hat 2000 Nachrufe von Leuten in der Schublade, die noch leben. Die werden
ständig aktualisiert, damit man sie im Fall des Falles sofort veröffentlichen
kann. Ich dachte mir: Mensch, das ist doch eine Steilvorlage für einen
Horrorroman.
Wenn ich die Geschichte dann plane, frage ich mich aber
schon manchmal, die ein Film sie erzählen würde.
Michael Schmidt: Wie stehen im deutschsprachigen Raum die
Chancen, mit dem eigenen Roman als Film umgesetzt zu werden?
Lennox Lethe: Schlecht. Ich habe mal eine Weile als Drehbuchautor
gearbeitet und hatte nicht den Eindruck, dass in der Filmwelt besonders gerne
gelesen wird. Man adaptiert Romane eigentlich nur deshalb, weil das schneller
geht, als eine Geschichte aus dem Nichts zu entwickeln. Jetzt könnte man
denken, dass das gute Voraussetzungen für Romanautoren und Verlage sind. Aber
man muss schon verdammt viel Glück haben, dass das Buch genau zu dem passt, was
ein Streamingdienst, TV-Sender oder Studio gerade sucht.
Ich schreibe jedenfalls keine Romane, damit sie verfilmt
werden. Falls es trotzdem passiert, wäre das natürlich super. Denn eine
Adaption verschafft eine ganz andere Sichtbarkeit und viele Leute sehen es auch
als Ritterschlag an, wenn du verfilmt wirst.
Michael Schmidt: Wie würdest du die deutschsprachige Horror- und Phantastikszene charakterisieren?
Lennox Lethe: In den Buchhandlungen gibt es im Moment ja
leider kaum Horror. In den 80ern und 90ern war das ganz anders. Heute schreiben
Publikumsverlage auf alles, was eigentlich Horror ist, lieber Thriller oder
Roman drauf. Am Kiosk ist es Dank “John Sinclair” und Co. ein bisschen besser,
aber Heftromane verlieren zunehmend an Sichtbarkeit.
Man muss schon die einschlägigen Veranstaltungen besuchen,
um Gruftluft zu schnuppern. Mein erster Con war der MarburgCon 2022. Ich bin
damals als Besucher hingegangen, kannte niemanden, fand die Leute aber auf
Anhieb sympathisch. Die ganze Atmosphäre war offen, herzlich und im positivsten
Sinne nerdy.
Leider lese ich aktuell sehr viel weniger als ich das
eigentlich möchte. Dabei gibt es so viele tolle Bücher von tollen Kolleginnen
und Kollegen. Jetzt in der dunklen Jahreszeit werde ich hoffentlich ein
bisschen aufholen.
Michael Schmidt: Noch ein Wort an die Meute dort draußen!
Lennox Lethe: Vielen Dank für das Interesse. Und Danke für
das Feedback, das mich zu meinen Büchern erreicht. Das bedeutet mir wirklich
viel.
Ach ja: Ich werde ständig gefragt, ob es unter der Maske
nicht schrecklich heiß ist. Die Antwort lautet: Es geht. Sie ist eigentlich
sehr angenehm zu tragen, nur fällt sie langsam auseinander. Schaumlatex ist
leider nichts für die Ewigkeit. Ich muss mir da dringend was überlegen.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen